Russland 04.08.2009

Verhaltene Erwartungen an neuen Prozess im Mordfall Anna Politkowskaja

Mit großer Skepsis blickt Reporter ohne Grenzen (ROG) dem neuen Verfahren im Mordfall der Journalistin Anna Politkowskaja entgegen, das am Mittwoch in Moskau eröffnet wird. Erneut stehen die gleichen Angeklagten vor Gericht, die im Februar im ersten Prozess vom Verdacht der Beihilfe zum Mord freigesprochen worden waren.

Darunter sind der ehemalige Moskauer Polizeibeamte Sergej Chadschikurbanow, dem vorgeworfen wird den Auftragsmord mitorganisiert zu haben, sowie die tschetschenischen Brüder Dschabrail und Ibrahim Machmudow, die als Komplizen gelten. Auf der Anklagebank sitzt auch der ehemalige Geheimdienstoffizier Rjagusow, der sich in einem Parallelverfahren verantworten muss.

Bei den Beschuldigten handelt es sich aus der Sicht von ROG wie schon im ersten Verfahren nicht um die Hauptverantwortlichen des Mordes: „Weder der mutmaßliche Schütze Rustam Machmudow, ein Bruder von Dschabrail und Ibrahim, wird anwesend sein, noch die Auftraggeber des Mordes, über die bisher keine neuen Informationen vorliegen“, kritisiert ROG. 

Neue Erkenntnisse könnte der Prozess möglicherweise bei der besseren Einschätzung der Beziehung zwischen dem ehemaligen Polizisten Chadschikurbanow und einem bislang nur als  „Pawliutschenko“ bekannten Zeugen aus dem ersten Verfahren bringen, so ROG. Nach Informationen der Tageszeitung Moskowskij Komsomolez hatte „Pawliutschenko“ Chadschikurbanow kurz nach dessen Entlassung im Februar 2009 wegen Erpressung angezeigt.

Daraufhin sei der ehemalige Polizist erneut festgenommen worden, wie die Zeitung am Montag berichtete. Pawliutschenko, der offenbar im Dienst der russischen Geheimdienste stand, behauptet, dass Chadschikurbanow ihm kurz vor dem Mord an Politkowskaja vorgeschlagen habe, „auf die Presse einzuwirken“. Sergej Chadschikurbanow bestreitet, dass damit Politkowskaja gemeint gewesen sei. Er beschuldigt Pawliutschenko, ihn kompromittieren zu wollen, weil dieser ihm eine große Geldsumme schulde.

Reporter ohne Grenzen verlangt, dass die Behörden diese Fakten aufklären und mit dem zweiten Parallelverfahren verknüpfen. „Die Unfähigkeit der russischen Justiz, diejenigen zu bestrafen, die Mörder einsetzen, um Kritik zu unterdrücken und ihre Interessen zu schützen, nährt einen Zyklus der Gewalt. Dies kommt einem Freibrief für Killer gleich, weiter zu töten“, mahnt ROG und erinnert an eines der jüngsten Opfer, die Menschenrechtsaktivistin Natalia Estemirowa.

Die frühere Journalistin und Kollegin von Anna Politkowskaja war für die Menschenrechtsorganisation Memorial in Tschetschenien tätig. Ihre Leiche wurde am 15. Juli in der benachbarten Republik Inguschetien gefunden, nachdem Estemirowa am selben Tag von Unbekannten in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny entführt worden war. Genau wie Politkowskaja berichtete sie über Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien und ließ sich durch Drohungen in ihrer Arbeit nicht einschüchtern.

Weitere Informationen:
Anja Viohl
Tel.: 030 615 85 85


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