Digitale Überwachung 27.07.2021

RSF fordert globales Moratorium

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© picture alliance / dpa / MAXPPP / Mourad Allili

Die Enthüllungen des Pegasus-Projekts haben gezeigt, dass es dringend ein Moratorium für den Verkauf, die Weitergabe und die Nutzung von Überwachungstechnologie braucht. Reporter ohne Grenzen fordert gemeinsam mit weiteren Organisationen, den Sektor international streng und rechtlich bindend zu regulieren. In der vergangenen Woche war ein bisher unbekanntes Ausmaß der Online-Überwachung bekannt geworden. Fast 200 Journalistinnen und Journalisten sind mit der Spyware Pegasus der israelischen Firma NSO Group überwacht worden.

„Digitale Überwachung greift die freie Presse in ihren Grundfesten an, indem sie Verlässlichkeit von Journalistinnen und Journalisten und den Schutz ihrer Quellen untergräbt“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Es muss endlich Licht in dieses kaum zu durchdringende Dickicht gebracht werden. Die Pegasus-Affäre muss der Auslöser für ein generelles Moratorium für den Export dieser Technologien sein, und für eine internationale Regulierung, die diesen Namen auch verdient.“

Einziges Abkommen zur Regulierung ist unzureichend

RSF ist der Auffassung, dass sich das Wassenaar-Abkommen, die 1996 getroffene, wichtigste multilaterale Vereinbarung zur Kontrolle der Ausfuhr von Dual-Use-Gütern und -Technologien, als weitgehend unzureichend und ineffektiv erwiesen hat. Die Gründe dafür sind vielfältig: Das Abkommen soll für alle Güter gelten, die als Waffen benutzt werden können, nicht nur für Überwachungstechnologie. Dabei ist es sinnvoll, jede Waffenart mit ihren Spezifika gesondert zu betrachten. Der rechtliche Anwendungsbereich des Abkommens ist begrenzt, zudem fehlt ein unabhängiger Kontrollmechanismus. Jeder Unterzeichnerstaat hat zudem ein einfaches Vetorecht.

Unterzeichnet haben nur 42 Staaten. Israel und das NSO-Produkte exportierende Zypern sind nicht dabei, Bulgarien, der dritte Pegasus-Exportstaat, jedoch schon. Möglicherweise liegt hier auch ein Verstoß gegen EU-Richtlinien vor. Zypern und Bulgarien unterliegen als EU-Mitgliedsstaaten auch der im März reformierten europäischen Dual-Use-Verordnung, die im September 2021 in Kraft treten soll. Inspiriert durch das Wassenaar-Abkommen und ohne Einfluss auf Länder, die besonders viel Überwachungstechnologie exportieren, greift sie jedoch zu kurz.

Bereits am 19. Juli appellierte RSF an die demokratischen Regierungen, ein sofortiges Moratorium für den Verkauf von Überwachungstechnologie zu beschließen, solange es keine Garantien gibt, dass sie nicht gegen die Menschenrechte eingesetzt wird. Am 21. Juli forderte RSF den israelischen Ministerpräsidenten auf, unverzüglich ein Moratorium für den Export von Überwachungsausrüstung umzusetzen, solange, bis ein internationaler Schutzrahmen besteht. Die Ankündigung des Vorsitzenden des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung in der Knesset am 22. Juli, einen Ausschuss zur Überprüfung von Lizenzverträgen einzurichten, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ob dies zu einer grundlegenden Verschärfung der Exportbestimmungen führt, ist jedoch fraglich.

RSF empfiehlt weltweit gültigen Rechtsrahmen

RSF empfiehlt, einen globalen Rechtsrahmen für die Regulierung von Überwachungstechnologien zu entwickeln, der im Einklang mit den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte steht und die Anpassung an das jeweilige nationale Recht ermöglicht. Die Regierungen müssen die in ihrem Land ansässigen Unternehmen gesetzlich verpflichten, menschenrechtliche Sorgfaltspflichten einzuhalten. Das erfordert Gesetzesreformen in allen betroffenen Staaten. Unternehmen müssen potenzielle und tatsächliche negative Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf die Menschenrechte aktiv prüfen und verhindern, und zwar während der gesamten Wertschöpfungskette. Zudem müssen sie öffentlich und regelmäßig über ihre ergriffenen Maßnahmen berichten. Im Fall einer Zuwiderhandlung müssen sie strafrechtlich haftbar gemacht werden können.

Die Staaten sollten sich zusätzlich verpflichten, mindestens vierteljährlich Informationen über genehmigte oder verweigerte Exporte von Überwachungstechnologien zu veröffentlichen. Diese Berichte müssen insbesondere eine detaillierte Beschreibung des jeweiligen Produkts, des Bestimmungslandes, des Endnutzers oder der Endnutzerin und der Endverwendung beinhalten.

Sollten Gründe zur Annahme bestehen, dass Exportkontrollen ausgehebelt und mit der exportieren Überwachungstechnologie Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, müssen die Staaten dies umgehend prüfen. Das erfordert eine bessere technische und personelle Ausstattung.

Reporter ohne Grenzen setzt sich bereits seit 2011 für wirksame Exportkontrollen von digitalen Überwachungsgütern und juristisch bindende Sorgfaltspflichten der Unternehmen ein. Seitdem ist jedoch wenig geschehen; von einem „free-for-all“, einem gesetzlosen Handel, sprach der damalige UN-Sonderberichterstatter für die Meinungsfreiheit, David Kaye, 2019 anlässlich der Veröffentlichung eines Berichts, in dem er die zivilgesellschaftlichen Forderungen nach einem Moratorium auf Verkauf, Handel und Export digitaler Überwachungstechnologie und umfassenden Reformen aufgriff. Auch Reporter ohne Grenzen war Teil der Konsultationen für den UN-Bericht.



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