Rangliste der Pressefreiheit 2022

Krisen, Kriege und Gewalt bedrohen Pressefreiheit

Krisen, Kriege und Gewalt bedrohen Pressefreiheit
© RSF
Weltkarte der Pressefreiheit 2022.

Neue Krisen und Kriege sowie wiederaufgeflammte Konflikte gefĂ€hrden die weltweite Pressefreiheit und brachten Journalistinnen und Journalisten seit Anfang 2021 in vielen LĂ€ndern der Welt in Gefahr. Die Rangliste der Pressefreiheit 2022 von Reporter ohne Grenzen (RSF) zeigt, dass von gewalttĂ€tigen Konflikten nicht nur Gefahr fĂŒr Leib und Leben von Medienschaffenden ausgeht – sie wurden auch von vielfĂ€ltigen Repressionen begleitet, mit denen Regierungen die Informationshoheit zu gewinnen versuchen. Die Rangliste der Pressefreiheit vergleicht die Situation fĂŒr Journalistinnen, Journalisten und Medien in 180 Staaten und Territorien. In ihrer 20. Ausgabe erscheint die Rangliste einmalig zum Welttag der Pressefreiheit, dem 3. Mai 2022, und basiert zudem auf einer neuen Methodik, die den verĂ€nderten MedienrealitĂ€ten Rechnung trĂ€gt.

„Morde und EntfĂŒhrungen, Verhaftungen und körperliche Angriffe sind bloß unterschiedliche AusprĂ€gungen desselben Problems: Regierungen, Interessengruppen und Einzelpersonen wollen Medienschaffende mit Gewalt daran hindern, unabhĂ€ngig zu berichten. Dieses PhĂ€nomen beobachten wir in allen Teilen der Welt, ob in Russland, Myanmar oder Afghanistan – oder selbst in Deutschland, wo die AggressivitĂ€t gegenĂŒber Journalistinnen und Journalisten auf ein Rekordhoch gestiegen ist“, sagte RSF-Vorstandssprecher Michael Rediske.

Die Lage in Deutschland (Rang 16 von 180) hat sich 2021 um drei PlĂ€tze (Vorjahr: Rang 13) leicht verschlechtert. FĂŒr diese Entwicklung sind drei GrĂŒnde zentral: eine Gesetzgebung, die Journalistinnen und Journalisten sowie ihre Quellen gefĂ€hrdet, abnehmende Medienvielfalt sowie allen voran Gewalt bei Demonstrationen.

Die Zahl der gewaltsamen Angriffe lag mit 80 von RSF verifizierten FĂ€llen so hoch wie noch nie seit Beginn der Dokumentation im Jahr 2013. Bereits im Vorjahr war mit 65 FĂ€llen ein Negativrekord erreicht worden. Die meisten der Angriffe (52 von 80) ereigneten sich bei Protesten des „Querdenken”-Spektrums gegen Corona-Maßnahmen, an denen regelmĂ€ĂŸig gewaltbereite Neonazis und extrem rechte Gruppen teilnahmen. Medienschaffende wurden bespuckt, getreten, bewusstlos geschlagen. Betroffene klagten hĂ€ufig ĂŒber mangelnde UnterstĂŒtzung durch die Polizei. Zudem wurden 12 Angriffe der Polizei auf die Presse dokumentiert.

Hinzu kommen eine hohe Dunkelziffer sowie eine Vielzahl nicht einzeln erfasster FĂ€lle, in denen Journalistinnen und Journalisten beleidigt, bedrĂ€ngt oder bedroht wurden. Vielfach wurden sie an der AusĂŒbung ihrer TĂ€tigkeit gehindert oder ihre AusrĂŒstung wurde beschĂ€digt. Neu waren 2021 akustische Angriffe mit Fußballfanfaren. Auch jenseits von Versammlungen wurden Medienschaffende 2021 attackiert: zu Hause, im Gerichtssaal, in Fußballstadien.

