JX Fund

Grenzenloser Journalismus: Die Rolle von Exilmedien bei internationaler Berichterstattung

Grenzenloser Journalismus: Die Rolle von Exilmedien bei internationaler Berichterstattung
© picture alliance/dpa | Alexander Welscher
Printausgabe von Novaya Gazeta Europe auf litauisch, einem Exilmedium aus Russland.

Sie decken Korruption und Unterdrückung auf, wo ausländische Korrespondent*innen keinen Zugang haben: Exilmedien sorgen dafür, dass zuverlässige Informationen aus geschlossenen Diktaturen weiterhin verfügbar bleiben. Basierend auf einem Bericht des JX Fund erläutert Reporter ohne Grenzen (RSF), wie wichtig Exiljournalist*innen in der internationalen Berichterstattung sind. Der JX Fund wurde von RSF mitbegründet und unterstützt Medien im Exil, die aufgrund von Verfolgung und Zensur nicht mehr in ihren Herkunftsländern arbeiten können.

„Exilmedien berichten über Orte, die sonst im Informations-Blackout versinken – und tragen so dazu bei, dass die globale demokratische Öffentlichkeit gestärkt wird”, sagt RSF-Geschäftsführerin Anja Osterhaus. „Demokratische Regierungen müssen mehr für den Schutz und das nachhaltige Fortbestehen von Exilmedien tun. Wer Pressefreiheit ernst nimmt, muss auch jene Journalist*innen unterstützen, die sie aus der Ferne verteidigen.“

„Exiljournalismus macht sichtbar, was Macht, Gewalt und Zensur verdecken, von Desinformation und Kriegsverbrechen bis zu Umweltzerstörung und Ausbeutung. Er bewahrt den Zugang zu freier Information und bleibt Voraussetzung demokratischer Mündigkeit und Verantwortung, in Diktaturen wie in Demokratien, über Grenzen hinweg.“

„Exiljournalismus bewahrt den Zugang zu freier Information und bleibt Voraussetzung demokratischer Mündigkeit und Verantwortung, in Diktaturen wie in Demokratien, über Grenzen hinweg“, ergänzt Maral Jekta, Geschäftsführerin des JX Fund. Ohne die Recherchen von Exiljournalist*innen wüsste die Öffentlichkeit heute kaum etwas über russische Propagandanetzwerke, Umweltkatastrophen in asiatischen Metropolen, oder auch über die Aktivitäten eines der international meistgesuchten Kriminellen Deutschlands. Diese Übersicht fasst die wichtigsten Punkte und Beispiele des ausführlichen JX Fund-Berichts zusammen.

1.     Exilmedien decken Bedrohungen durch autoritäre Regime auf

Autoritäre Regime greifen Demokratien zunehmend mit hybriden Mitteln wie etwa Wahlbeeinflussung, Desinformationskampagnen oder Cyberattacken an. Exiljournalist*innen aus ebendiesen autoritär regierten Ländern spielen eine wichtige Rolle bei der Aufdeckung solcher Angriffe. So hat das russische Investigativmedium The Insider in Zusammenarbeit mit dem Spiegel hunderte russische Desinformationswebseiten identifiziert und ebenso aufgedeckt, wie das russische Militär jahrelang afghanische Terrorgruppen finanzierte. Der iranische Exiljournalist Omid Rezaee recherchierte für eine NDR-Dokureihe zum Einfluss iranischer Sicherheitskräfte in Europa

2.     Exilmedien als Partner für internationale Recherchen

Exiljournalist*innen verschaffen internationalen Medien Zugang zu verlässlichen Informationen aus autoritären Staaten und decken Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und systematische Korruption mit auf.

So enthüllten syrische Exiljournalist*innen von Al Jumhuriya und SIRAJ gemeinsam mit internationalen Medien die systematische Entführung von Kindern aus regimekritischen Familien durch das Assad-Regime. Das internationale Projekt Ground Truths untersucht die Bodendegradation in Asien – unter der Mitwirkung chinesischsprachiger lokaler Exilmedien wie Project Multatuli, Myaelatt Athan und Initium Media zeigt das Projekt unter anderem, wie chinesische Städte wie Shanghai und Tianjin buchstäblich absinken.

