Deutschland 14.03.2003

Urteil des Bundesverfassungsgerichts gefährdetinvestigativen Journalismus

In einem Brief an die Justizministerin Brigitte Zypries äußert sich Reporter ohne Grenzen besorgt über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März, wonach die Strafverfolgungsbehörden berechtigt sind, Telefonverbindungen von Journalisten bei der Verfolgung von ´Straftaten von erheblicher Bedeutung´ zu überwachen. Diese Entscheidung gefährde die Pressefreiheit in Deutschland und verweise auf eine beunruhigende Tendenz innerhalb der Europäischen Union den Quellenschutz auszuhöhlen, stellt die internationale Organisation zur Verteidigung der Pressefreiheit in Paris fest.

"Wenn Journalisten jederzeit überwacht werden können und wenn ihre Informanten befürchten müssen aufgedeckt und verhaftet zu werden, dann wird es für Journalisten unmöglich, Informationen zu bekommen, die auf Vertraulichkeit beruhen und die manchmal erst juristische Ermittlungen in Gang setzen. Journalisten könnten sogar gefährdet sein, wenn ihnen die Verletzung der Vertraulichkeit von den Informanten persönlich angelastet wird". Damit seien die Voraussetzungen für investigativen Journalismus in Frage gestellt, schreibt Robert Ménard, Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen und betont: "Journalisten sind keine Justizgehilfen".

Zum Schutz der Journalisten bedarf es einer präzisen Definition, was unter ´Straftaten von erheblicher Bedeutung´ zu verstehen sei, so Ménard in dem Schreiben. Er fordert eine ernsthafte öffentliche und parlamentarische Debatte zu diesem Thema.

Das Bundesverfassungsgericht hatte in dem Urteil festgestellt, dass die überwachung der Telekommunikation von Journalisten zwar den aus Artikel 10 und 19 des Grundgesetzes abgeleiteten Schutz der Vertraulichkeit der Informationsbeschaffung und der Redaktionsarbeit verletze, derartige Eingriffe jedoch gerechtfertigt sind, wenn sie zur Verfolgung einer ´Straftat von erheblicher Bedeutung´ erforderlich werden. Im Einzelfall muss der Ermittlungsrichter abwägen, ob der Pressefreiheit oder den Erfordernissen der Strafverfolgung Vorrang einzuräumen ist.

Das Verfassungsgericht wies mit der Entscheidung die Klage des ZDF und dreier Journalisten zurück. Diese hatten Verfassungsbeschwerde eingelegt, nachdem ihre Telefonanschlüsse von der Polizei überwacht worden waren. In einem der zugrunde liegenden Fälle hatte ein Gericht in Frankfurt 1995 die überwachung des Handys der beiden ZDF-Journalisten Udo Frank und Beate Thorn Bergmann angeordnet, die im Fall Jürgen Schneider recherchierten.

Der Bauunternehmer war wegen Betruges gesucht und später in den USA verhaftet worden. Einer der Journalisten hatte zuvor der Polizei von sich aus einen Mittschnitt eines Gespräches mit Schneider zur Verfügung gestellt, der für die Ermittler sehr hilfreich war.

Im zweiten Fall hatte die Staatsanwaltschaft Frankfurt die überwachung der Telefonanschlüsse der Stern-Reporterin Edith Kohn erwirkt, um den ehemaligen RAF-Terroristen Hans-Joachim Klein aufzuspüren, der in Frankreich untergetaucht war. Kohn hatte im Rahmen ihrer journalistischen Arbeit Kontakt zu Klein.

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