Auf der Ebene der Gesetzgebung kritisierte RSF den mangelnden Schutz von Journalistinnen und Journalisten sowie ihrer Quellen bei der Cybersicherheitsstrategie der Bundesregierung, da diese eine Ausweitung der Befugnisse fĂŒr Sicherheitsbehörden vorsieht, ebenso wie die Reform des BND-Gesetzes und den sogenannten Staatstrojaner. 2021 wurde zudem bekannt, dass Deutschland die Spyware Pegasus nutzt. Das Defizit beim Auskunftsrecht von Medien gegenĂŒber Bundesbehörden blieb 2021 weiter bestehen. Auch Klagen gegen kritische Recherchen und Sexismus im Journalismus stellten im vergangenen Jahr weiterhin ein Problem dar.

Sorge bereiten RSF die weiter abnehmende Pressevielfalt bei den Tageszeitungen. Wie in vielen anderen LĂ€ndern haben sich wirtschaftliche Probleme der Medien durch die Corona-Krise verstĂ€rkt. Nur zwei LĂ€nder weltweit (Norwegen und Schweden) zeigten im neu geschaffenen Indikator „wirtschaftliche Rahmenbedingungen“ eine „gute Lage“; in Deutschland war sie (wie auch die Gesamtsituation) „zufriedenstellend“.

Krisen, Kriege und Gewalt bestimmten die Lage der weltweiten Pressefreiheit seit Anfang 2021. Nach dem MilitĂ€rputsch in Myanmar (Rang 176) und der RĂŒckeroberung Afghanistans (156) durch die Taliban ist unabhĂ€ngiger Journalismus in beiden LĂ€ndern kaum noch möglich. Russland (155) hat nach dem Überfall auf die Ukraine die Pressefreiheit im eigenen Land de facto abgeschafft, in der Ukraine (106) starben durch die Kriegshandlungen innerhalb weniger Wochen sieben Medienschaffende.

Gleich viele waren es nur in Mexiko (127) – das nordamerikanische Land ist schon seit Jahren eins der tödlichsten der Welt fĂŒr Journalistinnen und Journalisten, doch die Mordserie seit Anfang des Jahres ist auch fĂŒr mexikanische VerhĂ€ltnisse erschĂŒtternd. Auch im Verlauf des Israel-Gaza-Konflikts wurden in den PalĂ€stinensischen Gebieten (170) Journalisten getötet und verletzt, ebenso im Jemen (169). In der Sahelzone haben Medienschaffende unter Unsicherheit und politischer InstabilitĂ€t zu leiden, so in Burkina Faso (41) und Mali (111).

In Europa erschĂŒtterten die Morde an zwei Polizeireportern in den Niederlanden (28) und Griechenland (108) die Öffentlichkeit. GewalttĂ€tige Demonstrierende griffen in großer Zahl Journalistinnen und Journalisten vor allem in Deutschland, aber auch in Österreich (31), Frankreich (26) und Italien (58) an.

In anderen LĂ€ndern waren vor allem willkĂŒrliche Inhaftierungen das gewĂ€hlte Mittel zur UnterdrĂŒckung kritischer Stimmen. Ende 2021 zĂ€hlte RSF so viele inhaftierte Journalistinnen und Journalisten wie noch nie. In Hongkong (148), einst eine Bastion der Pressefreiheit in Ostasien, wird Chinas (175) Modell der Informationskontrolle unbarmherzig umgesetzt, werden Redaktionen geschlossen und Medienschaffende verhaftet. In Belarus (153) setzte sich 2021 die Verhaftungswelle fort, die nach der manipulierten PrĂ€sidentenwahl vom August 2020 begonnen hatte, und auch im Iran (178) hĂ€uften sich die Verhaftungen.

