BND-Gesetzentwurf 01.10.2020

Zu wenig Schutz für ausländische Journalisten

Schriftzug "Bundesnachrichtendienst" am BND-Gebäude
© picture alliance / Marc Vorwerk / SULUPRESS.DE

Reporter ohne Grenzen kritisiert den Versuch der Bundesregierung, dem Bundesnachrichtendienst auch künftig größtmögliche Freiheiten bei der Überwachung journalistischer Kommunikation im Ausland zu gewähren. Der jetzt vorgelegte Entwurf des Bundeskanzleramts für ein reformiertes BND-Gesetz geht am Geist des Verfassungsgerichtsurteils vom Mai dieses Jahres vorbei. Darin hatten die höchsten deutschen Richterinnen und Richter eine substanzielle Stärkung journalistischer Schutzrechte gegenüber den zunehmenden technischen Möglichkeiten nachrichtendienstlicher Überwachung eingefordert.

Das Kanzleramt will dem deutschen Auslandsgeheimdienst nun weiterhin maximale Ermessensspielräume einräumen und legt die vom Gericht zugelassenen Ausnahmen sehr weit aus. Zugleich will die Regierung sogar Hackerangriffe des BND legitimieren, die bislang nicht gesetzlich geregelt sind. Sie verpasst überdies die Chance, Klarheit über die Schutzrechte ausländischer Bloggerinnen und Blogger in Staaten zu schaffen, die von Medienzensur geprägt sind.

„Das Kanzleramt will offenkundig jeden Millimeter an Spielraum innerhalb der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nutzen, um dem BND auch künftig möglichst viel Überwachung von Journalistinnen und Journalisten zu erlauben“, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. „Dem höchstrichterlichen Auftrag, berechtigte Sicherheitsinteressen und die Pressefreiheit in ein demokratisches Verhältnis zu setzen, wird dieser Gesetzentwurf nicht gerecht.“

Der Gesetzentwurf, den Netzpolitik.org am Dienstag (29.9.) im Wortlaut veröffentlicht hat, ist eine direkte Reaktion auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Mai. Die Karlsruher Richterinnen und Richter hatten das 2017 in Kraft getretene BND-Gesetz aufgrund einer Verfassungsbeschwerde von RSF und weiteren Organisationen in Teilen für verfassungswidrig erklärt.

Auch im Ausland an Grundrechte gebunden

Das Bundesverfassungsgericht hatte der Bundesregierung in seinem Urteil überraschend enge Vorgaben zur Neugestaltung des BND-Gesetzes gemacht. Kern des Urteils war die Feststellung, dass der deutsche Staat auch im Ausland an Grundrechte gebunden ist. Deshalb dürfe der BND auch die Kommunikation nichtdeutscher Journalistinnen und Blogger im Ausland nicht beliebig überwachen.

Laut dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf sollen ausländische Medienschaffende und ihre Quellen aber auch weiterhin abgehört werden dürfen, wenn dies „der politischen Unterrichtung der Bundesregierung“ dient. Die Karlsruher Richterinnen und Richter hatten darin einen weniger folgeschweren Eingriff in den Quellenschutz gesehen, da den Betroffenen keine Repressalien drohen würden. Ein als Ausnahmeregelung vorgesehener Freiraum für den Nachrichtendienst droht jedoch angesichts der Masse an Überwachungsmaßnahmen zur allgemeinen Lagebeurteilung den Eingriff in vertrauliche Kommunikation erneut zur Norm zu machen. Das Vertrauen in die Geheimhaltung von Kommunikation zwischen Medienschaffenden und ihren Informantinnen und Informanten wird dadurch erheblich untergraben.

Auch zur Abwehr „schwerwiegender Gefahren“ darf weiterhin überwacht werden. Öffentliches Interesse und die Rechte der Betroffenen müssen dann gegeneinander abgewogen werden. Aus Sicht von RSF müssen diese Entscheidungen des Dienstes sorgfältig dokumentiert und effektiv und unabhängig kontrolliert werden.

