Afghanistan 14.08.2021

RSF-Reise nach Afghanistan

Mahnwache für den im Juli getöteten Reuters-Journalisten Danish Siddiqui © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Zabed Hasnain Chowdhury

Mit der Eroberung großer Teile Afghanistans durch die Taliban hat die Bedrohung unabhängiger Journalistinnen und Journalisten und Medien vor Ort eine neue Dimension erreicht. Reporter ohne Grenzen (RSF) ist Ende Juli für zehn Tage nach Afghanistan gereist, um Solidarität mit den Betroffenen auszudrücken und Vertreterinnen und Vertreter aus Medien und Politik ein Konzept für den Schutz von Medienschaffenden vorzustellen. Die Organisation hat zudem Sicherheitstrainings für Journalisten und insbesondere Journalistinnen organisiert, die besonders gefährdet sind.

„Die Taliban haben in den vergangenen Jahren immer wieder Anschläge verübt, bei denen Medienschaffende getötet wurden. Mit dem weiteren Vorrücken der Extremistengruppe drohen weitere Morde an Journalistinnen und Journalisten und gleichzeitig eine Unterversorgung der Bevölkerung mit Informationen“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr.

Inzwischen mussten bereits mehr als 50 Medien – hauptsächlich lokale Radio- und Fernsehsender – in den von den Taliban kontrollierten Gebieten ihren Betrieb einstellen. Medien, die noch nicht schließen mussten, senden nur noch religiöse und von der Extremistengruppe vorgegebene Inhalte. Rund 100 Journalistinnen und Journalisten haben ihren Arbeitsplatz verloren, da sie aus den von den Taliban besetzten Gebieten fliehen und in den großen Städten, insbesondere in der Hauptstadt Kabul, Zuflucht suchen mussten.

In Kabul haben afghanische Journalistinnen und Journalisten, die ein Visum beantragen wollen, mehrere Botschaften aufgesucht. Viele Medienschaffende befürchten, dass diejenigen, die für ausländische Medien gearbeitet haben, bevorzugt behandelt werden könnten. Schleusergruppen haben inzwischen begonnen, ihre Preise zu erhöhen.

Schutzkonzept für Medienschaffende

Während der Reise nach Afghanistan traf sich RSF mit Journalistenverbänden, Medien sowie Regierungsvertreterinnen und -vertretern, um einen Plan für den Schutz von Medienschaffenden vorzustellen, der an die aktuelle Situation angepasst ist. Er stützt sich auf die Erfahrungen, die RSF in den vergangenen drei Jahrzehnten vor Ort gesammelt hat.

RSF hat das Sicherheitskonzept dem gemeinsamen Regierungs-Medien-Ausschuss für die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten vorgelegt. Das 2016 gegründete Gremium besteht aus hochrangingen Regierungsbeamten, Vertreterinnen der Ministerien für Inneres, Information und Kultur und Verteidigung sowie Vertretern von Journalisten- und Medienverbänden und wird von Vizepräsident Sarwar Danesh geleitet. In den vergangenen fünf Jahren hat der Ausschuss einige Erfolge für die Pressefreiheit erzielt, darunter einen Rückgang der Drohungen gegen Medien und Fortschritte im Kampf gegen Straflosigkeit.

Sicherheitstrainings für Journalistinnen und Journalisten

RSF hat Ende Juli in Afghanistan zudem zwei Sicherheitsschulungen für 50 Medienschaffende – unter ihnen 32 Journalistinnen – aus 11 Provinzen organisiert. Auf Ersuchen des Zentrums für den Schutz afghanischer Journalistinnen (CPAWJ), dem Partner von RSF vor Ort, erhielten Journalistinnen eine spezielle Schulung. Grundlage waren zwei von RSF mit erstellte Sicherheitsleitfäden, die ins Persische und Paschtu übersetzt wurden.

Die Situation speziell von Journalistinnen hat sich laut dem im März veröffentlichten CPAWJ-Jahresbericht weiter verschlechtert. In dem Land, in dem Frauen immer wieder Zielscheibe fundamentalistischer Propaganda sind, wurden allein in diesem Jahr mindestens drei Journalistinnen ermordet: Mursal Wahidi, Sadia Sadat und Shahnaz Roafi. Am 10. Dezember 2020 schossen zwei Männer auf das Auto der Journalistin Malala Maiwand, als diese auf dem Weg zur Arbeit war. Maiwand und ihr Fahrer kamen dabei ums Leben.

Lebensgefährliche Arbeit

Afghanistan steht auf der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 122 von 180 Staaten und gehört laut RSF-Jahresbilanz regelmäßig zu den Ländern, in denen die meisten Journalistinnen und Journalisten wegen ihrer Arbeit sterben. In diesem Jahr wurden dort bereits mindestens fünf Medienschaffende getötet, 2020 waren es sechs.

In den vergangenen Jahren verübte dort neben den Taliban auch der „Islamische Staat“ Anschläge, bei denen zahlreiche Medienschaffende ums Leben kamen. Bei einem Doppelanschlag in Kabul am 30. April 2018 wurden allein neun Journalisten getötet, darunter der AFP-Fotograf Sha Marai Fezi sowie sechs Reporter von Radio Free Europe und Tolo News. Der „Islamische Staat“ reklamierte den Anschlag, der sich gezielt gegen Journalistinnen und Journalisten richtete, für sich. Er war der tödlichste Anschlag gegen Medien in Afghanistan seit dem Fall des Taliban-Regimes im Jahr 2001 und der tödlichste Anschlag gegen Medienschaffende weltweit seit dem Massaker in der philippinischen Provinz Maguindanao, bei dem 2009 mindestens 32 Journalistinnen und Journalisten getötet wurden.   



nach oben