Mexiko 07.09.2022

Tödlichstes Jahr aller Zeiten für Medienschaffende

Nach dem Mord an Journalist Fredid Román protestieren Medienschaffende in Mexiko-Stadt. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Cristian Leyva

Nach der Ermordung von vier weiteren Journalisten im August ist dieses Jahr schon jetzt das tödlichste für Medienschaffende in Mexiko seit Beginn der Aufzeichnung durch Reporter ohne Grenzen (RSF). Angesichts von 14 Morden an Journalistinnen und Journalisten, davon nachweislich mindestens zehn in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit, fordert RSF von der mexikanischen Regierung einen umgehenden und radikalen Kurswechsel.

„Die Zahl der Journalistenmorde steigt in Mexiko teilweise wöchentlich, doch weder die mexikanische Regierung noch die lokalen Behörden setzen sich wirksam für mehr Sicherheit ein“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die dramatische Situation erfordert grundlegende Veränderungen: Die staatlichen Programme für Risikoprävention und Schutz müssen ebenso überarbeitet werden wie die entsprechenden Gesetze. Außerdem braucht es umfassende, langfristige politische Maßnahmen für mehr Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten.“

RSF fordert Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador auf, sich mit Vertreterinnen und Vertretern der Organisation zu treffen, um umgehende, konkrete Maßnahmen beschließen zu können, die Mexiko aus der Spirale von Gewalt und Straflosigkeit herausführen. RSF ruft zudem die Gouverneure von Michoacán, Veracruz und Sonora auf, den Schutz für Medienschaffende zu verstärken sowie endlich die Täter und Hinterleute der Journalistenmorde der vergangenen Jahre zu ermitteln und zur Verantwortung zu ziehen.

Mehr Getötete als in Kriegsländern Ukraine und Jemen zusammen

Schon das vierte Jahr in Folge sind in Mexiko weltweit die meisten Medienschaffenden umgekommen, mehr als den Kriegsländern Ukraine (bislang acht Getötete) und Jemen (bislang drei Getötete) zusammen. Präsident López Obrador hat nur fünf der 14 Morde dieses Jahr öffentlich verurteilt.

Insgesamt sind RSF mindestens 36 Morde an Journalistinnen und Journalisten seit López Obradors Amtsantritt im Dezember 2019 bekannt. Zwei weitere Journalisten – Jorge Molotzin Centlal und Pablo Felipe Romero Chávez – verschwanden 2021 im Bundesstaat Sonora an der Grenze zu den USA. Die meisten Morde (jeweils fünf) seit Dezember 2019 ereigneten sich in Bundesstaaten, in denen Korruption und organisierte Kriminalität besonders ausgeprägt sind: Michoacán im Südwesten, Veracruz im Südosten und Sonora im Nordwesten. In der überwältigenden Mehrheit dieser 38 Fälle kamen zumindest einige der Täter und Hinterleute bisher straflos davon.

Der jüngste Fall ist der von Fredid Román, der am 23. August in Chilpancingo, der Hauptstadt des südlichen Bundesstaates Guerrero, Opfer eines Auftragsmordes wurde. Er war gerade mit seinem Auto von zu Hause losgefahren, als zwei behelmte Personen auf einem Motorrad neben ihm herfuhren, das Feuer eröffneten und dann davonrasten. Er war auf der Stelle tot.

Der 59-jährige Román war Kolumnist bei der lokalen Tageszeitung Vértice und schrieb gelegentlich auch für andere lokale Medien. Zuvor war er Herausgeber der von ihm gegründeten Zeitung La Realidad gewesen, die er jedoch wegen fehlender finanzieller Mittel hatte einstellen müssen. In all seinen Kolumnen äußerte er sich sehr kritisch über die Regierung des Bundesstaates Guerrero und über lokale Korruption.

Der Herausgeber von Vertíce erklärte gegenüber RSF, dass Román keine Drohungen im Zusammenhang mit seiner Arbeit erhalten habe und in kein staatliches Schutzprogramm aufgenommen worden sei. Románs Neffe beschuldigte jedoch öffentlich eine lokale kriminelle Gruppe namens Los Ardillos und behauptete, dass diese in letzter Zeit mehrmals gedroht habe, seinen Onkel zu töten. Románs Sohn war bereits am 1. Juli in Chilpancingo ermordet worden. Die örtlichen Behörden versuchen nach eigenen Angaben zu ermitteln, ob die beiden Morde miteinander in Verbindung stehen.

Die anderen drei Journalisten, die im August in Mexiko ermordet wurden, sind Ernesto Méndez (am 3. August im Bundesstaat Guanajuato), Juan Arjón López (am 9. August im Bundesstaat Sonora) und Alán González (am 11. August im Bundesstaat Chihuahua). Wie Román hatten auch sie Korruption und Gewalt in ihrer jeweiligen Region angeprangert. RSF konnte noch keinen direkten Zusammenhang zwischen den Morden und der Arbeit der Journalisten erkennen, untersucht und dokumentiert die genauen Umstände ihrer Ermordung aber weiter.

Mindestens neun Journalisten und eine Journalistin wurden 2022 bislang in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet: José Luis Gamboa Arenas (am 10. Januar), Alfonso Margarito Martínez Esquivel (17. Januar), Lourdes Maldonado López (23. Januar), Roberto Toledo (31. Januar), Heber López (10. Februar), Jorge Luis Camero Zazueta (24. Februar), Juan Carlos Muñiz (4. März), Armando Linares López (15. März), Luis Enrique Ramírez (5. Mai) und Antonio de la Cruz (29. Juni). Acht dieser zehn Medienschaffenden hatten vor ihrem Tod angegeben, bedroht worden zu sein.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Mexiko auf Platz 127 von 180 Staaten.



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