Türkei 20.07.2021

Behörden verweigern Journalisten Akkreditierung

© picture alliance / dpa | Ole Spata

Reporter ohne Grenzen verurteilt die willkürliche Vergabe von Pressekarten in der Türkei, mit der die Behörden kritische Medienschaffende unter Druck setzen und ihre Berichterstattung einschränken. So können Journalistinnen und Journalisten ohne diese Akkreditierung zum Beispiel nicht von Pressekonferenzen des Präsidenten berichten. Auch kann die Polizei sie daran hindern, Straßeninterviews zu führen. Laut einer neuen Richtlinie dürfen sie zudem keine Polizeieinsätze bei Demonstrationen filmen. In den vergangenen drei Jahren hat die zuständige Behörde mehr als 1300 Anträge auf eine Pressekarte abgelehnt. Das Problem betrifft zum Teil auch ausländische Medienschaffende in der Türkei. Für sie ist die Pressekarte nicht nur die Arbeitserlaubnis, sondern in der Regel auch Voraussetzung für die Aufenthaltsgenehmigung. So haben die türkischen Behörden dem neuen stern-Nahost-Korrespondenten Jonas Breng ohne Begründung die Presse-Akkreditierung verweigert. Dieser kann daher nicht wie geplant von Istanbul aus berichten. Nach RSF-Informationen ist er derzeit der einzige deutsche Medienschaffende, dem die Pressekarte verweigert wurde.

„Die derzeitige Praxis ist reine Schikane und bestraft kritische Journalistinnen und Journalisten in der Türkei. Wir fordern eine unabhängige Instanz, damit die voreingenommene Vergabe von Pressekarten endlich ein Ende hat“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Anstatt unabhängige Auslandsberichterstattung einzuschränken, müssen die türkischen Behörden zudem dafür sorgen, dass der Korrespondent Jonas Breng in der Türkei frei arbeiten kann.“

Seit dem Putschversuch im Juli 2016 hat sich die Situation verschärft. Seitdem haben die türkischen Behörden rund 2000 Pressekarten annulliert. Betroffen waren unter anderem Journalistinnen und Journalisten, die den Kreisen des im Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen nahestehen, den die Regierung hinter dem gescheiterten Putsch vermutet, sowie säkulare oder pro-kurdische Medienschaffende. Regierungsfreundliche Journalistinnen und Journalisten haben offenbar keine Probleme, Pressekarten zu erhalten, selbst wenn sie sich der Hassrede, Desinformation oder Hetze gegen Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger schuldig gemacht haben.

Zuständig für die Akkreditierungen war früher das inzwischen aufgelöste Ministerpräsidentenamt. Mit der Einführung des Präsidialsystems im Jahr 2018 ging diese Funktion an das Präsidialamt. In den drei Jahren, in denen die Präsidialdirektion für Kommunikation (CIB) für die Akkreditierungen zuständig ist, hat sie 1.371 der 10.486 von Journalistinnen und Journalisten eingereichten Anträge abgelehnt. Zudem hat sie seit 2019 mehr als 1.200 Presseausweise annulliert. Der Chef der Journalistengewerkschaft TGS schätzt, dass nur ein Viertel der 25.000 Journalistinnen und Journalisten in der Türkei eine Pressekarte besitzt.

Vier exemplarische Fälle türkischer Journalisten

RSF macht auf die Fälle von vier türkischen Medienschaffenden aufmerksam, die sich vor Gericht gegen die willkürliche Praxis wehren. Mustafa Sönmez hat seit November 2019 keine Pressekarte. Gegen den Journalisten und Wirtschaftswissenschaftler laufen mehrere Verfahren, darunter eines wegen „Beleidigung des Präsidenten“. Im Mai ordnete ein Verwaltungsgericht in Ankara die Behörden an, Sönmez eine Pressekarte auszustellen, weil er alle Kriterien für eine dauerhafte Akkreditierung erfülle.