Wie in den vergangenen Jahren machen die skandinavischen LĂ€nder die SpitzenplĂ€tze unter sich aus: Zum sechsten Mal in Folge liegt Norwegen auf Platz 1, unter anderem aufgrund eines großen Medienpluralismus, großer UnabhĂ€ngigkeit der Medien von der Politik, starker Informationsfreiheitsgesetze und eines trotz gelegentlicher Online-Attacken journalistenfreundlichen Klimas. Es folgen DĂ€nemark (2) und Schweden (3) mit Ă€hnlich guten Voraussetzungen fĂŒr journalistische Berichterstattung. Mit Estland (4) ist erstmals eine ehemalige Sowjetrepublik unter den Top 5. Anders als in anderen LĂ€ndern verzichten Politikerinnen und Politiker dort weitgehend auf Attacken auf Medienschaffende, was kritische Berichterstattung erleichtert. Auf zunehmende Online-Hetze haben MedienhĂ€user mit Schutzmaßnahmen fĂŒr ihre BeschĂ€ftigten reagiert. Finnland folgt auf Platz 5.

Im hintersten Teil der Tabelle befindet sich nach wie vor China (175) – unter anderem aufgrund nahezu allumfassender Internetzensur und Überwachung sowie Propaganda im In- und Ausland. Nach dem MilitĂ€rputsch vom Februar 2021 machte die Junta in Myanmar (176) unabhĂ€ngigen Journalismus quasi unmöglich – das Land rutscht dramatisch auf der Rangliste ab und befindet sich nun unter den fĂŒnf am schlechtesten bewerteten LĂ€ndern. In Iran (178) beobachtet RSF seit dem vergangenen Jahr eine Zunahme von willkĂŒrlichen Verhaftungen und Verurteilungen. Drei totalitĂ€re Regime, die seit Jahren die letzten drei PlĂ€tze unter sich ausmachten, bilden den Rest der Schlussgruppe: Turkmenistan (177), Eritrea (179) und Nordkorea (180). Alle drei haben gemeinsam, dass die jeweilige Regierung die komplette Kontrolle ĂŒber alle InformationsflĂŒsse hĂ€lt; Raum fĂŒr Verbesserungen der Pressefreiheit scheint es unter den aktuellen Regimen nicht zu geben.

Seit dem groß angelegten Angriff auf die Ukraine existiert in Russland (155) praktisch keine Pressefreiheit mehr. Bereits vor Beginn der Invasion am 24. Februar 2022 hatte der Kreml den Druck auf unabhĂ€ngige Medienschaffende massiv erhöht: Mehr als einhundert Journalistinnen und Journalisten sowie ganze Redaktionen waren 2021 zu sogenannten „auslĂ€ndischen Agenten“ erklĂ€rt worden, viele stellten ihre Arbeit deswegen ein. Ende Februar 2022 verbot die russische Medienaufsichtsbehörde Wörter wie „Krieg“, „Angriff“ und „Invasion“ in der Berichterstattung ĂŒber die Ukraine, wenig spĂ€ter drohte ein neues Gesetz mit Haftstrafen von bis zu 15 Jahren fĂŒr angebliche Falschinformationen ĂŒber die russische Armee. Der kremlkritische Sender Doschd und Radio Echo Moskwy stellten daraufhin ihre Arbeit ein, hunderte unabhĂ€ngiger Journalistinnen und Journalisten verließen das Land. Am 28. MĂ€rz 2022 stellte auch die Zeitung Nowaja Gaseta unter Chefredakteur und FriedensnobelpreistrĂ€ger Dmitri Muratow den Redaktionsbetrieb ein. AuslĂ€ndische Netzwerke wie Twitter, Facebook und Instagram sind in Russland blockiert.

Auch in der Ukraine (106) verschlechterte sich die Lage seit dem russischen Angriff erheblich. Mindestens sieben Medienschaffende wurden in den ersten zwei Monaten der KĂ€mpfe wĂ€hrend ihrer Arbeit getötet. Russische Truppen griffen gezielt Medienteams an und bombardierten FernsehtĂŒrme in mehreren StĂ€dten. Mehrmals wurden Medienschaffende entfĂŒhrt oder ihre Familienangehörigen unter Druck gesetzt, um sie zum Schweigen zu bringen. Am 20. MĂ€rz legte PrĂ€sident Wolodymyr Selenskyj die landesweiten Fernsehsender per Dekret zusammen, um eine einheitliche Informationspolitik verfolgen zu können.

