Ukraine 19.01.2023

Ukraine beschließt neues Mediengesetz

Ukraine: Wolodymyr Selenskyj hat ein neues Mediengesetz unterzeichnet.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat ein neues Mediengesetz unterzeichnet. © picture alliance / Zumapress.com / President Of Ukraine

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat am 29. Dezember 2022 ein neues Mediengesetz unterzeichnet. Dieses löst fünf veraltete und teils widersprüchliche Gesetze ab, welche seit den 1990er Jahren die Arbeit der Medien in der Ukraine regulierten. Mit der Annahme des 279-seitigen Gesetzes erfüllt Kiew eine der Bedingungen für die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen.

„Mit dem neuen Mediengesetz erhält die Ukraine ein modernes Regelwerk für die Arbeit von Presse, Rundfunk und Onlinemedien“, erklärt Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF). „Allerdings sorgen wir uns um die Unabhängigkeit der nationalen Medienaufsichtsbehörde, deren Zusammensetzung stark vom ukrainischen Präsidenten abhängt. Kandidatinnen und Kandidaten sollten deshalb strengere fachliche Voraussetzungen erfüllen müssen, um für das Gremium ernannt zu werden.“

Präsident kann Medienbehörde kontrollieren

Das Mediengesetz weitet die Vollmachten des 1994 gegründeten Nationalen Fernseh- und Radiorates aus: Künftig ist die Medienaufsichtsbehörde auch für die Registrierung und Regulierung von Print- und Onlinemedien zuständig. So kann der Rat beispielsweise Geldstrafen verhängen oder registrierte Online-Medien nach vier groben Verstößen innerhalb eines Monats sperren, wenn ein entsprechender Gerichtsbeschluss vorliegt. Ist das Medium nicht registriert, kann es nach fünf Verstößen auch ohne Gerichtsbeschluss für 14 Tage blockiert werden. 

Die Unabhängigkeit des gestärkten Rates steht in Frage. Grund dafür ist das Verfahren zur Ernennung seiner acht Mitglieder, das in der ukrainischen Verfassung verankert ist: Vier werden vom Präsidenten bestimmt, vier vom Parlament. Da Wolodymyr Selenskyjs Partei Sluha Narodu gegenwärtig über eine Mehrheit im Parlament verfügt, kontrolliert der Präsident die Zusammensetzung des Rates somit faktisch vollständig. Das Problem der Abhängigkeit des Rates vom Präsidenten ist gegenwärtig nicht lösbar: Die Verfassung darf unter dem geltenden Kriegsrecht nicht geändert werden. Um die Unabhängigkeit des Gremiums dennoch zu stärken, sollten Ratskandidaten für ihre Ernennung strengere formale Anforderungen erfüllen. Dies fordert das Institute of Mass Information (IMI), die langjährige Partnerorganisation von RSF in der Ukraine. 

Kompromiss nach Protesten

Frühere Varianten des Gesetzesentwurfes hatten dem Rat noch wesentlich mehr Befugnisse gegeben: Gemäß der Ende August 2022 in erster Lesung verabschiedeten Variante des Mediengesetzes hätte die Medienaufsichtsbehörde beispielsweise Onlinemedien auch ohne einen Gerichtsbeschluss sperren dürfen. Dagegen schlugen ukrainische Medienschaffende und Presseorganisationen Alarm. Ihre Warnungen vor drohender Kontrolle und Zensur der ukrainischen Presse griffen im Sommer und Herbst 2022 auch internationale Presseorganisationen und Medien auf. In der zweiten und endgültigen Lesung des Gesetzesentwurfes Ende Dezember 2022 wurde die weitgehenden Kompetenzen des Rates daraufhin etwas eingeschränkt.

Das neue Mediengesetz hat eine lange Vorgeschichte. Ein Ausschuss des ukrainischen Parlaments arbeitete bereits seit dem Jahr 2013 an einem Entwurf einer zeitgemäßen Mediengesetzgebung. Im Laufe der Jahre änderten sich mehrfach Bezeichnung und personelle Zusammensetzung des Ausschusses. Auch der geplante Anwendungsbereich des Gesetzes weitete sich mit der Zeit vom Rundfunk auf Presse- und Onlinepublikationen aus. 2020 brachte Wolodymyr Selenskyj einen Entwurf des Ausschusses ins Parlament ein, der jedoch an breiter Kritik von Medienschaffenden, Verbänden und internationalen Organisationen scheiterte.

Bedingung für Gespräche über EU-Beitritt

Die Europäische Union drängte seit dem Abschluss des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine im Jahr 2017 auf eine Modernisierung der Mediengesetzgebung. Zuletzt hatte die EU-Kommission im Juni 2022 die Annahme eines Mediengesetzes zur Voraussetzung für die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen gemacht. Kiew müsse mit diesem die ukrainische Gesetzgebung an die EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste anpassen, die unabhängige Medienaufsichtsbehörde stärken und den Einfluss von Oligarchinnen und Oligarchen auf die Medien bekämpfen. Daraufhin veröffentlichte das Parlamentskomitee im Juli 2022 einen aktualisierten Entwurf des Mediengesetzes von 2020.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Ukraine auf Platz 106 von 180 Staaten.



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