Syrien 06.03.2020

Sicherheit von Journalisten gewährleisten

Luftangriffe in Idlib
Luftangriffe in Idlib © picture alliance / AA

Angesichts der eskalierenden Gewalt in Idlib und Aleppo im Norden Syriens ist Reporter ohne Grenzen (RSF) besorgt über die Risiken für Journalistinnen und Journalisten, die vor Ort über die Kämpfe berichten. In den vergangenen Wochen wurden dort zwei syrische Journalisten getötet und mehrere Medienschaffende verletzt. Gleichzeitig macht die Organisation auf die geschlechtsspezifische Bedrohung von Frauen im Journalismus in der Region aufmerksam. Zuletzt wurde die in Idlib ansässige freie syrische Reporterin Merna Alhasan Ziel einer sexistischen Hasskampagne.

„Wenn die Kämpfe zunehmen, sind die ersten Opfer lokale Journalistinnen und Journalisten. Durch ihre mutige Arbeit erhalten wir Zugang zu Informationen über die Lage vor Ort, weil ausländische Medienschaffende kaum noch von dort berichten. Die Behörden müssen alles tun, um sie zu schützen“, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen.

Am 20. Februar wurde der Journalist und Fotograf Abdel Nasser Haj Hamdan in Maarat Al-Naasan im Norden der Provinz Idlib getötet, während er über einen Bombenangriff in der Gegend berichtete. Anfang Februar starb der Journalist Amjad Aktalati in der Stadt Ariha im Süden Idlibs. In seinem letzten Facebook-Post schrieb Aktalati: „Die Lage in Ariha ist katastrophal“.

Anfang Februar verletzten Schüsse vier Journalistinnen und Journalisten in Aleppo: Al-Alam-Reporterin Diaa Kaddour sowie ihren Kameramann Ibrahim Kahil, Sama-TV-Reporterin Kinana Alloush und Al-Kawthar-TV-Reporter Sohaib Al-Masry. Zehn Tage später wurden die drei Medienschaffenden Shadi Halwi, George Orfelian und Shareef Abs verwundet, die für die staatliche syrische Nachrichtenagentur SANA arbeiten.

Ende Januar wurde die RT-Arabic-Journalistin Wafa Shabrouney durch die Explosion eines Sprengsatzes der Dschihadistengruppe Hayat Tahrir al-Scham (HTS) in Idlib verwundet. Wenige Tage zuvor verletzten Luftangriffe im Osten der Provinz den Radio-Alkul-Korrespondenten Asmar Aslan.

Lebensgefährliche Arbeit

Syrien ist neben Mexiko das gefährlichste Land für Medienschaffende weltweit. Journalistinnen und Journalisten sind Einschüchterung und Gewalt von allen Parteien des Bürgerkriegs ausgesetzt – von der syrischen Armee und ihren Verbündeten ebenso wie von bewaffneten Oppositionsgruppen. 2019 starben dort mindestens zehn Medienschaffende wegen ihrer Arbeit.

Im vergangenen Jahr ist es Reporter ohne Grenzen gelungen, zwölf besonders gefährdete syrische Journalistinnen und Journalisten mit ihren Familien nach Deutschland in Sicherheit zu bringen. Auf der Flucht vor den vorrückenden Regierungstruppen saßen sie in der Region Daraa im Süden Syriens fest. Wären Sie in die Hände des Assad-Regimes gefallen, hätten ihnen Verhaftung, Folter und Tod gedroht, weil sie für oppositionelle oder ausländische Medien gearbeitet hatten.

Sexistische Beleidigungen gegen Journalistin

Reporter ohne Grenzen kritisiert zudem die sexistischen Beleidigungen gegen Merna Alhasan und die Verbreitung von Gerüchten über die Journalistin. Seit Anfang März haben Dutzende regierungstreue Social Media Accounts verbreitet, Alhasan sei von Terroristen vergewaltigt und dem Tod überlassen worden – das passiere angeblich mit Personen, die ihr Land verraten. Auf Facebook bestreitet die Journalistin die falschen Informationen: „Jeden Tag ein neues Gerücht. Mir geht es gut, danke.“

Es ist nicht das erste Mal, dass Alhasan Ziel einer Schmutzkampagne wird. Doch die Drohungen, Beleidigungen und Sticheleien häufen sich, seit die Intensität der Kämpfe in Idlib zugenommen hat. RSF erzählt sie, dass falsche Berichte und Gerüchte – wie die Behauptung, ihr Vater wolle sie töten, weil sie seine Ehre durch einen Fernsehauftritt beschmutzt habe – oft durch Accounts von Medien und Personen geteilt werden, die Baschar al-Assads Regierung unterstützen.

Am 2. März filmte ein regierungstreuer Journalist seine sexistische Bemerkung über Alhasan auf einem Platz in Saraqeb, nachdem die bisher von Rebellen kontrollierte Stadt von Assads Truppen eingenommen wurde. Alhasan hatte zuvor in einem Video auf dem gleichen Platz einen weiteren pro-Assad-Journalisten mit einer großen Anzahl an Facebook-Followern herausgefordert.

Laut der RSF-Partnerorganisation Syrian Centre for Media and Freedom of Expression (SCM) arbeiten circa 60 Journalistinnen in der Region Idlib. Einige von RSF kontaktierte Frauen berichteten ebenfalls von Problemen bei der Arbeit aufgrund ihres Geschlechts. „Wenn ich berichte und eine Kamera halte, sehe ich Verachtung in den Augen der Männer“, erzählte die freie Journalistin Shadia Tataa. Die Journalistin Jehan Haj Bakri sagte, sie wurde von der Dschihadistengruppe HTS bedroht, weil sie keinen Hidschab trug. Die Reporterin Hadia Mansour erzählte, dass sie aus Sicherheitsgründen unter einem mehrmals wechselnden Pseudonym schreiben musste und dadurch ihr echter Name nicht in den Medien erscheinen konnte.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Syrien auf Platz 174 von 180 Staaten. Mindestens 28 Medienschaffende sitzen dort derzeit wegen ihrer journalistischen Arbeit im Gefängnis. Die tatsächliche Zahl ist wahrscheinlich weit höher als die Zahl der Fälle, über die Reporter ohne Grenzen gesicherte Informationen hat. Denn in den Jahren des Bürgerkriegs hat das Regime von Präsident Baschar al-Assad Hunderte Journalistinnen und Journalisten, Bürgerjournalistinnen und Bürgerjournalisten verhaftet. Doch die Spuren vieler haben sich in den syrischen Gefängnissen verloren.



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