Zusätzlich schreibt der Entwurf bisher gesetzlich ungeregelte Hacking-Methoden des BND fest. Der Nachrichtendienst verfügt Netzpolitik.org zufolge bereits seit einigen Jahren über die Möglichkeit, in ausländische IT-Systeme und Server einzudringen, digitale Kommunikation mitzulesen und gespeicherte Daten abzugreifen. Das Gesetz soll diese Praxis nun legitimieren und nimmt dabei auch Medienschaffende von „individuellen Aufklärungsmaßnahmen“ dieser Art nicht aus, solange die gehackten Daten zur „Aufklärung von im Einzelfall schwerwiegenden Gefahren“ beitragen.

Weite Entscheidungsspielräume für den BND

Auch sollen nur jene Medienschaffende einen erweiterten Schutz genießen, deren Tätigkeiten „durch Freiheit und Unabhängigkeit gekennzeichnet sind“. Entsprechendes hatten die Karlsruher Richterinnen und Richter vorgesehen, doch legt der Gesetzentwurf die Beurteilung dieser definitorischen Abgrenzung weitgehend in die Hände der Überwacherinnen und Überwacher. Dabei hatte RSF konkrete Vorschläge für eine praktikable Definition unabhängiger journalistischer Arbeit vorgelegt und auch in Gesprächen mit Regierungsstellen erläutert.

Problematisch scheint im Entwurf des Kanzleramts insbesondere die Ausführung in der Gesetzesbegründung, wonach unter anderem Personen ausgenommen sind, die „unter dem Deckmantel des Journalismus bewusst fake news produzieren, um auf diese Weise im Auftrag einer ausländischen Macht auf die inländische Bevölkerung einzuwirken“. Nicht nur ist der Begriff „fake news“ politisch umkämpft und variabel auslegbar, er eröffnet dem BND auch weitreichende Spielräume, über die politische Legitimität journalistischer Inhalte zu richten.

Reporter ohne Grenzen setzt sich dagegen für eine auf den Entstehungsprozess journalistischer Arbeit fokussierte Abgrenzung des Journalismus-Begriffs ein. Andernfalls stünde auch in Frage, inwiefern ausländische Bloggerinnen und Blogger oder Bürgerjournalisten ohne institutionelle Bindung vor nachrichtendienstlicher Überwachung geschützt sind. Gerade diese Medienschaffenden arbeiten oft unter prekären Verhältnissen in unfreien Staaten und sind daher besonders bedroht. 

Kontrollrat braucht unabhängige Stimme

Bereits am Wochenende berichteten Süddeutsche Zeitung, WDR und NDR über die ebenfalls im Gesetzentwurf vorgesehene Reform der Nachrichtendienstkontrolle. Ein „Unabhängiger Kontrollrat“ aus sechs Juristinnen und Juristen mit erweitertem Mitarbeiterstab soll künftig über die Überwachungsmaßnahmen des BND richten. Zusätzlich soll eine administrative Kontrollinstanz stichprobenartig die rechtmäßige Umsetzung überprüfen. Dem parlamentarischen Kontrollgremium kommt dagegen keine gesteigerte Rolle zu, einzig die Wahl der Mitglieder des Kontrollrates fällt ihm neu zu.

RSF begrüßt, dass die Bundesregierung dem Kontrollrat zusätzliche technische Expertise zur Verfügung stellen will, vermisst aber eine unabhängige und kritische Stimme der von Überwachung betroffenen Gruppen, insbesondere zeugnisverweigerungsberechtigten Personen wie Medienschaffenden und Rechtsanwälten. Diese könnte ein dringend notwendiges Gegengewicht zur auf möglichst weitreichende Erkenntnisgewinnung fokussierten Argumentation des Nachrichtendienstes in der Entscheidungsfindung darstellen.

 



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