Deutschland

Die Bundesregierung muss Chatkontrolle ablehnen

Die Bundesregierung muss Chatkontrolle ablehnen
© picture alliance / photothek.de | Thomas Trutschel
Seit drei Jahren wird die Einführung einer neuen EU-Verordnung zur "Chatkontrolle" diskutiert.

Seit drei Jahren wird sie kontrovers verhandelt: Eine EU-Verordnung, die sich gegen die Verbreitung von Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs richten soll. Nun hat die dänische Präsidentschaft das Thema erneut auf die Tagesordnung gesetzt und die Bundesregierung will diese Woche festlegen, ob sie dem Vorschlag zustimmt oder nicht.

Der Vorschlag sieht vor, dass Messenger wie WhatsApp, Signal, Telegram oder Threema dazu verpflichtet werden sollen, alle Inhalte, noch bevor sie verschlüsselt werden, ohne jeden Verdacht automatisiert zu durchsuchen, und ist daher weithin als „Chatkontrolle“ bekannt.

„Der Vorschlag der dänischen Ratspräsidentschaft, anlasslos die gesamte private Kommunikation zu durchleuchten, hätte schwerwiegende Folgen für die Pressefreiheit“, sagt Anja Osterhaus, Geschäftsführerin von Reporter ohne Grenzen (RSF). „Der Vorschlag würde Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation aushebeln und damit den Quellenschutz untergraben. Informantinnen und Whistleblower könnten sich dann nicht mehr sicher sein, dass ihre Informationen geschützt sind, und werden im Zweifel lieber schweigen. Wir fordern die Bundesregierung dazu auf, den Vorschlag abzulehnen und sich für die Sicherheit und Vertraulichkeit digitaler Kommunikation einzusetzen.”

Chatkontrolle: Nicht effektiv, unverhältnismäßig & grundrechtswidrig

In ihrem Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung zur Sicherung der digitalen Grundrechte bekannt und die Vertraulichkeit privater Kommunikation und Anonymität im Netz zugesichert. Die Chatkontrolle ist mit diesem Ziel nicht vereinbar, sondern greift massiv in die Privatsphäre und digitale Sicherheit aller ein. Denn der aktuelle dänische Ratsentwurf bedroht sichere, verschlüsselte Kommunikation in ihrer Gänze. 

Eine Vielzahl von Gutachten und Stellungnahmen von Sachverständigen hat festgestellt, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen ihr Ziel –  die Verbreitung von Kindesmissbrauchsmaterial einzudämmen – nicht effektiv oder verhältnismäßig erreichen würden. Hingegen weisen zivilgesellschaftliche Organisationen, Wissenschaftlerinnen und Experten aus der gesamten EU sowie Gutachten der wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, des Europäischen Parlaments und des Rates der EU darauf hin, dass die Maßnahmen unvereinbar mit verbrieften Grundrechten sind.

Gefährlicher Präzedenzfall

Einmal etablierte Überwachungsinfrastrukturen wecken Begehrlichkeiten für die Ausweitung ihres Einsatzes für andere Zwecke. Ausgerechnet die EU würde mit dieser Verordnung ein fatales Signal setzen und autokratischen Staaten die Grundlage für eigene Überwachungsmaßnahmen liefern.

Meredith Whittacker, die Chefin der Signal-App, hat bereits gewarnt, dass Signal den europäischen Markt im Zweifelsfall verlassen müsse, wenn die Chatkontrolle eingeführt wird. Auch WhatsApp und Threema haben sich klar gegen das Vorhaben positioniert.