Der Kreml zwingt sein Narrativ ĂŒber den Krieg auch einigen seiner NachbarlĂ€nder auf, insbesondere Belarus (153). Dort verfolgt der Diktator Alexander Lukaschenko seit seiner „Wiederwahl“ im August 2020 unabhĂ€ngige Journalistinnen und Journalisten weiterhin mit großer HĂ€rte. Mehr als 20 Medienschaffende sitzen im GefĂ€ngnis. Am 23. Mai 2021 ließ Lukaschenko ein Flugzeug nach Minsk umleiten, um einen oppositionellen Exil-Journalisten verhaften zu lassen. Immer mehr belarussische Medien werden als extremistisch eingestuft. Wer Inhalte dieser Medien teilt oder auch nur liest, kann strafrechtlich verfolgt werden.

In Zentralasien herrscht nach wie vor lediglich in Kirgistan (72) ein gewisses Maß an Pressefreiheit und Medienpluralismus, wĂ€hrend das seit Jahrzehnten diktatorisch regierte Turkmenistan (177) weiterhin zu den Schlusslichtern auf der Rangliste gehört. Im SĂŒdkaukasus ist die Situation in Aserbaidschan (154) am schwierigsten, wo PrĂ€sident Ilcham Alijew kritische Medienschaffende unerbittlich verfolgt.

Europa ist nach wie vor die Weltregion, in der Journalistinnen und Journalisten im Vergleich am freiesten arbeiten können. 2021 haben sich jedoch einige besorgniserregende Trends fortgesetzt. Die vielerorts zunehmende Gewalt gegen Medienschaffende gipfelte in gleich zwei Morden binnen weniger Monate: dem an Giorgos Karaivaz in Griechenland (108) und an Peter R. de Vries in den Niederlanden (28). Beide wurden tagsĂŒber im öffentlichen Raum mit SchĂŒssen geradezu hingerichtet.

Griechenland löst in diesem Jahr Bulgarien (91) als am schlechtesten platziertes Land der EU ab. Medienschaffende wurden im vergangenen Jahr regelmĂ€ĂŸig daran gehindert, ĂŒber kontroverse Themen wie die Situation von GeflĂŒchteten auf den griechischen Inseln oder die Folgen der Pandemie zu berichten. Ein neues Fake-News-Gesetz erhöht die Gefahr von Selbstzensur. Rechts- wie Linksextreme greifen regelmĂ€ĂŸig RedaktionsrĂ€ume an. DarĂŒber hinaus bleibt die Ermordung des erfahrenen Kriminalreporters Giorgos Karaivaz im April 2021 noch immer nicht aufgeklĂ€rt.

Die Niederlande bĂŒĂŸten aufgrund der Ermordung von Peter de Vries, eines Polizeireporters und Rechtsberaters fĂŒr Verbrechensopfer, ihren Platz in den Top Ten der Rangliste ein. Pressefreiheit nimmt in dem Land traditionell einen hohen Stellenwert ein und wird durch Gesetze, Staat und Behörden geschĂŒtzt. GewalttĂ€gige Übergriffe auf Medienschaffende und Redaktionen gab es allerdings schon in frĂŒheren Jahren, die verbale AggressivitĂ€t on- wie offline hat zuletzt zugenommen.

Außer in Deutschland und in den Niederlanden wurden besonders in Frankreich (26) und Italien (58) etliche Journalistinnen und Journalisten Opfer von gewalttĂ€tigen Übergriffen.

Polen (66) verfĂŒgt zwar eine diverse Medienlandschaft, allerdings hat die PiS-Regierung im Jahr 2021 wiederholt versucht, Einfluss auf die redaktionelle Linie privater Medien zu erlangen. Ab September hat sie die Berichterstattung an der Grenze zu Belarus eingeschrĂ€nkt. In Ungarn (85) haben die Behörden dem letzten unabhĂ€ngigen Radiosender Klubradio endgĂŒltig und willkĂŒrlich die Lizenz entzogen. Dort, aber auch in Slowenien (54) und Albanien (103), haben die jeweiligen Regierungen versucht, durch neue Gesetze die Arbeit der unabhĂ€ngigen Medien einzuschrĂ€nken.

