Media Ownership Monitor 31.05.2019

Wem gehören die Medien in Indien?

© ROG

Nur eine kleine Gruppe von Unternehmen dominiert die Medienlandschaft Indiens. Diese wirkt zwar auf den ersten Blick vielfältig, doch trotz der enormen Anzahl an Printmedien und Rundfunksendern gefährdet eine hohe Medienkonzentration den Medienpluralismus im Land. Obwohl mehr als 118.000 Printtitel im Land registriert sind, vereinen auf vielen regionalen Zeitungsmärkten der verschiedenen Sprachen jeweils die zwei führenden Medien mehr als die Hälfte der Leseranteile auf sich. Das sind einige Ergebnisse des Rechercheprojekts Media Ownership Monitor (MOM) Indien, das Reporter ohne Grenzen (ROG) zusammen mit dem indischen Projektpartner DataLEADS nach sechsmonatiger Recherche am Mittwoch (29.05.) in Delhi vorgestellt hat.

Die Ergebnisse sind unter india.mom-rsf.org abrufbar. Sie stellen eine Bestandsaufnahme der indischen Medienlandschaft dar und zeigen, wem die Massenmedien des Landes gehören und wer sie letztlich kontrolliert.

„Indien ist einer der größten Medienmärkte der Welt. Doch die Konzentration von Medienbesitz zeigt, dass eine Handvoll Personen Medien im Land besitzt und kontrolliert. Unsere Recherchen bringen Transparenz in die Besitzstrukturen und zeigen ihre Auswirkungen auf den Medienpluralismus im Land“, sagte Syed Nazakat, Gründer und CEO von DataLEADS.

„Die Ergebnisse des Media Ownership Monitor in Indien zeigen, dass eine Vielzahl an Medien nicht gleichbedeutend ist mit einer pluralistischen Medienlandschaft. Dank unserer Recherchen konnten wir eine Online-Datenbank erstellen, durch die alle Bürgerinnen und Bürger sehen können, welche Gesichter hinter den wichtigsten Medien im Land stehen“, sagte ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske in Delhi.

Die Größe des südasiatischen Landes spiegelt sich auch in der Medienlandschaft wider. Laut den jüngsten Zahlen von Ende März 2018 sind mehr als 118.000 Printtitel bei der zentralen Registrierungsstelle für Zeitungen registriert, mehr als 36.000 davon sind wöchentlich erscheinende Magazine. In Indien senden mehr als 550 UKW-Radiosender und laut Informationsministerium mehr als 880 Satellitenfernsehsender, von denen 380 nach eigenen Angaben auch Nachrichten übertragen. Genaue Angaben zur Anzahl von Nachrichtenwebseiten im Land sind schlichtweg unmöglich.

Wenige Medienbesitzer kontrollieren riesige Medienmärkte

Für das MOM-Projekt wurden 58 der reichweitenstärksten Medien Indiens untersucht. Die Recherchen zeigen, dass der Markt für Printmedien stark konzentriert ist. Unter den Zeitungen, die auf Hindi erscheinen, entfallen auf vier Medien – Dainik Jagran, Hindustan, Amar Ujala und Dainik Bhaskar – 76,45 Prozent der Leserschaft.

Ein ähnliches Bild ergibt sich in den regionalen Zeitungsmärkten der verschiedenen Sprachen, darunter Tamilisch, Telugu, Bengalisch, Oriya, Punjabi, Kannada, Gujarati, Urdu, Marathi und Assamesisch. Die zwei führenden Zeitungen vereinen jeweils mehr als die Hälfte der Leseranteile auf sich. So erreichen zum Beispiel auf dem Markt für Telugu-sprachige Zeitungen die Medien Eanadu und Sakshi rund 71 Prozent der Leserschaft.

Auf dem Radiomarkt hat das staatliche All India Radio (AIR) landesweit das Monopol für Radionachrichten. Das größte Radio-Netzwerk der Welt sendet in verschiedenen Sprachen und richtet sich an eine Vielzahl von Bevölkerungsgruppen. Private Rundfunkanstalten, die UKW-Radiosender betreiben, dürfen zwar Musik und Unterhaltungsprogramme senden, jedoch keine eigenen Nachrichtensendungen.

Zahlen über die Publikumskonzentration auf dem Fernsehmarkt waren nicht verfügbar, da diese in Indien als Firmengeheimnis gelten. Die dafür zuständige Institution BARC hat sich wiederholt geweigert, die Daten dem MOM-Team zur Verfügung zu stellen. BARC veröffentlicht auf der eigenen Webseite zwar die Zuschauerzahlen der fünf führenden Fernsehsender, die Nachrichtenprogramme in zehn verschiedenen Sprachen senden. Doch ohne die Zustimmung von BARC, die bisher nicht kam, darf das MOM-Team diese nicht verwenden.