Exil-Reporter*innen von The Insider enttarnten, wie der international gefahndete Wirecard-Manager Jan Marsalek unbehelligt in Moskau lebt und für russische Geheimdienste arbeitet. Die Exiljournalistin und Meduza-Reporterin Lilia Japparowa schrieb für die New York Times auf, wie Minderjährige zu Gunsten hybrider Kriegstaktiken sowohl von russischen als auch ukrainischen Sicherheitsbehörden rekrutiert werden. Das belarussische Exilmedium Reform.news berichtete, wie der AfD-Politiker Jörg Dornau politische Gefangene auf seiner Zwiebelfarm in Belarus ausbeutete – mit Billigung der Behörden.

3.     Exilmedien als unabhängige Informationsquellen über Konfliktregionen

In Kriegs- und Krisengebieten werden unabhängige Informationen systematisch unterdrückt – besonders Auslandskorrespondent*innen können zur Zielscheibe oder sogar als Geiseln genommen werden. Exilmedien sichern durch ihre Netzwerke und lokale Expertise oft die Faktenbasis für internationale Berichterstattung.

In Afghanistan etwa dokumentieren Exilmedien wie Zan Times, wie die Taliban Internetzugänge sperren und dadurch nicht nur willkürlich ein Informationsvakuum erschaffen, sondern auch landesweit Frauen von Online-Bildung ausschließen. Da internationalen Medien der Zugang zum Gazastreifen weiterhin untersagt ist und hunderte lokale Journalist*innen vertrieben oder getötet wurden, sind im Exil lebende palästinensische Reporter*innen für die Kriegsberichterstattung unverzichtbar geworden. Die Exiljournalist*innen Plestia Alagad und Nagham Mohanna erklären in einem Bericht für das Reuters Institute, wie sie sich auf vertrauenswürdige Kolleg*innen im Gazastreifen verlassen, um Berichte zu überprüfen und Geschichten aus einem von der Welt abgeschnittenen Gebiet zu erzählen.

Das russische Exilmedium Mediazona hat gemeinsam mit dem russischsprachigen Dienst der BBC seit Beginn des Angriffskriegs bereits über 145.000 Todesfälle unter russischen Soldaten identifiziert – eine Zahl, die von offiziellen Stellen verschwiegen wird. Ähnliche Recherchearbeit leisten Medien wie iStories und OVD-Info, die politisch motivierte Menschenrechtsverletzungen akribisch dokumentieren und deren Daten von Medien weltweit zitiert werden.

Auch in vielen weiteren Ländern sichern Exilmedienschaffende den Informationsfluss: In Myanmar senden The Irrawaddy und Mizzima trotz Militärzensur weiter aus dem Untergrund, indem sie aus Bunkern mithilfe von einem Kurzwellenradio arbeiten. Der nicaraguanische Journalist Wilfredo Miranda Aburto berichtet für El País über brutale Repressionen des Ortega-Murillo-Regimes.

4.     Exilmedien als Frühwarnsystem für Angriffe auf Demokratie

Wenn Pressefreiheit und Demokratie angegriffen werden, kommen die deutlichsten Warnungen oft von denjenigen, die demokratische Erosion bereits erlebt haben. So entschlüsseln zwei russische Exiljournalisten in der New York Times ein unter Putins Regime entstandenes Vokabular und beschreiben autoritäre Muster, mit denen sie Parallelen zur aktuellen US-Politik ziehen. Das Ergebnis ist ein „Glossar des Autoritarismus” - ein Sprachführer, der Amerikaner*innen helfen soll, ihre neue Realität zu benennen. Auch die temporäre Einstellung von Jimmy Kimmels Late Night Show nahmen einige Exiljournalist*innen zum Anlass, um Parallelen zu Putins autoritärer Machtübernahme in den frühen 2000ern zu ziehen – als Russlands Staatsoberhaupt anfing, Satiresendungen und Fernsehkomiker*innen zum Schweigen zu zwingen.

Mehr Informationen zur Arbeit von Exilmedien gibt es auf der Webseite des JX Funds in englischer Sprache.