In Serbien (79) gab es Fortschritte im Kampf gegen die Straffreiheit bei Verbrechen an Medienschaffenden. So wurde der Gerichtsprozess zum Brandanschlag auf das Haus des Journalisten Milan Jovanovic neu aufgerollt. Eine ebenfalls positive Entwicklung ist nach dem Regierungswechsel in Bulgarien (91) zu erwarten, das den letzten Platz unter den EU-LĂ€ndern mit Griechenland getauscht hat.

In der TĂŒrkei (149) ist die Lage der Pressefreiheit weiter katastrophal. 90 Prozent der Medien werden staatlich kontrolliert, das Internet ist nahezu systematisch zensiert. Die Justiz wird missbraucht, um Journalistinnen und Journalisten mundtot zu machen. Zwei Journalisten wurden seit Anfang 2021 ermordet.

In der Region Asien-Pazifik, wo mehr als die HĂ€lfte der Weltbevölkerung lebt, hat sich die Pressefreiheit insgesamt stark verschlechtert. Zum einen fĂŒhrte die MilitĂ€rjunta in Myanmar (176) im Zuge ihres Putsches einen regelrechten Krieg gegen Journalistinnen und Reporter. Myanmar hat sich auf der Rangliste drastisch verschlechtert und liegt nun als eines der weltweit grĂ¶ĂŸten GefĂ€ngnisse fĂŒr Medienschaffende auf dem fĂŒnftletzten Rang weltweit.

Zum anderen hat die MachtĂŒbernahme der Taliban in Afghanistan (156) die Arbeitsbedingungen fĂŒr Medienschaffende und Redaktionen enorm erschwert. Medienschaffende sind in allen Teilen des Landes zur Zielscheibe von EinschĂŒchterung und Gewalt geworden, es herrscht in Teilen offene Zensur. Besonders dramatisch ist die Situation fĂŒr Frauen: Vier von fĂŒnf Journalistinnen haben ihren Beruf aufgegeben oder aufgeben mĂŒssen.

Das Regime in China (175) weitet sein Modell der Informationskontrolle innerhalb und außerhalb seiner Grenzen aus: Hongkong (148), als Sonderverwaltungszone von Peking kontrolliert, hat auf der neuen Rangliste so viele PlĂ€tze verloren wie kein anderes Land. Auch die Regierungen von Vietnam (174) und Singapur (139) haben ihren Einfluss auf die Medien verschĂ€rft.

Auch in LÀndern, die als demokratischer gelten, werden die Medien von zunehmend autoritÀren Regierungen unter Druck gesetzt, etwa in Indien (150), Sri Lanka (146) und den Philippinen (147). Kritische Journalistinnen wie die FriedensnobelpreistrÀgerin Maria Ressa aus den Philippinen oder die Inderin Rana Ayyub sind Ziel intensiver Verfolgungs- und Verleumdungskampagnen.

Zahlreiche Medien unterliegen zunehmender Kontrolle durch große Industriekonzerne. Deren Einfluss fördert die Selbstzensur von Journalistinnen und Redakteuren, beispielsweise in Japan (71), SĂŒdkorea (43) und Australien (39).

Umgekehrt spielt die freie AusĂŒbung des Journalismus eine wichtige Rolle bei der Konsolidierung aufstrebender Demokratien, etwa in der Mongolei (90) und in Osttimor (17). Neuseeland (11) hat institutionelle Schutzmechanismen gegen politische und wirtschaftliche Einflussnahme entwickelt und ist damit ein Vorbild in der Region.

In den LĂ€ndern des Nahen Ostens und Nordafrikas ist die Situation der Medien besorgniserregend. Seit Jahren steht die ĂŒberwiegende Mehrheit der LĂ€nder der Region in der Rangliste auf den hinteren PlĂ€tzen. Mehrere Journalistinnen und Reporter wurden im Jahr 2021 bei ihrer Arbeit getötet oder vorsĂ€tzlich ermordet.

