Nahaufnahme Deutschland: Pressefreiheit im Überblick

Zusammenfassung

Die Lage der Pressefreiheit in Deutschland hat sich im Jahr 2021 in der Gesamtbewertung von Reporter ohne Grenzen (RSF) leicht verschlechtert. In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit belegt Deutschland Rang 16. Damit liegt das Land zwar weiterhin im oberen Mittelfeld der EU-Länder, setzt jedoch den im Vorjahr begonnenen Abwärtstrend weiter fort.

Ein zentraler Grund: Die Ablehnung unabhängiger Medien durch Teile der Gesellschaft entlud sich 2021 noch häufiger in gewaltsamen Attacken - und das mehrheitlich im Kontext von Protest gegen die Corona-Maßnahmen. Während mit 65 Fällen die Aggressivität bereits im Jahr 2020 sehr hoch war, verzeichnete RSF 2021 insgesamt 80 Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten.

Die Mehrheit dieser Angriffe (52 Fälle) ereignete sich bei Demonstrationen im „Querdenken”-Milieu. Dabei klagten Betroffene über mangelnde Unterstützung durch die Polizei. Beamte, die in unmittelbarer Nähe standen, hätten oft weder eingegriffen noch seien sie ihnen zu Hilfe gekommen. Bei vielen entstand ein Gefühl, von der Polizei nicht geschützt, sondern „allein gelassen“ oder gar zusätzlich bedroht zu werden.

Es wurden 12 Fälle registriert, in denen Polizistinnen oder Polizisten selbst die Presse angriffen, zum Beispiel mit Schlagstöcken oder mit dem Strahl eines Wasserwerfers, der gezielt auf als „Presse” gekennzeichnete Personen gerichtet wurde. Nicht in die Zählung eingeflossen sind Behinderungen wie Platzverweise und Durchsuchungen durch die Polizei. Auf sich warten lässt indes die überfällige Neufassung der „Verhaltensgrundsätze zwischen Presse und Polizei“, die beidseitig Rechte und Pflichten regelt.

Hinzu kommt eine Vielzahl nicht einzeln erfasster Fälle, in denen Journalistinnen und Journalisten bedrängt oder bedroht und an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert wurden. Medienschaffende, die kritisch zu „Querdenken“ veröffentlichten, erlebten teils bis ins private Umfeld hinein Anfeindungen und Drohungen. Häufig wurden Kameraausrüstungen beschädigt oder gänzlich zerstört. Bei den Gesetzesvorhaben des Jahres 2021 begrüßt RSF, dass die Schutzwürdigkeit von Journalistinnen und Journalisten stärker als bisher berücksichtigt wurde, hält die Regelungen aber weiterhin für unzureichend.

Besorgniserregend ist auch die Cybersicherheitsstrategie der Bundesregierung, die eine Ausweitung der Befugnisse für Sicherheitsbehörden vorsieht. 2021 wurde zudem bekannt, dass Deutschland, anders als zunächst behauptet, die Spyware Pegasus nutzt. Nach Recherchen des internationalen „Pegasus-Projekts“ wurden bisher rund 200 Journalistinnen und Journalisten aus 20 Ländern Ziel einer Überwachung durch Pegasus.

2021 erfolgte Änderungen im Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) und beim neuen Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität stärken zwar den Schutz der persönlichen Daten von Medienschaffenden, stellen dafür aber weiter zu hohe Hürden auf. Eine Stärkung des Auskunftsrechts gegenüber Bundesbehörden hatte die Große Koalition auf dem Programm, sie wurde jedoch auf Betreiben der Unionsparteien nicht umgesetzt.