Mangelhafte Regulierung

Die Entwicklungen in der indischen Medienlandschaft sind auch eine Folge der lückenhaften Regulierung. Es mangelt an übergreifenden Vorgaben, die den Medienpluralismus effektiv schützen können. Gesetze, die der Besitzkonzentration Schranken setzen, gibt es weder für den Print- noch den Rundfunkmarkt.

Bestehende Gesetze sind zum Teil mehr als hundert Jahre alt und damit noch aus der Kolonialzeit und regulieren bis heute einige Aspekte im Medienbereich. Der 1885 verabschiedete Indian Telegraph Act etwa hat die Grundlagen für die Monopolstellung der Regierung im Rundfunksektor geschaffen.

Lückenhafte Transparenz

Die Ergebnisse der MOM-Recherchen basieren auf Daten von öffentlich zugänglichen Quellen wie der Studie Indian Readership Survey (2017) sowie der Webseite des Ministeriums für Unternehmensangelegenheiten (MCA). Das MOM-Team hat zudem Informationsanfragen per Post und E-Mail an alle untersuchten Medienunternehmen geschickt. Mit Ausnahme von The Print hat bisher keines geantwortet. Für Informationen über die Vergabe öffentlicher Mittel an Medien wurden Informationsanfragen an die Regierungen einzelner Bundesstaaten geschickt.

Erfreulich ist, dass das MOM-Team die Besitzer fast aller Medienunternehmen durch eine öffentlich zugängliche Datenbank des MCA ausfindig machen konnte. Eine Ausnahme ist Scroll Media Incorporation. Weil das Unternehmen im US-Bundesstaat Delaware registriert ist, fehlen Informationen über die Besitzstrukturen und Anteilseigner.

Doch diese scheinbare Transparenz wird getrübt durch sehr komplexe Besitzstrukturen fast aller führenden Medienhäuser. Durch gegenseitige Beteiligungen der Unternehmen aneinander sollen entweder die eigentlichen Besitzer und wirtschaftlichen Nutznießer verdeckt oder bestimmte Gesetze umgangen werden – oder beides.

Politische und wirtschaftliche Verflechtungen

Die Rechercheergebnisse offenbaren, dass die Mehrheit der untersuchten Medienunternehmen Verbindungen in Wirtschaft und Politik hat. Diese zeigen sich vor allem auf regionaler Ebene. Der Sender Odisha TV im Bundesstaat Odisha etwa ist im Besitz der Familie Panda. Baijayant Jay Panda wiederum ist nationaler Vizepräsident und Sprecher der regierenden Bharatiya Janata Party (BJP). Der Fernsehsender NewsLive im Bundesstaat Assam gehört der Frau von Himanta Biswa Sarma, einem mächtigen Kabinettsmitglied der BJP-Regierung in Assam.

Die meisten der führenden Medienunternehmen gehören großen Konglomeraten, die immer noch von den Gründungsfamilien kontrolliert werden und neben der Medienbranche in eine Vielzahl an weiteren Branchen investieren. Diese Verflechtungen zwischen Medien, Wirtschaft und Politik bedeuten ein hohes Risiko für den Medienpluralismus im Land.

Ein mögliches politisches Druckmittel ist die Vergabe von staatlicher Werbung an Medien. Insbesondere auf regionaler und lokaler Ebene sind viele Medien finanziell davon abhängig. Jedoch waren keine Zahlen zu staatlicher Werbung auf Indiens Fernsehmarkt verfügbar und Auskunftsanfragen blieben ohne Erfolg. Neben der Regierung investieren auch politische Parteien in Werbung. Einer der größten – wenn nicht sogar der größte – Anzeigenkunde ist die BJP.

Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten

Auf der neuen Rangliste der Pressefreiheit ist Indien um zwei Plätze gefallen und steht nun auf Rang 140 von 180 Staaten. Im vergangenen Jahr wurden dort mindestens sechs Journalistinnen und Journalisten in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet. Damit war Indien eines der gefährlichsten Länder für Medienschaffende weltweit. Viele weitere Reporterinnen und Reporter wurden das Ziel von Mordversuchen, körperlichen Angriffen und Drohungen. Im Vorfeld der Wahlen haben Übergriffe gegen Medienschaffende durch Anhänger von Premierminister Narendra Modi zugenommen. Hasskampagnen gegen Journalistinnen und Journalisten bis hin zu Aufruf zum Mord sind in sozialen Netzwerken alltäglich und werden von Trollarmeen aus dem Umfeld der hindunationalistischen Regierung befeuert.

Der Media Ownership Monitor - ein globales Rechercheinstrument

Der Media Ownership Monitor ist ein internationales Projekt von Reporter ohne Grenzen, das mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung umgesetzt wird. Gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen wurde er seit 2015 in Ägypten, Albanien, Argentinien, Brasilien, Ghana, Kambodscha, Kolumbien, Marokko, Mexiko, Peru, Serbien, Sri Lanka, Tansania, Tunesien, auf den Philippinen, im Libanon, in der Mongolei, der Türkei und der Ukraine durchgeführt. Das nächste Projektland ist Pakistan.

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