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Äthiopien

Rangliste der Pressefreiheit — Platz 141 von 180
Syrien / Äthiopien / Türkei 18.11.2015

Syrerin Zaina Erhaim ist Journalistin des Jahres

Die syrische Journalistin Zaina Erhaim

Reporter ohne Grenzen zeichnet die Syrerin Zaina Erhaim als Journalistin des Jahres 2015 aus. Erhaim entschied sich 2013 zur Heimkehr aus dem sicheren Ausland und hat seitdem in Syrien fast 100 Bürgerjournalisten ausgebildet. Außerdem unterstützte sie die Gründung einer ganzen Reihe unabhängiger Zeitungen und Zeitschriften.

„Zaina Erhaim beweist durch ihren unermüdlichen Einsatz, dass eine alternative Berichterstattung über den Krieg in Syrien möglich ist“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Sie ist ein Beispiel dafür, wie Journalisten selbst unter gefährlichsten Bedingungen den Kampf um Unabhängigkeit und um eine menschliche Perspektive auf einen scheinbar ausweglosen Konflikt nicht aufgeben.“

Als Bürgerjournalisten des Jahres würdigt ROG das äthiopische Blogger-Kollektiv Zone9, dessen Mitglieder wegen ihres Einsatzes für unabhängige Informationen über die Zustände im Land von Regierung und Justiz drangsaliert werden und mehr als ein Jahr im Gefängnis verbrachten. Zum Medium des Jahres hat die Jury die türkische Tageszeitung Cumhuriyet gekürt, die wegen ihrer Berichterstattung über Tabuthemen wie die Kurdenfrage und den Genozid an den Armeniern mit Klagen, Internetsperren und Verleumdungskampagnen überzogen wird.

Zu den Nominierten für die Auszeichnung als Journalist des Jahres gehörten auch Markus Beckedahl und André Meister vom Blog netzpolitik.org. Die Preise wurden bei einer Veranstaltung in Straßburg am Dienstagabend verliehen.

Journalistin des Jahres: Zaina Erhaim

Die Preisträgerin Zaina Erhaim arbeitete von 2004 bis 2010 in Syrien für verschiedene Medien wie das Nachrichtenportal Syria News, den Fernsehsender Orient TV und die Zeitung Al-Hayat. Nachdem sie in London einen Master in Journalismus absolviert hatte, gab sie zwei Jahre später eine Stelle bei der BBC auf, um nach Syrien zurückzugehen. Dort hat sie fast 100 Bürgerjournalisten in der Arbeit für unterschiedliche Mediengattungen geschult, davon ein Drittel Frauen.

Erhaim koordiniert auch ein Ausbildungsprojekt in Syrien für das Institute for War and Peace Reporting. Viele ihrer Schüler haben inzwischen Reportagen in großen internationalen Medien veröffentlicht. „Ich wollte Syrien in den großen Blättern sehen, ohne dass es nur um Katastrophen und Massaker geht“, sagte Erhaim kürzlich der Zeitung Arab Weekly zu ihrer Motivation. „In der westlichen Medienberichterstattung fehlt leider die menschliche Dimension des Syrien-Konflikts. Man findet nur Artikel über den Islamischen Staat und seine Massaker.“

In den mehr als viereinhalb Jahren des Konflikts in Syrien sind dort mindestens 48 Berufsjournalisten und mehr als 140 Bürgerjournalisten wegen ihrer Arbeit getötet worden. Derzeit sitzen mehr als 60 Medienschaffende in den Gefängnissen des syrischen Regimes, werden von bewaffneten Gruppen als Geiseln gehalten oder gelten als vermisst. Wer weiter aus dem Land berichtet, ist ständigen Drohungen und Schikanen ausgesetzt und riskiert verhaftet, entführt oder ermordet zu werden.

Einen Hoffnungsschimmer bilden die vielen neugegründeten Medien und die große Zahl von Bürgerjournalisten, die ihr Leben riskieren, um Informationen über die Lage in ihrem Land an ausländische Medien zu übermitteln. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Syrien auf Platz 177 von 180 Ländern.

Bürgerjournalisten des Jahres: Zone9

Die Blogger des Kollektivs Zone9 beschreiben sich selbst als „informelle Gruppe junger Äthiopier, die zusammenarbeiten, um eine alternative und unabhängige Darstellung der sozialen und politischen Umstände in Äthiopien zu schaffen“. Nach seiner Gründung 2012 wurde ihr Blog schnell von den äthiopischen Behörden blockiert, blieb aber im Ausland zugänglich. Die Gruppe setzte ihre Aktivitäten in den sozialen Netzwerken fort, bis die ständigen Schikanen des Regimes sie 2013 zur Einstellung ihrer Veröffentlichungen zwangen.

Ende April 2014 wurden sechs Zone9-Mitglieder festgenommen – wenige Tage, nachdem sie ihren Blog nach siebenmonatiger Unterbrechung reaktiviert hatten. Die Staatsanwaltschaft warf ihnen vor, sie hätten Ausbildung und Gelder von Gruppen im Ausland erhalten, um über die sozialen Medien die Öffentlichkeit zu Gewalt aufzustacheln. Gemäß einem umstrittenen Anti-Terror-Gesetz von 2009 hätten ihnen dafür bis zu 15 Jahre Haft gedroht. Erst im Juli und Oktober 2015 kamen die Zone9-Blogger frei. Gegen fünf von ihnen wurden alle Vorwürfe fallengelassen; der sechste, Befekadu Hailu, ist nur auf Kaution frei und erwartet im Dezember seinen Prozess.