Im Libanon (130) wurde der Journalist und politische Analyst Lokman Slim am 4. Februar 2021 tot neben seinem Auto gefunden. Auf ihn als scharfen Kritiker der Hisbollah war ein Kopfgeld ausgesetzt. In dem krisengeschĂŒttelten Land nehmen digitale Angriffe und Todesdrohungen gegen Medienschaffende zu. Weil die Behörden zumeist untĂ€tig bleiben, sind viele Journalistinnen und Journalisten ins Exil gegangen.

Auch im Jemen (169) ist die Berichterstattung oft lebensgefĂ€hrlich. Allein in Aden starben drei Reporter bei Explosionen. Die Journalistin Rascha Abdallah al-Harazi wurde durch eine Autobombe getötet, ihr Ehemann Mahmud al-Atmi, ebenfalls Journalist, ĂŒberlebte das Attentat.

Bei ZusammenstĂ¶ĂŸen in Ostjerusalem wurden im Mai 2021 mehrere Journalisten aus den PalĂ€stinensischen Gebieten (170) durch israelische SicherheitskrĂ€fte verletzt. Im Zuge der nachfolgenden israelischen MilitĂ€roffensive im Gazastreifen starben zwei Journalisten durch Bombenangriffe. Infolge dessen ist PalĂ€stina in die Schlussgruppe der LĂ€nder mit der schlechtesten Pressefreiheits-Bilanz weltweit abgerutscht. Israel steht auf Rang 86.

Dem Regime in Saudi-Arabien (166) ist es jĂŒngst gelungen, den Gerichtsprozess im Mord an Jamal Khashoggi nach Riad zu holen. Jegliche Chance auf Gerechtigkeit fĂŒr den Journalisten ist damit wohl vergeben. Das Land bleibt eines der schlimmsten GefĂ€ngnisse der Welt fĂŒr Medienschaffende.

Auch im Iran (178) war 2021 kein gutes Jahr fĂŒr die Pressefreiheit. Der neue PrĂ€sident Ebrahim Raisi und Gholamhossein Mohseni-Esche'i als neuer Leiter des iranischen Justizsystems haben persönlich Verbrechen gegen Journalistinnen und Journalisten verantwortet. Seit sie an der Macht sind, beobachtet RSF eine Zunahme von willkĂŒrlichen Verhaftungen und Verurteilungen. In mehreren FĂ€llen wurde Medienschaffenden bewusst die medizinische Versorgung vorenthalten.

Ernsthaft verschlechtert hat sich die Situation der Pressefreiheit in Algerien (134). Viele Journalistinnen und Reporter wurden inhaftiert, strafrechtlich verfolgt oder mit einem Reiseverbot belegt. Mehrere Nachrichtenseiten wurden blockiert, regierungskritische Publikationen wurden von GeldflĂŒssen abgeschnitten.

In Marokko (135) sind mittlerweile nur noch wenige unabhĂ€ngige Medien tĂ€tig. Drei große Strafverfahren haben seit 2018 ihre abschreckende Wirkung auf die Presse nicht verfehlt: Taufik Bouachrine, Omar Radi und Souleiman Raissouni wurden unter fadenscheinigen GrĂŒnden und trotz internationalen Drucks strafrechtlich verfolgt und inhaftiert. Noch besorgniserregender ist die Lage in Libyen (143) und im Sudan (151), wo das Fehlen einer handlungsfĂ€higen Regierung einen ernsthaften Einsatz fĂŒr die Pressefreiheit verhindert. Das MilitĂ€r ist allgegenwĂ€rtig, insbesondere im Sudan.

Tunesien (94) belegt unter den LĂ€ndern der Region seit mehreren Jahren einen der vorderen PlĂ€tze. Presse- und Informationsfreiheit sind unbestreitbare Errungenschaften der neuen, 2014 verabschiedeten Verfassung. Ernsthafte Bedenken kamen jedoch auf, als PrĂ€sident Kais Saied im Juli 2021 die Macht ĂŒbernahm und den Ausnahmezustand ausrief.

