Überwachungsexporte 30.11.2017

Transparenz in greifbarer Nähe

© dpa

Der federführende Ausschuss des Europäischen Parlaments hat wegweisende Änderungen beschlossen, um die Aufrüstung autoritärer und diktatorischer Staaten mit europäischer Überwachungstechnologie zu unterbinden. Reporter ohne Grenzen (ROG) begrüßt diese Beschlüsse für die Reform der sogenannten Dual-Use-Verordnung im Grundsatz, denn damit sollen erstmals umfassende Transparenzpflichten für den Handel mit Überwachungstechnologie eingeführt werden. Im Januar dürfte nun das Plenum des Europäischen Parlaments über die INTA-Beschlüsse abstimmen, sodass im April die entscheidenden Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Kommission, Parlament und Mitgliedsstaaten beginnen könnten.

„Zum Glück haben sich die Parlamentarier nicht dem massiven Druck der Industrie gebeugt, sondern wollen künftig Staaten und Unternehmen gleichermaßen zur Achtung der Menschenrechte verpflichten. Detaillierte Handelsstatistiken könnten nun erstmals Licht in diesen undurchsichtigen Markt bringen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Für Entwarnung ist es aber zu früh: Im Plenum des EU-Parlaments und in den Verhandlungen mit Mitgliedsstaaten und Kommission werden alle Beschlüsse wieder zur Verhandlungsmasse. Vor allem die deutschen Europa-Abgeordneten und die Bundesregierung müssen nun durch ihr enormes Gewicht in der EU dafür sorgen, dass die Beschlüsse nicht verwässert werden“, sagte Mihr.

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Der Ausschuss für Internationalen Handel (INTA) im Europäischen Parlament verabschiedete seinen Entwurf am vergangenen Donnerstag (23.11.) nach mehrmonatigen Beratungen. Reporter ohne Grenzen hat die Verhandlungen in Berlin und Brüssel intensiv begleitet und Vorschläge unterbreitet, die nun in Teilen vom INTA aufgenommen wurden.

Kern der Reform: Prüfpflichten für die Unternehmen

Seitdem im Arabischen Frühling 2011 bekannt geworden war, dass autoritäre Regierungen wie die Syriens und Ägyptens mit Hilfe europäischer Technologie Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und Oppositionelle illegal überwachten, will die Europäische Union den Handeln mit solchen Gütern eindämmen. In einigen Fällen führte digitale Überwachung zu Verhaftung und Folter. Seit Ende 2014 wird digitale Überwachungstechnologie daher als sogenanntes Dual-Use-Gut gelistet. Solche Produkte können sowohl für militärische wie zivile Zwecke eingesetzt werden;  wenn Unternehmen sie außerhalb der EU verkaufen wollen, müssen sie das deshalb von Behörden genehmigen lassen. Diverse Einzelfälle haben jedoch gezeigt, dass die bisherigen Regelungen weiterhin nicht ausreichen.

Einerseits nutzen Firmen Schlupflöcher im Exportregime, um gelistete Produkte beispielsweise über Tochterfirmen in Drittländern zu verkaufen. Andererseits genehmigen die EU-Staaten selbst weiterhin fragwürdige Geschäfte. Großbritannien beispielsweise gab noch Anfang 2017 den Verkauf sogenannter IMSI-Catcher an die Türkei frei. Deutschland, das in Europa eher als Vorreiter einer strengen Exportkontrolle gilt, erlaubte zwischen 2014 und 2016 insgesamt neun Lieferungen von Spähtechnik an die Länder Ägypten, Algerien, Marokko, Nigeria, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Kern des Reformvorschlags der EU-Kommission war daher ein besserer Informationsaustausch unter den EU-Staaten darüber, welche Lieferungen in welche Länder abgelehnt werden sollten. Vor allem aber sollten Unternehmen auch dann Genehmigungen einholen müssen, wenn sie nach sorgfältiger Prüfung feststellen, dass auch mit nicht gelisteten Gütern eine Menschenrechtsverletzung im Zielland wahrscheinlich ist. Reporter ohne Grenzen unterstützt diesen Ansatz, da sich Hersteller gefährlicher Produkte nicht vor ihrer Verantwortung für den Schutz der Menschenrechte drücken dürfen. Gerade im Bereich der Überwachungstechnologie, der einem rasanten technologischen Wandel unterliegt, können nicht immer alle Dual-Use-Güter gelistet sein – woraus nicht folgen darf, dass sie nach Belieben verkauft werden können.

