Bewaffnete Kämpfer nehmen Kabul ein, Menschenmassen strömen zum Flughafen, verzweifelte Personen klammern sich an US-Militärfliegern fest: Im August 2021 kommen die Taliban erneut an die Macht. Für Journalistinnen und Journalisten ist das eine Katastrophe. In Afghanistan regiert nun wieder einer der größten Feinde der Pressefreiheit weltweit.
Afghanistan war schon lange vor 2021 ein Schwerpunkt von Reporter ohne Grenzen (RSF). Doch mit der Rückkehr der islamistischen Terrorgruppe hat die Bedrohung unabhängiger Journalistinnen, Journalisten und Medien eine neue Dimension erreicht. Vielen blieb nur noch der Weg ins Exil. Für RSF begann damit ein beispielloser Kraftakt in der Geschichte der Organisation. In dem Jahr nach der Machtübernahme konnte RSF mehr als 160 Journalistinnen und Journalisten nach Deutschland in Sicherheit bringen. Einschließlich Familienmitglieder waren das insgesamt mehr als 600 Personen. RSF hat dafür mit zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Kabul Luftbrücke, mit dem Auswärtigen Amt sowie Bundes- und Landesbehörden zusammengearbeitet, beraten, unterstützt und vermittelt. Dank der Solidarität von RSF-Unterstützern konnte die Organisation zehntausende Euro für die Flugkosten von Medienschaffenden und ihren Familien aufbringen, um sie in Sicherheit zu bringen.

Aufnahmeprogramm für gefährdete Afghanen
Der Abzug der US-Truppen aus Kabul und die anschließenden Evakuierungen waren chaotisch. Vor diesem Hintergrund starteten das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium im Oktober 2022 das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan (BAP). Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, wollte die Bundesregierung unter dem BAP monatlich 1.000 gefährdete Afghaninnen und Afghanen nach Deutschland bringen. Die Initiative sollte auch als Blaupause für künftige humanitäre Aufnahmeprogramme dienen. Unterstützung bekam die Bundesregierung aus der Zivilgesellschaft. NGOs fungierten als sogenannte meldeberechtigte Stellen. Diese haben die Angaben von Afghaninnen und Afghanen geprüft und die Personen für das Programm vorgeschlagen.

RSF war eine dieser Stellen. Die Organisation wurde mit Anfragen überrannt: Allein in den ersten zehn Tagen gingen über ein Online-Formular mehr als 12.000 Registrierungen und 3.700 Anträge ein. Dazu kamen hunderte E-Mails, Nachrichten in sozialen Netzwerken und Anrufe. RSF hat jeden Fall detailliert geprüft: Arbeitet die Person journalistisch? Wurde sie wegen ihrer Arbeit bedroht? Wie akut ist sie gefährdet?
RSF hat von Beginn an über das BAP informiert und die Schwachstellen bemängelt: intransparente Aufnahmekriterien, komplizierte Abläufe und Zahlen, die weit hinter den versprochenen 1.000 Aufnahmen pro Monat lagen. RSF hat wiederholt Verbesserungen vorgeschlagen. Doch aus Sicht der Organisation hat die Bundesregierung auf die Kritik nicht angemessen reagiert.
Mit dem Bruch der Regierungskoalition endete das Programm schließlich vorzeitig. Es hat sein Mandat deutlich verfehlt. Insgesamt kamen mit dem BAP lediglich rund 1.500 Menschen nach Deutschland. Das ist ein Bruchteil der von der Regierung im Oktober 2022 versprochenen 1.000 Menschen, die pro Monat aufgenommen werden sollten. RSF hatte die Fälle von 64 afghanischen Journalistinnen und Journalisten im BAP eingereicht. Nur acht von ihnen konnten mit ihren Familien nach Deutschland reisen.
In einem ausführlichen Bericht hat RSF im Juli 2024 die Versäumnisse der Bundesregierung dokumentiert und erklärt, unter welchen Voraussetzungen ähnliche Programme künftig besser umgesetzt werden können.
Weitere Aufnahmen: Politischer Wille fehlt
Bis heute erreichen RSF Hilferufe afghanischer Journalistinnen und Journalisten. Doch mit dem Ende des BAP ist eine humanitäre Aufnahme in Deutschland fast unmöglich, selbst für Personen mit einer Zusage. Im Koalitionsvertrag haben sich SPD und CDU darauf geeinigt, Aufnahmeprogramme zu beenden und keine neuen aufzulegen.
Im Nachbarland Pakistan warten noch fast 1900 Afghaninnen und Afghanen unter prekären Bedingungen auf ihre Einreise nach Deutschland, unter ihnen sind auch Medienschaffende. Sie haben über verschiedene Programme eine Aufnahmezusage erhalten. Doch die deutschen Behörden haben angefangen, Zusagen zu widerrufen. Anderen Personen bieten sie Geld an, um sie dazu zu bewegen, aus dem Programm auszusteigen.
Den Betroffenen droht eine Abschiebung nach Afghanistan. Das Risiko ist real: Im August 2025 wurde ein afghanischer Journalist mit seiner Familie aus Pakistan nach Afghanistan abgeschoben. RSF hatte seinen Fall im BAP eingereicht – mit Erfolg. Doch trotz der Zusage warteten sie mehr als ein Jahr auf ihre Visa für Deutschland.
RSF wird gefährdete Medienschaffende weiter in Afghanistan und im Exil in Drittländern unterstützen. In Deutschland hilft die Organisation ihnen im Asylverfahren und begleitet sie bei den ersten Schritten nach der Ankunft. RSF wird weiter über die Lage der Pressefreiheit in Afghanistan berichten und Angriffe der Taliban auf Journalistinnen und Journalisten dokumentieren.
(Stand: 11.11.2025)
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