Am 8. August werden die meisten Bestimmungen des Europäischen Medienfreiheitsgesetzes (EMFA) für die EU-Mitgliedstaaten verpflichtend. Angesichts dessen warnt Reporter ohne Grenzen (RSF) in einem neuen Bericht vor zunehmenden Bedrohungen für öffentlich-rechtliche Medien in Europa. Der RSF-Report “Pressure on public media: a decisive test for European democracies” (dt. „Druck auf öffentlich-rechtliche Medien: ein entscheidender Test für die europäischen Demokratien“) zeigt die Herausforderungen auf, auch für Deutschland.
Die Sender ARD, ZDF sowie die Rundfunkanstalt Deutschlandradio genießen einen vergleichsweise hohen Schutz vor direkter politischer Einflussnahme. Doch der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) ist in letzter Zeit nicht zuletzt durch die intransparente Besetzung von Aufsichtsgremien, überhöhte Gehälter von Spitzenpersonal und starken Einfluss von Partei- und parteinahen Akteuren in die Kritik geraten.
Reporter ohne Grenzen sieht zudem mit großer Sorge auf die medienpolitischen Forderungen der AfD. Deren Ziel ist nicht Reform, sondern faktisch die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das Ziel einer freien und umfassenden Meinungsbildung wäre mit der von der AfD geforderten Umwandlung in ein Bezahlfernsehen, dem Ende des Rundfunkbeitrags und der Wahl von Kontrollgremien nur durch die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht mehr gewährleistet. Ein solches Modell würde weite Teile der Bevölkerung ausschließen, das duale Rundfunksystem aushöhlen und den gesellschaftlichen Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen – eine pluralistische Grundversorgung für alle – unmöglich machen.
„Gerade in Zeiten von Desinformation und gezielter Einflussnahme braucht es starke öffentlich-rechtliche Medien, deren Unabhängigkeit durch klare Regeln abgesichert ist“, erklärt Anja Osterhaus, Geschäftsführerin von Reporter ohne Grenzen Deutschland. „Es ist erschreckend, dass öffentlich-rechtliche Medien in Ländern wie Ungarn und der Slowakei zu Sprachrohren der Regierung umgebaut oder, wie in Liechtenstein, gleich ganz abgeschafft wurden. Das duale System aus privaten und öffentlichen Medien hat sich in Deutschland bewährt und muss gestärkt werden.“
In Deutschland genießt der öffentlich-rechtliche Rundfunk weiterhin großes Vertrauen in der Bevölkerung, wie beispielsweise die Mainzer Langzeitstudie belegt hat. Doch der ÖRR wird auch in Deutschland durch gezielte populistische Kampagnen unter Druck gesetzt.
Um Medienpluralismus und -unabhängigkeit EU-weit zu schützen, wurde im Mai 2024 mit dem Europäischen Medienfreiheitsgesetz (EMFA) ein umfangreiches Regelwerk verabschiedet. Es verpflichtet die Mitgliedstaaten unter anderem, ab dem 8. August 2025 die redaktionelle und strukturelle Unabhängigkeit öffentlich-rechtlicher Medien gesetzlich abzusichern. RSF fordert eine konsequente Umsetzung der Regelungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, insbesondere durch transparente und unabhängige Auswahlverfahren für Intendanzen und Kontrollgremien.
In mehreren EU-Mitgliedstaaten nimmt der politische Druck auf öffentlich-rechtliche Medien kontinuierlich zu – teils subtil über Gremienbesetzungen und Sparvorgaben, teils offen durch Umstrukturierungen, Fusionen oder gezielte politische Angriffe.
In Ungarn wurde die Gesellschaft MTVA geschaffen, um die vorherige öffentlich-rechtliche Struktur zu ersetzen. Das Rundfunknetzwerk gilt als Propagandainstrument der Regierung Orbáns. Die politische Kontrolle reicht tief in die Redaktionen hinein: Journalistinnen und Journalisten erhalten schriftliche Anweisungen, über bestimmte Themen nicht zu berichten oder Begriffe wie „Flüchtling“ zu vermeiden. Kritische Stimmen kommen kaum noch zu Wort. Die Kontrollinstanzen sind vollständig unter Regierungseinfluss – eine effektive Aufsicht existiert de facto nicht mehr.
In der Slowakei erlebte der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine Erosion nach ungarischem Vorbild. Im Juni 2024 ersetzte die Regierung unter Ministerpräsident Robert Fico im Eilverfahren den bisherigen Sender RTVS durch eine neue Institution namens STVR – mit dem erklärten Ziel, Management und redaktionelle Linie grundlegend zu verändern. Der Haushaltsansatz wurde massiv gekürzt: Durch die Umstellung der Finanzierung von einer Rundfunkgebühr auf einen BIP-Anteil konnte die neue Regierung den Satz von ursprünglich 0,17 Prozent auf 0,12 Prozent senken – eine Reduktion um 30 Prozent gegenüber dem alten System. Medienschaffende, die sich kritisch äußerten, wurden entlassen, die Redaktionsfreiheit systematisch beschnitten.
In Italien nutzt die Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni gezielt ihre formalen Einflussmöglichkeiten, um der Radiotelevisione Italiana (RAI) ein konservatives Profil zu geben. Der Rückgriff auf parteinahe Besetzungen von Führungspositionen stellt die politische Neutralität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ernsthaft infrage. Selbst die Glaubwürdigkeit von Nachrichtensendungen wird durch parteipolitische Einflussnahme beschädigt.
Ein besonders trauriges Beispiel ist Liechtenstein, wo der öffentlich-rechtliche Radiosender Radio Liechtenstein im April 2025 eingestellt wurde – nachdem eine Volksabstimmung im Jahr 2024 die staatliche Finanzierung des Senders beendet hatte, ohne Perspektive auf Ersatz.
Demgegenüber zeigt der Bericht auch, dass Unabhängigkeit möglich ist: In Schweden sind Sveriges Radio (SR) und Sveriges Television (SVT) durch ein breites Gremienmodell und stabile gesetzliche Garantien gut abgesichert.
Tschechien ist ein Vorbild für die postkommunistischen Länder Europas: Die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Česká televize (ČT) und Český rozhlas (ČRo) wurde gegen politische Eingriffe gestärkt, indem die Finanzierung stabilisiert und das Verfahren zur Ernennung der Mitglieder des Fernseh- und des Rundfunkrats geändert wurde. Im April 2025 beschloss das Parlament, die Rundfunkgebühren an die Inflation zu koppeln und damit eine stabile Finanzierungsgrundlage für die Zukunft zu schaffen.
Und in der Schweiz überzeugt die Schweizerische Rundfunkgesellschaft (SRG) durch transparente Verfahren und eine breite gesellschaftliche Verankerung, gestützt durch einen klar definierten öffentlich-rechtlichen Auftrag. Das im europäischen Vergleich robuste Modell der öffentlich-rechtlichen Medien in der Schweiz wird aktuell allerdings durch eine Volksinitiative bedroht, welche eine drastische Senkung der Rundfunkgebühren herbeiführen möchte. Für die SRG würde eine Budgetkürzung von bis zu 50 Prozent drohen, was zu einer tiefgreifenden Veränderung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Schweiz führen würde.
Die Studie basiert auf einer Umfrage in den 27 EU-Mitgliedstaaten sowie in der Schweiz und dem Vereinigten Königreich:
RSF macht konkrete Vorschläge zur Stärkung öffentlich-rechtlicher Medien:
RSF Deutschland hat Anfang 2025 Empfehlungen zur Umsetzung des EMFA gemacht, die auch den ÖRR einbeziehen.