Sorge bereitet weiterhin die abnehmende Pressevielfalt bei den Tageszeitungen. Hier machten sich die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie bemerkbar. Bei Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten wurde Anfang 2022 der Abbau von 20 Prozent der redaktionellen Stellen angekündigt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk erfuhr mit dem Verfassungsgerichtsurteil vom Juli 2021 eine Stärkung: Die vom Land Sachsen-Anhalt blockierte Beitragserhöhung wurde verfügt. Die geplante Reform des Auftrags von ARD, ZDF und Deutschlandradio und ihrer Struktur steht allerdings weiter aus.

nach oben

Anfeindungen, Drohungen und Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten

Die Ablehnung unabhängiger Medien und der freien Presse durch Teile der Gesellschaft entlädt sich in Deutschland immer häufiger in gewaltsamen Attacken. Die Zahl der Angriffe hatte bereits 2020 eine noch nie da gewesene Dimension erreicht, dieser Trend setzte sich fort und erreichte eine neue Höchstmarke: Im Kalenderjahr 2021 verzeichnete Reporter ohne Grenzen (RSF) mindestens 80 körperliche, gewalttätige Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten. 31 weitere Fälle sind RSF bekannt, doch ließen sich diese nicht abschließend verifizieren. Zudem ist von einer weitaus höheren Dunkelziffer auszugehen, da viele Vorfälle nicht gemeldet oder angezeigt werden.

Damit haben die Angriffe im Vergleich zu den Vorjahren 2020 (65 Fälle) und 2019 (13 Fälle) noch einmal zugenommen, verzeichnet wurde die höchste Zahl seit Beginn der Dokumentation durch RSF im Jahr 2013. Rund zwei Drittel der Angriffe (52 von 80) ereigneten sich auf oder am Rande von Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen, an denen regelmäßig gewaltbereite, extrem rechte Gruppierungen und Einzelpersonen teilnehmen. Hinzu kam eine Vielzahl an Situationen, in denen Journalistinnen und Journalisten bedrängt, bedroht und massiv an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert wurden. RSF sind zahlreiche Beleidigungen und verbale Anfeindungen bekannt.

Neu waren 2021 Angriffe mit Fußballfanfaren. Werden diese direkt ans Ohr gehalten, kann das bei den Betroffenen zu Beschwerden wie einem Tinnitus oder einem Hörsturz führen. Das Spucken ins Gesicht wird seit 2020 als körperlicher Angriff gewertet, da dies in der pandemischen Situation eine Gefahr für die Gesundheit darstellt.

12 der 80 Angriffe wurden durch Polizistinnen oder Polizisten begangen, 62 erfolgten durch Demonstrierende. In einem Fall gingen Corona-Verharmloser in einer Berliner Bar auf eine Journalistin und einen Anwalt los. Drei weitere Angriffe ereigneten sich während eines Aufstiegsspiels des Fußballvereins Dynamo Dresden. Ein anderer Journalist wurde in Berlin von Unbekannten im Innenhof eines Wohnhauses attackiert. In Hamburg wurde ein Brandsatz auf das Auto einer Moderatorin geworfen.

Die Statistik umfasst lediglich Angriffe auf Medienschaffende (d. h., wenn Journalistinnen, Fotografen und Kamerafrauen geschlagen, getreten oder zu Boden geworfen werden oder wenn gegen ihre Ausrüstung, etwa Kameras, geschlagen wird) sowie Angriffe auf Redaktions- und Wohngebäude (Einbruch, zerstörte Scheiben, Schmierereien, blockierte Türen) oder auf Autos von Journalistinnen und Journalisten. Nicht gezählt wurden andere Behinderungen journalistischer Arbeit wie Platzverweise und Durchsuchungen durch die Polizei oder Fälle, in denen Reporterinnen und Reporter auf Demonstrationen weggedrängt oder gestoßen wurden, Kameraleute geblendet wurden oder Protestierende ihnen die Hand vor die Kamera hielten. Auch verbale Drohungen gegen Journalistinnen und Journalisten flossen nicht in die Zählung ein, werden aber von Reporter ohne Grenzen intern dokumentiert. Alle aufgeführten Fälle und der jeweilige Tathergang wurden durch Gespräche mit Zeuginnen und Zeugen verifiziert.

Beschallt, bespuckt, bewusstlos geschlagen: Angriffe bei Demonstrationen

Am 20.03.2021 hielt eine Teilnehmerin auf einer sogenannten „Querdenken”-Demonstration in Nürnberg einem Journalisten ein Megafon mit Sirenengeräuschen ans Ohr, woraufhin der Betroffene einen mehrere Tage anhaltenden Tinnitus erlitt. Die Angreiferin wurde wegen Körperverletzung verurteilt.

