Deutschland 17.04.2024

Radio Dreyeckland: Prozessauftakt gegen Redakteur

Zuerst wurden die Redaktionsräume von RDL durchsucht, danach wurde Anklage gegen den Redakteur Fabian Kienert erhoben. © RDL

Dürfen Redakteurinnen und Redakteure in ihrer Berichterstattung auf die Internetauftritte verbotener Vereinigungen verlinken? Welche Rolle spielt die Pressefreiheit, wenn journalistische Arbeit auf strafrechtliche Verfahren trifft? Um diese Kernfragen dreht sich der Prozess gegen einen Redakteur von Radio Dreyeckland (RDL), der am Donnerstagmorgen, 18. April, am Landgericht Karlsruhe beginnt. Der RDL-Journalist schrieb einen Artikel über die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens gegen das Portal linksunten.indymedia und verlinkte in diesem Zusammenhang deren archivierte Website. linksunten.indymedia war zuvor als Vereinigung verboten worden. Grundsätzlich ist die Unterstützung einer verbotenen Vereinigung strafbar. Reporter ohne Grenzen (RSF) betont aber, dass die Verlinkung eines solchen Archivs im Rahmen der Berichterstattung von der Pressefreiheit geschützt ist. 

„Wenn Berichterstattung wie im Fall von Radio Dreyeckland kriminalisiert wird, ist das nicht nur absurd, sondern gefährlich für die Pressefreiheit und damit kontraproduktiv für eine lebendige Demokratie”, sagte Nicola Bier, Referentin für Recht bei RSF. „Dass die Justiz in Baden-Württemberg das Setzen einer relevanten Verlinkung im Rahmen journalistischer Berichterstattung  als strafbare Unterstützung der verlinkten Inhalte wertet, ist schwer nachvollziehbar. Eine deutliche Anerkennung dieses Eingriffs in die Pressefreiheit in der nun anstehenden Hauptverhandlung käme zwar spät im Verfahren, ist aber umso nötiger. Nur so kann das Gericht verhindern, dass das Vorgehen gegen den freien Radiosender zu einer großen Verunsicherung bei Redakteurinnen und Redakteuren in ganz Deutschland führt.”

Zum Hintergrund des Verfahrens

Bereits 2017 wurde das Internetportal linksunten.indymedia verboten. Hierfür argumentierte das Bundesinnenministerium, dass das Portal von einem linksradikalen Verein betrieben werde – somit konnte das umstrittene Medium als Verein nach dem Vereinsgesetz verboten werden. Anfang 2023 wurden dann die Redaktionsräume des freien Senders Radio Dreyeckland in Freiburg sowie die Wohnungen zweier Journalisten durchsucht. Sie hatten in einem Artikel auf das statische Archiv von linksunten.indymedia verlinkt, das zu diesem Zeitpunkt einfach per Internetsuche auffindbar war. 

Statisch bedeutet in diesem Fall, dass die Interaktionsfunktion der ehemaligen Open-posting-Plattform zu diesem Zeitpunkt bereits eingefroren war. Es war also nicht mehr möglich, sich über die Seite zu verbotenen Aktivitäten zu verabreden oder weitere möglicherweise strafbare Inhalte zu verbreiten. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe sah darin eine strafbare Unterstützung einer verbotenen Vereinigung und nahm Ermittlungen gegen die Berichterstattenden auf. Der Artikel mit der Verlinkung, die Anlass für die Durchsuchung war, wurde nie von der zuständigen Landesmedienbehörde beanstandet und findet sich weiter auf der Seite des Senders

Im Mai 2023 beschloss das Landgericht Karlsruhe, die zwischenzeitlich gegen RDL-Redakteur Fabian Kienert erhobene Anklage der Staatsanwaltschaft nicht zuzulassen. Ein zentrales Argument des Gerichts war die Pressefreiheit, die die Verlinkung des Archivs im Rahmen der Berichterstattung schütze. Doch die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde gegen diese Entscheidung ein – mit Erfolg: Im Juni 2023 ließ das Oberlandesgericht die Anklage zu. Der Artikel mit der Verlinkung sei nicht von der Pressefreiheit gedeckt, da die verbotene Vereinigung noch existiere und der Artikel des Radiosenders als „Propaganda“ interpretiert werden könne. Im Falle einer Verurteilung drohen Fabian Kienert bis zu drei Jahre Gefängnis. Insgesamt sind neun Prozesstage angesetzt, drei davon als Reservetermine.

Im Prozess wird es insbesondere um die Frage gehen, ob das Archiv von linksunten.indymedia wirklich die Fortsetzung der verbotenen Vereinigung darstellt und so die Verlinkung des Archivs eine Unterstützung der Vereinigung darstellt. RSF betont, dass ein wesentlicher Gegenstand der Verhandlung die Bedeutung und Reichweite der Pressefreiheit sein muss, die journalistische Arbeit grundsätzlich schützt. Nur vor diesem Hintergrund kann beurteilt werden, ob sich der angeklagte Journalist durch die Verlinkung tatsächlich strafbar gemacht haben kann.

Bedeutung für die Pressefreiheit

RSF ist überzeugt: Wo Inhalte dargestellt werden, um umfassend zu berichten und die Diskussion über eine mögliche Strafbarkeit zu ermöglichen, kann die Verlinkung selbst nicht ohne Weiteres strafbar sein. Strafverfahren, vor allem im politischen Kontext, erzeugen oft großes gesellschaftliches Interesse. Journalistische Berichterstattung über solche Verfahren soll die Meinungsbildung und Diskussionen über solche Verfahren ermöglichen und so die Arbeit einer rechtsstaatlichen Justiz legitimieren. 

Das Verfahren gegen Fabian Kienert beeinträchtigt nicht nur den Angeklagten selbst, sondern hat eine einschüchternde Wirkung auf alle, die über strafrechtliche Themen berichten möchten. Wo Berichterstattung aus Angst vor strafrechtlichen Ermittlungen unterbleibt, ist die Informationsfreiheit aller beeinträchtigt. Das Vorgehen gegen Mitglieder von Radio Dreyeckland ist hier kein Einzelfall: Auch die Telekommunikationsüberwachung des Pressetelefons der Letzten Generation wurde ohne ausreichende Berücksichtigung der Pressefreiheit angeordnet. Nun fordern betroffene Berichterstattende die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Überwachung ein, unterstützt von RSF und der Gesellschaft für Freiheitsrechte. 

Dass die Verfassungsmäßigkeit dieser strafrechtlichen Maßnahmen überhaupt angezweifelt und diskutiert wird, ist in beiden Fällen nur aufgrund von Öffentlichkeitsarbeit, juristischem Beistand und umfassender Unterstützung der Betroffenen aus der Zivilgesellschaft möglich. In einem Rechtsstaat muss die Justiz jedoch von sich aus den Grundrechten eine ausreichende Bedeutung beimessen und entsprechend handeln. RSF steht für die Perspektive ein, dass bei Eingriffen in die Pressefreiheit stets nicht nur die Medienschaffenden selbst, sondern die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit betroffen ist. Denn die Informationsfreiheit aller verhält sich spiegelbildlich zur Pressefreiheit der Medienschaffenden.

Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland auf Platz 21 von 180 Ländern. Am 3. Mai 2024, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, veröffentlicht RSF die aktualisierten Ranglistenplätze.



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