In den meisten LĂ€ndern Lateinamerikas arbeiten Journalistinnen und Journalisten in einem zunehmend toxischen Arbeitsumfeld. Wie schon 2020 verstĂ€rkte die Corona-Krise auch 2021 Zensurbestrebungen und verschlechterte die wirtschaftlich angespannte Lage vieler Medien weiter. Medienfeindliche Rhetorik aus der Politik befeuerte unter anderem in Brasilien (110), Venezuela (159), Nicaragua (160), El Salvador (112) und Kuba (173) das Misstrauen in die Medien. Hinzu kommen Verleumdungs- und EinschĂŒchterungskampagnen, insbesondere gegen Frauen, und Online-Hetze gegen kritische Medienschaffende.

Die Lage fĂŒr Medienschaffende in Nicaragua spitzte sich 2021 dramatisch zu. Die Wiederwahl von PrĂ€sident Daniel Ortega im November 2021 wurde von einem brutalen Vorgehen gegen kritische Stimmen begleitet. Die wenigen letzten Bastionen der freien Presse gerieten unter Beschuss, und die ĂŒberwiegende Mehrheit der unabhĂ€ngigen Journalistinnen und Journalisten verließ das Land, um einer Strafverfolgung zu entgehen.

Äußerst besorgniserregend ist auch die Situation in El Salvador. Seit PrĂ€sident Nayib Bukele 2019 an die Macht kam, attackiert er zunehmend Medienschaffende und stilisiert die Presse als Feindin des Volkes. Ein geplantes Gesetz, mit dem Medien aufgrund finanzieller UnterstĂŒtzung aus dem Ausland als „auslĂ€ndische Agenten“ gekennzeichnet werden können, droht die Arbeit in- und auslĂ€ndischer Journalistinnen und Journalisten weiter zu erschweren.

In Mexiko (127) wurden 2021 mindestens sieben Medienschaffende ermordet. Zum dritten Jahr in Folge ist es das tödlichste Land der Welt fĂŒr Journalistinnen und Journalisten – beim Indikator Sicherheit belegt Mexiko Platz 179 von 180 (vor Myanmar).

In den USA (42) hat sich die Lage der Pressefreiheit seit dem Amtsantritt von PrĂ€sident Joe Biden leicht entspannt. So wurden unter Biden die regelmĂ€ĂŸigen Pressekonferenzen des Weißen Hauses und der Bundesbehörden wieder eingefĂŒhrt. Chronische Probleme bleiben jedoch, wie das Lokalzeitungssterben und eine systematische Polarisierung der Medien.

WĂ€hrend Kanada (19) sich auf internationaler BĂŒhne als Verfechter der Pressefreiheit zeigt, wurden Reporterinnen und Reporter im Land selbst zuletzt in ihrer Arbeit behindert: Bei Protesten gegen Corona-Maßnahmen wurden sie feindselig behandelt, teilweise mit dem Tode bedroht und ihnen wurde der Zugang verweigert. Bei Protesten von Indigenen gegen eine Ölpipeline wurden Medienschaffende festgenommen.

Costa Rica (8) bleibt als MusterschĂŒler auf dem amerikanischen Doppelkontinent ein Einzelfall.

Die Lage der Pressefreiheit in Subsahara-Afrika ist Ă€ußerst heterogen. LĂ€nder wie SĂŒdafrika (35) und der Senegal (73) verfĂŒgen ĂŒber eine vielfĂ€ltige Medienlandschaft. Dem stehen LĂ€nder wie Dschibuti (164) und Eritrea (179) gegenĂŒber, in denen kritische Stimmen fast vollstĂ€ndig verstummt sind und es keinen Raum fĂŒr eine freie und unabhĂ€ngige Presse gibt. Als Gesamtheit betrachtet, ist Subsahara-Afrika jedoch die Region, die die wenigsten hochproblematischen LĂ€nder beherbergt. In nur zwei von 48 Staaten ist die Lage der Pressefreiheit sehr ernst (dunkelrot).