Auch auf einer „Querdenken“-Demonstration am 20.03.2021 in Kassel kam es zu mehreren schweren körperlichen Angriffen. Ein freier Journalist filmte einen „Querdenker“ dabei, wie dieser nach einer Person aus der Gegendemonstration trat, während ein anderer versuchte, der Gegenseite ein Transparent zu entreißen. Als der Teilnehmer bemerkte, dass der Journalist den Vorgang dokumentierte, stürmte er auf diesen zu und schlug ihm gezielt mit der Faust ins Gesicht. Der Journalist ging daraufhin zu Boden und verlor das Bewusstsein. In der Notaufnahme stellten Ärztinnen und Ärzte eine Gesichtsprellung und ein Schleudertrauma fest. Auf derselben Demonstration wurde ein Journalist durch einen Demonstrationsteilnehmer von hinten zu Boden gerissen. Der Angreifer ging weiter gegen den am Boden Liegenden vor und versuchte, diesen zu würgen. Erst als Kolleginnen und Kollegen dem Journalisten zur Hilfe kamen, gelang es ihnen, den Täter zu stoppen.

Das gesamte Jahr über begleitete der Geschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di Berlin-Brandenburg, Jörg Reichel, Journalistinnen und Journalisten bei „Querdenken”-Demos und dokumentierte Übergriffe systematisch auf seinem Twitter-Account. Am 01.08.2021 wurde er selbst aus diesem Spektrum heraus angegriffen und vom Fahrrad gerissen. Reichel, der ​​schon vorher monatelang von Personen aus der Querdenken-Szene diffamiert und bedroht worden war, musste zur Behandlung ins Krankenhaus.

Bei einer verbotenen „Querdenken“-Demonstration am 04.12.2021 in Berlin trieb eine Gruppe Hooligans eine Journalistin und einen Journalisten vor sich her. Die Journalistin stürzte und verletzte sich am Knie. Ein Teilnehmer bedrohte die beiden mit einer Glasflasche, die er der Journalistin ins Gesicht drückte. Als sich der Journalist dazwischen stellte, traktierte ihn der Angreifer mit Tritten und Schlägen in den Bauch und ins Gesicht.

Eine zusätzliche Gefahr stellten Situationen dar, in denen Corona-Abstandsregeln nicht eingehalten wurden, bis hin zu Fällen, in denen Journalistinnen und Journalisten von einer Teilnehmerin fest umklammert oder bespuckt wurden oder in denen versucht wurde, ihnen die Maske vom Gesicht zu reißen. Ähnlich gelagerte Fälle ereigneten sich 2021 auch an vielen anderen Orten in Deutschland.

Auch im Kontext anti-israelischer Demonstrationen kam es regelmäßig zu Übergriffen auf Berichterstattende. Bei einer Versammlung am 19.05.2021 in Berlin schlug ein Jugendlicher mit einer Holzlatte auf einen Kameramann ein. Bei einer queeren Kundgebung aus dem Spektrum der Israel-Boykott-Kampagne BDS am 24.07.2021 in Berlin wurden Journalistinnen und Journalisten eingeschüchtert, markiert und unter anderem als „Zionisten-Presse” beleidigt.

Viele Medienschaffende berichteten RSF, dass sie insbesondere auf Großdemonstrationen nicht mehr ohne Begleitschutz gehen.

Beim Fußball, zu Hause, im Gerichtssaal: Angriffe drohen überall

Bei einer Haftvorführung am 19.01.2021 im Landgericht Hagen wollte ein freier Journalist den Angeklagten, der über den Flur in den Gerichtssaal geführt wurde, fotografieren. Der Anwalt einer Kölner Kanzlei ging daraufhin auf den Journalisten zu, schlug mit seiner Akte zunächst gegen das Smartphone, mit dem er fotografieren wollte, und anschließend gegen seinen Kopf. In Folge des Schlags stürzte der Journalist eine Treppe hinunter und erlitt eine Schädelprellung. Während das Zivilverfahren für Schadenersatz und Schmerzensgeld noch läuft, hat die Staatsanwaltschaft Hagen das Strafverfahren eingestellt, „weil die Erhebung der öffentlichen Klage nicht im öffentlichen Interesse liegt”, wie es im Bescheid vom 01.03.2021 heißt.