Auch die Journalistin Nadire Mater bekam in den vergangenen zwei Jahren keine Pressekarte ausgestellt. Mater war in den 90er Jahren die RSF-Repräsentantin in der Türkei und arbeitet heute als Beraterin für die Nachrichtenseite Bianet.org. Auch sie wehrt sich vor Gericht und wartet noch auf eine Entscheidung. Der Autorin des Buches „Mehmedin Kitabi“ (Mehmets Buch), in dem Soldaten den Kampf gegen kurdische bewaffnete Separatisten in den 90er Jahren beschreiben, wurde nach Erscheinen des Buches „Verunglimpfung der Sicherheitskräfte“ vorgeworfen, im Jahr 2000 wurde sie endgültig freigesprochen.

Der Journalist Aydin Engin besaß fast 25 Jahre eine Pressekarte. Auch er bat ein Verwaltungsgericht, die Regierung anzuweisen, diese zu erneuern. Eine Entscheidung steht noch aus. Der ehemalige Cumhuriyet-Kolumnist wurde am Ende eines kafkaesken Prozesses im April 2018 wegen „Unterstützung einer illegalen Organisation“ zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Das Ausbleiben jeglicher Reaktion auf seinen Antrag für eine neue Pressekarte war Gegenstand einer im April von Zeitungsredakteur Kazım Güleçyüz angestrengten Klage. Aufgrund seiner Beiträge in sozialen Netzwerken und Artikeln hatte ihn ein Gericht in Istanbul im Januar 2020 wegen „Propaganda“ zur Unterstützung der Organisation von Fethullah Gülen zu 20 Monaten Haft verurteilt, wie Engin ist auch Güleçyüz jedoch nicht im Gefängnis.

Auch Auslandskorrespondenten betroffen

Diese vier Fälle illustrieren den Kampf um die Pressekarten, der zwischen Journalistinnen und Journalisten und den Behörden geführt wird. Neben türkischen Medienschaffenden können auch ausländische Journalistinnen und Journalisten davon betroffen sein, wie der Fall des Korrespondenten Jonas Breng zeigt. Er berichtet seit Juli für den stern von Athen aus über den Nahen und Mittleren Osten und den östlichen Mittelmeerraum. Die geplante Entsendung nach Istanbul war nicht möglich, weil die türkischen Behörden ihm ohne Begründung die Presse-Akkreditierung verweigert und damit auch das Aufenthaltsrecht verwehrt haben.

RSF hatte die türkischen Behörden bereits in den vergangen beiden Jahren kritisiert, weil damals Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten mehrere Wochen auf die neue Akkreditierung warten mussten. Im März 2019 mussten Tagesspiegel-Korrespondent Thomas Seibert und ZDF-Korrespondent Jörg Brase die Türkei sogar zwischenzeitlich verlassen, weil die Behörden ihnen die Arbeitserlaubnis zunächst entzogen hatten, bevor sie schließlich doch noch ihre Pressekarten erhielten.

Vage Gründe für Entzug des Presseausweises

Als Reaktion auf eine Beschwerde einer türkischen Journalistenvereinigung entschied die Abteilung für Verwaltungsangelegenheiten des Staatsrats im November 2020, dass eine CIB-Richtlinie, die sehr vage formulierte Gründe für die Verweigerung einer Pressekarte auflistet, „geeignet ist, ein Klima der Einschüchterung für Journalistinnen und Journalisten zu schaffen.“ Zu den Gründen dieser Richtlinie zählte etwa, wenn Personen „die Ehre des Berufsstandes untergraben oder gegen ihn handeln“, „gegen die nationale Sicherheit handeln oder die öffentliche Ordnung gefährden“ oder sich „ein solches Verhalten zur Gewohnheit machen.“

Am 21. Mai verabschiedete das CIB eine wenig zufriedenstellende neue Richtlinie. Sie besagt, dass „einem Journalisten, der nach einem Monat Arbeitslosigkeit keinen Job findet, die Pressekarte entzogen wird“ und „ein Sonderkomitee entscheiden kann, einem Journalisten die permanente Pressekarte zu entziehen.“

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 153 von 180 Staaten.



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