Vereinigtes Königreich / USA 20.02.2020

Assange darf nicht an die USA ausgeliefert werden

© picture alliance/ROPI

Vor der am Montag (24. Februar) beginnenden Anhörung über die Auslieferung des Wikileaks-Gründers Julian Assange aus Großbritannien in die USA mahnt Reporter ohne Grenzen (ROG) die britischen Behörden eindringlich, dem Auslieferungsersuchen nicht stattzugeben. Assange wird in den USA aufgrund von Enthüllungen aus dem Jahr 2010 unter anderem Spionage geworfen, ihm drohen bis zu 175 Jahre Haft. Sowohl eine Auslieferung als auch eine spätere Verurteilung würden einen gefährlichen Präzedenzfall für Whistleblowerinnen und Whistleblower sowie für investigative Journalistinnen und Journalisten schaffen. ROG fordert deshalb die USA auf, die Vorwürfe gegen Assange fallen zu lassen. Angesichts von Berichten über seinen alarmierenden Gesundheitszustand fordert die Organisation, ihn aus humanitären Gründen freizulassen.

„Julian Assange hat Informationen veröffentlicht und Medien zur Verfügung gestellt, die von öffentlichem Interesse sind. Das ist keine Straftat, sondern eine Tätigkeit, die für investigative Berichterstattung unverzichtbar ist“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Nachrichtenredaktionen sind darauf angewiesen, dass ihnen als geheim eingestufte Informationen zugespielt werden, um ihrer zentralen Rolle in der öffentlichen Meinungsbildung gerecht zu werden. Würde Julian Assange in die USA ausgeliefert, gar dort verurteilt, könnte das Whistleblowerinnen und Whistleblower, Journalistinnen und Journalisten überall auf der Welt davon abhalten, für die Öffentlichkeit relevante geheime Vorgänge in US- und in anderen Behörden aufzudecken.“

Delegation von Reporter ohne Grenzen als Beobachter in London

Eine Delegation von Reporter ohne Grenzen wird während der gesamten Anhörungswoche als Prozessbeobachter im Woolwich Crown Court in London sein. Zur Delegation gehören der ROG-Geschäftsführer Christian Mihr, der Generalsekretär der internationalen Organisation, Christophe Deloire, und die Leiterin des Londoner Büros, Rebecca Vincent. Interviewanfragen nimmt das ROG-Pressereferat in Berlin entgegen.

Mit einer am vergangenen Freitag (14. Februar) gestarteten Petition erhöht ROG den Druck auf die britische Regierung. Bereits mehr als 33.000 Unterzeichnende haben bislang die deutsche und die internationale Petition unterstützt und sich damit der Forderung angeschlossen, dass die britische Regierung bei ihrem Umgang mit Assange dem Grundsatz der Pressefreiheit oberste Priorität geben und in Einklang mit britischem Recht sowie internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Großbritanniens handeln soll. ROG ruft weiter dazu auf, die Petition zu unterzeichnen und unter dem Hashtag #FreeAssange in den sozialen Medien zu teilen.

Im Video zur Petition erläutert Reporter ohne Grenzen die Hintergründe des Falls und lässt UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer, Wikileaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson und Assanges Anwältin Renata Avila zu Wort kommen.

ROG gehörte zudem zu den Erstunterzeichnenden des gemeinsamen Appells von mehr als 100 Politikerinnen, Journalisten, Künstlerinnen und Juristen für eine Umgehende Freilassung von Julian Assange. Den vom Investigativjournalisten Günter Wallraff initiierten Appell haben inzwischen mehr als 30.000 Personen mitgezeichnet. Christian Mihr und Christophe Deloire haben ferner den Appell „Speak up for Assange“ von mehr als 1.200 internationalen Journalistinnen und Journalisten unterzeichnet. Ende November nahm ROG im Bundestag an einem Fachgespräch zum Schutz von Whistleblowerinnen und Whistleblowern, Informanten und Informantinnen teil, in dem es auch um den Fall Assange ging.