Im Vorfeld der Parlamentswahl im vergangenen Mai hatte Äthiopiens Regierung schon seit Anfang 2014 die schwerste Repressionswelle seit 2005 gegen unabhängige Medien gestartet. Binnen weniger Monate mussten mindestens sechs Publikationen schließen, mehr als 30 Journalisten flohen aus dem Land. Drei Eigentümer der unabhängiger Zeitschriften wurden unter anderem wegen Aufstachelung zu gewalttätigen Unruhen in Abwesenheit zu jeweils mehr als drei Jahren Haft verurteilt.

Ob die Freilassung der Zone9-Blogger Zeichen einer Entspannung ist, bleibt abzuwarten. Ein Vertreter des Kollektivs wurde von der Polizei an der Ausreise zur Preisübergabe in Straßburg gehindert. Nach wie vor sitzen in Äthiopien sechs Journalisten in Haft. Auf der Rangliste der Pressefreiheit belegt das Land Platz 142.

Medium des Jahres: Cumhuriyet

Vor dem Hintergrund der immer stärkeren Repressionen gegen kritische Stimmen in der Türkei hat sich die Tageszeitung Cumhuriyet in diesem Jahr als Vorkämpferin für die Pressefreiheit profiliert. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan persönlich ließ Strafanzeige gegen das Blatt und seinen Chefredakteur Can Dündar stellen, nachdem Cumhuriyet Ende Mai Fotos und ein Video veröffentlichte, die eine Beteiligung des türkischen Geheimdienstes an Waffenlieferungen an Islamisten in Syrien nahelegen. Daraufhin drohte Erdogan im TRT-Fernsehen, der Journalist werde einen hohen Preis für die Veröffentlichung bezahlen und nicht ungestraft davonkommen.

Für Chefredakteur Dündar ist die Strafanzeige nur eine von vielen. Ebenso wie viele seiner Kollegen muss er sich auch wegen Beleidigung des Präsidenten und wegen Terrorismusvorwürfen vor Gericht verantworten. Hohe Haftstrafen drohen mehreren Cumhuriyet-Mitarbeitern auch wegen der Veröffentlichung von Charlie Hebdo-Karikaturen nach den Anschlägen auf das französische Satiremagazin im Januar. Die Behörden hatten auf diese Geste der Solidarität mit einer nächtlichen Razzia in der Druckerei der Zeitung reagiert. Am 24. April widmete das Blatt seine Titelseite mit der auf Armenisch geschriebenen Schlagzeile „Nie wieder“ dem 100. Jahrestag des Genozids an den Armeniern.

Zu den besorgniserregenden derzeitigen Entwicklungen für die Pressefreiheit in der Türkei gehören die immer stärkere Medienkonzentration in den Händen regierungsnaher Unternehmer sowie eine zunehmend systematische Internetzensur ohne richterliche Prüfung. Ergänzt wird das Arsenal der Einschüchterung und Schikane durch repressive Gesetze, eine von Sicherheitsdenken dominierte Justiz und verbreitete, selten geahndete Polizeigewalt. Anstatt dem Klima von Selbstzensur und politischer Polarisierung etwas entgegenzusetzen, stacheln Regierung und Staatsspitze mit aggressiver Rhetorik gegen Journalisten die Stimmung zusätzlich an.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit belegt die Türkei Platz 149.

Die Nominierten

In der Kategorie „Journalist des Jahres“ waren nominiert:

  • Mahmud Abu Seid alias Shawkan (Ägypten)
  • Zaina Erhaim (Syrien)
  • Ali Anouzla (Marokko)
  • Ahmed Abba (Kamerun)
  • Rauf Mirkadirow (Aserbaidschan)
  • Lázaro Yuri Valle Roca (Kuba)
  • Julio Ernesto Alvarado (Honduras)
  • Markus Beckedahl und André Meister (Deutschland)
  • Mohammad Sadegh Kabodvand (Iran)
  • Farida Nekzad (Afghanistan)

In der Kategorie „Bürgerjournalist des Jahres“ waren nominiert:

  • Abduldschalil Al-Singace (Bahrain)
  • Usama Aal Nadschar (UAE)
  • Atena Farghadani (Iran)
  • Zone9 (Äthiopien)
  • Roy Ngerng (Singapur)
  • Charlie Smith (China)
  • Huynh Thuc Vy (Vietnam)
  • Ángel Santiesteban Prats (Kuba)
In der Kategorie „Medium des Jahres“ waren nominiert:
  • Inkyfada.com (Tunisien)
  • Cumhuriyet (Türkei)
  • Meydan TV und Azerbaycan Saati (Aserbaidschan)
  • Iwacu (Burundi)
  • Droit Libre TV (Burkina Faso)
  • Hablemos Press (Kuba)
  • Radio Globo und Globo TV (Honduras)
  • Correo del Caroní (Venezuela)
  • Bivol (Bulgarien)
  • Mukto-mona (Bangladesch)
  • Geo News TV (Pakistan)
  • Anh Ba Sam (Vietnam)
  • Asia Plus (Tadschikistan)



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