RSF (Reporter ohne Grenzen) warnt in einem gemeinsamen Statement mit Partnerorganisationen vor einer Eskalation der Medienkontrolle, Schikanen und rechtlichen Drohungen gegen unabhängige Journalist*innen in Ungarn vor den Wahlen 2026:
Die Partnerorganisationen der "Plattform des Europarats für die Sicherheit von Journalist*innen" stehen an der Seite unabhängiger Medienschaffender in Ungarn – inmitten eines anhaltenden Klimas politischer Schikanen und Diffamierung.
Während eines eintägigen Treffens in Budapest am 22. Oktober 2025 trafen Vertreter*innen der Plattform mit Journalist*innen, Medienvertreter*innen, Rechtsexpert*innen und zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammen, um zentrale Fragen im Zusammenhang mit Medienfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit zu erörtern. Die Gesprächspartner*innen beschrieben ein stark eingeschränktes Medienumfeld, in dem unabhängiger Journalismus nur unter großen Schwierigkeiten möglich ist. Zugleich hoben sie die starke politische Polarisierung hervor, die den Wahlkampf rund um die für April 2026 erwarteten Parlamentswahlen prägt.
Im vergangenen Jahr hat die Regierungspartei Fidesz das in der Europäischen Union weitreichendste System zur Kontrolle und Vereinnahmung von Medien weiter verfestigt – es zeichnet sich durch die Dominanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die Konzentration privater Medien in regierungsnaher Hand sowie durch massive Marktverzerrungen mittels staatlicher Vergabe von Werbemitteln aus. All dies hat gravierende Folgen für Medienvielfalt und unabhängigen Journalismus.
Online-Belästigung und Hetze gegen unabhängige Medien sind in Ungarn seit langem dokumentiert, auch gegen Vertreter*innen von Partnerorganisationen der Plattform. Doch die polarisierende und spaltende Natur des Wahlkampfs hat Intensität und Häufigkeit solcher Angriffe weiter verschärft. Zahlreiche Gesprächspartner*innen berichteten von gezielten Einschüchterungs- und Verleumdungskampagnen gegen unabhängige Journalist*innen und Redaktionen, angefacht durch Vertreter*innen und Anhänger*innen der beiden größten Parteien sowie durch regierungsnahe Medien, von denen viele der staatsnahen KESMA-Stiftung gehören. Die Partnerorganisationen zeigten sich besorgt über Berichte, wonach Reporter*innen online und in regierungsfreundlichen Medien als angebliche Unterstützer*innen der Opposition diffamiert wurden – mit dem Ziel, sie als unabhängige, vertrauenswürdige Informationsquellen zu diskreditieren.
Die teilnehmenden Organisationen prüften auch die Auswirkungen des Gesetzentwurfs über die „Transparenz des öffentlichen Lebens“ auf die Arbeit von Journalist*innen, Medien und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Wäre das Gesetz verabschiedet worden, hätte es Blacklisting, finanzielle Einschränkung oder sogar Schließung von Medien erlaubt, die ausländische Mittel erhalten – mit potenziell verheerender Abschreckungswirkung. Selbst jene, die unter diesen Bedingungen weiterarbeiten könnten, wären womöglich gezwungen, ins Exil zu gehen, um ihre Arbeit fortzusetzen. Nach Angaben der Gesprächspartner*innen ist der Gesetzentwurf derzeit auf Eis gelegt, und es gibt keine Hinweise darauf, dass Fidesz plant, ihn vor den Wahlen 2026 erneut einzubringen.
Allerdings könnte die Regierungspartei mit ihrer Zweidrittelmehrheit im Parlament und angesichts des verlängerten Ausnahmezustands das Gesetz jederzeit ohne öffentliche Konsultation verabschieden. Zahlreiche Vertreter*innen sprachen von der Unsicherheit, die das Gesetz ausgelöst habe, sowie von den Ressourcen, die viele Redaktionen bereits in Notfallpläne investiert hätten, um ihre Arbeit notfalls aus dem Ausland fortzusetzen. Da eine Wiedereinbringung weiterhin möglich bleibt, stellt der Gesetzentwurf eine existentielle Bedrohung für die verbliebene Medienfreiheit in Ungarn dar.
Obwohl ein Gesetz, welches Medien, die aus dem Ausland finanziert werden, mit wirtschaftlichen Sanktionen droht, zurückgezogen wurde, weist die Plattform darauf hin, dass das „Amt zum Schutz der Souveränität“ (Sovereignty Protection Office, SPO) – jene Behörde, die für die Umsetzung des Gesetzes zuständig gewesen wäre – die Delegitimierung von Medien, die ausländische Mittel oder Fördergelder erhalten, aktiv vorantreibt. Das SPO stigmatisiert sie als „ausländische Agenten“ oder „Verräter“. Seine Berichte schüren gezielt Online-Hass und Belästigung gegen Journalist*innen, unter anderem, indem unabhängige Redaktionen als „politische Druckgruppen“ bezeichnet werden. Das SPO unterstützt zudem von der Regierungspartei Fidesz initiierte Kampagnen, die sich gegen Reporter*innen und NGOs richten und führende unabhängige Medien öffentlich diffamieren.
Das vollständige Statement der Partnerorganisationen mit Bemerkungen zu juristischen Schikanen und der ausbleibenden EMFA-Umsetzung der Orbán-Regierung sowie den Ermittlungen zu den Enthüllungen über den Einsatz der Zero-Click-Spyware Pegasus, der Bedrohung durch Distributed-Denial-of-Service-Angriffe (DDoS) und Medienkonzentration in Ungarn ist hier nachzulesen.
Unterzeichner:
Index on Censorship
ARTICLE 19
International Press Institute (IPI)
European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF)
Justice for Journalists Foundation
Committee to Protect Journalists (CPJ)
European Federation of Journalists (EFJ)
Rory Peck Trust
Association of European Journalists (AEJ)
PEN International
International Federation of Journalists (IFJ)
Reporter ohne Grenzen (RSF)
Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2025 belegt Ungarn Platz 68 von 180 Ländern.