Seit vielen Jahren solidarisch an der Seite von Assange

Seit vielen Jahren steht ROG solidarisch an der Seite von Julian Assange. Die Organisation hat zahlreiche Pressemitteilungen zur Verteidigung von Assange und von Wikileaks veröffentlicht. Als 2010 versucht wurde, die Wikileaks-Webseite zu schließen, hat ROG die Inhalte der Seite auf seiner eigenen Webseite zwischengespeichert beziehungsweise gespiegelt. Vertreterinnen und Vertreter von ROG haben Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London besucht und seine Lebensbedingungen in der Botschaft sowie die Haftbedingungen in Großbritannien kritisiert. Der UN-Sonderberichterstatter über Folter Nils Melzer hat diese mit psychologischer Folter gleichgesetzt.

In den USA ist Assange in 18 Punkten angeklagt, 17 davon basieren auf dem Spionagegesetz (Espionage Act). Hintergrund ist die Veröffentlichung von hunderttausenden geheimen militärischen und diplomatischen Dokumenten im Jahr 2010.

Das Spionagegesetz wird von der Trump-Regierung zunehmend dazu genutzt, Berichterstattung und Whistleblowing einzuschränken, mit Verweis auf Interessen der nationalen Sicherheit. Es enthält nach Ansicht von ROG keine ausreichenden Vorkehrungen, um Whistleblowerinnen und Whistleblower vor Strafverfolgung zu schützen. Angeklagten ist es nicht erlaubt, zu ihrer Verteidigung vorzubringen, dass sie im öffentlichen Interesse handelten, und die Staatsanwaltschaft muss nur zeigen, dass die undichte Stelle die nationale Sicherheit hätte beeinträchtigen können – und nicht, dass sie es tatsächlich getan hat. ROG befürchtet, dass die gezielte Verfolgung von Assange unter dem Spionagegesetz einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen könnte. Dieser könnte künftig herangezogen werden, um Journalistinnen und Journalisten sowie Verlegerinnen und Verleger strafrechtlich zu verfolgen, weil sie sich an Aktivitäten beteiligt haben, die für die im öffentlichen Interesse liegende investigative Berichterstattung notwendig sind.

Assange ist seit zehn Monaten im Hochsicherheitsgefängnis von Belmarsh in London inhaftiert und wartet auf seine Anhörung. Im Mai 2019 war er zu einer 50-wöchigen Haftstrafe wegen Verstoßes gegen Kautionsauflagen verurteilt worden, weil er sich im Juni 2012 durch seine Flucht in die ecuadorianische Botschaft in London Ermittlungen entzogen haben soll. Diese Haftstrafe gilt seit September 2019 als abgegessen, seitdem ist er nur noch aufgrund des Auslieferungsersuchens der USA inhaftiert.

Sorge über Gesundheitszustand und Verletzung seiner Grundrechte

ROG ist besorgt über Berichte, dass Assange nicht ausreichend Gelegenheit hatte, sich auf seine Anhörung vorzubereiten, und dass seine Anwältinnen und Anwälte keinen angemessenen Zugang zu ihm im Gefängnis haben – beides Maßnahmen, die seine Grundrechte verletzen.

UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer hatte am 1. November öffentlich „seine Besorgnis über die anhaltende Verschlechterung des Gesundheitszustands von Julian Assange seit seiner Verhaftung und Inhaftierung Anfang dieses Jahres zum Ausdruck“ gebracht. Er erklärte zudem, dass Assanges „Leben nun in Gefahr sei“. Eine Gruppe von mehr als 60 Ärztinnen und Ärzten gab in einem offenen Brief vom 25. November eine ähnliche Warnung heraus. Assanges Gesundheitszustand sei so schlecht, dass er ohne baldige medizinische Versorgung im Gefängnis sterben könnte. Nach jüngsten Berichten hat sich Assanges Gesundheitszustand zuletzt gebessert. Ende Januar wurde Assange aus der Isolationshaft in einen anderen Teil des Gefängnisses verlegt.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit stehen die USA auf Platz 48 und Großbritannien auf Platz 33 von 180 Ländern.



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