In einigen Staaten wie den Seychellen (13), Gambia (50) und Angola (99) hat sich die Medienlandschaft, die lange Zeit gegĂ€ngelt wurde, durch politischen Wandel in unterschiedlichem Maße geöffnet. Dennoch mĂŒssen kritische Stimmen in vielen LĂ€ndern Subsahara-Afrikas weiterhin damit rechnen, dass sie verfolgt und unterdrĂŒckt werden. Vielen Medien fehlt es zudem an einem nachhaltigen Wirtschaftsmodell. Da diese hĂ€ufig in Privatbesitz sind, mĂŒssen sich die Mitarbeitenden dem redaktionellen Diktat der EigentĂŒmer beugen. Im Zuge der Corona-Pandemie wurden teils drakonische Internetgesetze erlassen, um gegen kritische Berichterstattung vorzugehen.

In der Sahelzone haben Unsicherheit und politische InstabilitĂ€t stark zugenommen, und die Pressefreiheit hat zuletzt schwere RĂŒckschlĂ€ge erlitten. 2021 wurden in Burkina Faso (41) zwei spanische Journalisten getötet. In Mali (111) wurde ein französischer Reporter von einer bewaffneten Gruppe entfĂŒhrt und befindet sich weiterhin in deren Gewalt. Benin (121), Mali und Burkina Faso verwiesen mehrere kritische Medienschaffende des Landes.

All die genannten Probleme fĂŒhrten dazu, dass sich in diesem Jahr zwölf LĂ€nder mehr in der schlechtesten Kategorie „sehr ernste Lage“ wiederfinden – so viele wie noch nie. Dies ist jedoch aufgrund einer eingeschrĂ€nkten Vergleichbarkeit eher als Tendenz zu verstehen. Die Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen vergleicht die Situation fĂŒr Journalistinnen, Journalisten und Medien in 180 Staaten und Territorien. Zur 20. Ausgabe wurde die Rangliste 2022 erstmals mit einer neuen Methode ermittelt, um die KomplexitĂ€t der VerhĂ€ltnisse, die die Pressefreiheit weltweit beeinflussen, besser widerzuspiegeln.

RSF hat die neue Methodik mit einem Expertenkomitee aus Medien und Forschung erarbeitet. Die Rangliste stĂŒtzt sich nun auf fĂŒnf neue Indikatoren: politischer Kontext, rechtlicher Rahmen, wirtschaftlicher Kontext, soziokultureller Kontext und Sicherheit. Diese Indikatoren werden in jedem der 180 untersuchten Staaten und Territorien ermittelt – zum Einen auf Grundlage von quantitativen Erhebungen zu Übergriffen auf Journalistinnen, Journalisten und Medien, zum Anderen auf Grundlage einer qualitativen Untersuchung, fĂŒr die ausgewĂ€hlte Journalistinnen, Wissenschaftler und Menschenrechtsverteidigerinnen in den jeweiligen LĂ€ndern einen Fragebogen mit 123 Fragen beantworteten. Auch dieser Fragebogen wurde 2022 aktualisiert, um neuen Herausforderungen fĂŒr den Journalismus unter anderem durch die Digitalisierung Rechnung zu tragen. Mehr zur neuen Methodik hier.

Die Platzierungen einzelner LĂ€nder lassen sich somit nur sehr bedingt mit denen der Vorjahre vergleichen, weshalb sich Reporter ohne Grenzen in diesem Jahr weniger auf die AufwĂ€rts- und AbwĂ€rts-Bewegungen einzelner LĂ€nder fokussiert. Auch die Farbgebung auf der Weltkarte der Pressefreiheit wurde verĂ€ndert: Anstatt von weiß ĂŒber rot und gelb bis schwarz rangieren die LĂ€nder nun von grĂŒn und orange bis rot.

In die Rangliste der Pressefreiheit 2022 fließen Daten von Anfang 2021 bis Ende Januar 2022 ein. In LĂ€ndern, in denen sich die Lage der Pressefreiheit seit Januar dramatisch verĂ€ndert hat (Russland, Ukraine und Mali) wurden Entwicklungen bis einschließlich MĂ€rz 2022 berĂŒcksichtigt.

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