EU-autonome Liste für genehmigungspflichtige Überwachungstechnologie

Das INTA-Votum bestätigt diesen Ansatz und schreibt Unternehmen künftig einen internen Prüfprozess vor, um gefährliche Folgen selbständig zu identifizieren und zu verhindern, wenn sie nicht gelistete Überwachungsprodukte exportieren wollen. Außerdem soll eine weitere Güterliste speziell für Überwachungstechnologie eingeführt werden können. Bisher hat die europäische Exportkontrolle die Schwäche, dass nur Güter für die EU-Kontrollen gelistet werden, die auch in anderen Exportkontrollregimen wie dem Wassenaar-Abkommen aufgeführt werden. Die EU kann deshalb bislang keine zusätzlichen Produkte ihren schärferen Kontrollen unterwerfen. Für Überwachungstechnologie soll nun eine EU-autonome Liste eingeführt werden. Das ist richtig, weil die EU damit Druck auf internationale Exportregime ausüben kann und bei der Regulierung digitaler Überwachungsprodukte vorangeht. Ebenfalls zu begrüßen ist, dass der wünschenswerte Export von Verschlüsselungstechnologie nicht mehr genehmigungspflichtig ist und Wissenschaftler explizit von der Verordnung ausgenommen sind, wenn sie zu IT-Sicherheit forschen.

Die INTA-Mitglieder wollen außerdem erreichen, dass künftig vierteljährlich Daten über Aufträge, Produktbeschreibungen sowie Export- und Zielländer veröffentlicht werden. Das wäre ein Meilenstein. Die Neuerung folgt aber letztlich nur dem legitimen Interesse, wonach sowohl die europäische Öffentlichkeit wie auch Menschen in den Zielländern erfahren sollten, welche Spähtechnik aus ihren bzw. in ihre Heimatländer exportiert werden. Bisher gibt es keine verlässlichen Daten über den Markt für Überwachungsindustrie; Zahlen werden allenfalls punktuell über parlamentarische Anfragen oder journalistische Recherchen bekannt. Die EU-Kommission hatte in ihrem Entwurf keine Verbesserungen der Transparenzpflichten vorgesehen. Doch der zuständige INTA-Berichterstatter Klaus Buchner (ÖDP) hatte in seinen Änderungsanträgen hier erstmals Verbesserungen vorgeschlagen.

Transparenzpflichten und Verfahren bei Verstößen schärfer fassen

In den weiteren Verhandlungen sollten sich Europa-Abgeordnete und Bundesregierung jedoch für eine entscheidende Klarstellung zu den Transparenzpflichten einsetzen: In der nun beschlossenen Ausschussfassung der künftigen Dual-Use-Verordnung heißt es nur vage, dass die Geschäftsgeheimnisse der Unternehmen gewahrt bleiben müssten. Dies ist unbestritten, doch sollte die künftige Verordnung klarstellen, dass Geschäftsgeheimnisse nie dazu führen dürfen, dass die Unternehmen Daten nicht freigeben, die für die explizit vorgeschriebenen Statistiken notwendig sind.

Ferner muss das Vorgehen der EU-Staaten bei erkennbaren Menschenrechtsverletzungen durch Überwachungstechnologie eindeutiger gefasst werden. Im aktuellen Entwurf heißt es dazu nur, dass sie in diesem Fall einen Export nicht genehmigen „sollen“. Reporter ohne Grenzen fordert jedoch, dass in einem solchen Fall ein Export verboten werden muss. Wenn klar ist, dass mit Spähsoftware etwa Journalisten illegal überwacht werden, muss diese Gefahr schwerer wiegen als die Geschäftsinteressen eines Unternehmens.

Insgesamt machen die sich abzeichnenden Neuerungen in der Exportkontrolle deutlich, dass auf die nationalen Prüfbehörden neue Aufgaben zukommen werden. In Deutschland etwa prüft das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) Exportanträge von Unternehmen und wird die neuen Statistikpflichten umsetzen müssen. Die künftige Bundesregierung sollte daher das BAFA mit mehr Personal ausstatten, sodass die Neuregelungen auch umgesetzt werden können.

Deutschland steht auf Platz 16 von 180 Staaten auf der Rangliste der Pressefreiheit.



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