Am 04.04.2021 wurde der türkische Exil-Journalist Erk Acarer in einem Hof des Berliner Mehrfamilienhauses, in dem er wohnte, von drei Männern angegriffen. Er wurde verletzt und musste im Krankenhaus behandelt werden.

Während des Drittliga-Aufstiegsspiels von Dynamo Dresden gegen Türkgücü München am 16.05.2021 kam es zu massiven Ausschreitungen. Fans jagten einen Journalisten durch einen Park und warfen mit Konservendosen, Flaschen und Steinen nach ihm, trafen ihn aber nicht. Als dieser wenig später Fotos aufnahm, rannten zwei Männer auf ihn zu und schubsten einen anderen Journalisten beiseite, der sich ihnen in den Weg gestellt hatte. Die Männer schlugen auf den Journalisten ein, der dadurch mehrfach das Bewusstsein verlor und ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Dabei waren Rufe zu hören wie „Scheiß Antifa-Presse“, „Lügenpresse“ und „Judenpresse“.

In Hamburg schlugen Unbekannte am 09.10.2021 die Scheiben des Autos einer Radiomoderatorin ein und warfen anschließend einen Brandsatz in das Auto.

Gefahr statt Schutz: Angriffe durch die Polizei

Immer wieder berichteten Journalistinnen und Journalisten RSF, dass sie physisch angegriffen wurden, obwohl Polizei anwesend war, die jedoch weder eingegriffen hätte, noch ihnen zur Hilfe gekommen sei. Dadurch sei das Gefühl entstanden, nicht von der Polizei geschützt, sondern „allein gelassen“ zu werden. Darüber hinaus griff die Polizei regelmäßig auch selbst Journalistinnen und Journalisten an.

Am 14.05.2021 wurde in Dresden in Reaktion auf eine pro-palästinensische Demonstration eine israelsolidarische Kundgebung abgehalten. Ein Journalist, der von dieser berichtete, wurde von einem Polizisten bedrängt und nach seinem Presseausweis gefragt. Als der Journalist ihm diesen zeigte, schlug der Beamte ihm das Dokument aggressiv aus der Hand. Im Weggehen bedrohte der Polizist den Journalisten mit den Worten: „Ihren Namen habe ich ja, Anzeige ist raus.“

Bei einer Demonstration am 16.06.2021 an einem besetzten Haus in der Rigaer Straße in Berlin richtete die Polizei den Strahl des Wasserwerfers auf einen Journalisten, der durch die Beschriftung auf seinem Helm und durch seine Ausrüstung als Presse zu erkennen war. Während eine Videoaufnahme den Angriff belegt, sagte die Polizei auf Nachfrage, es treffe nicht zu, dass die Polizei Berlin einen Wasserstrahl auf einen Pressevertreter gerichtet habe. Auf einer Demonstration für das links-autonome Wohnprojekt „Köpi bleibt“ in Berlin am 16.10.2021 schubste ein Polizist einen Fotojournalisten. Der Beamte versuchte anschließend, die Kamera des Fotografen wegzustoßen, und drückte ihm seine Hand ins Gesicht. Dabei griff er ihm trotz Maske in den Mund und verletzte ihn im Mundbereich.

Auf der Demonstration gegen das neue Versammlungsgesetz in Nordrhein-Westfalen am 26.06.2021 in Düsseldorf kam es ebenfalls zu Übergriffen durch die Polizei. Obwohl ein Journalist seinen Presseausweis gezeigt hatte und „Presse!“ rief, wurde er von Beamten geschubst und gestoßen, sein Presseausweis wurde ihm aus der Hand geschlagen. Der Journalist stolperte rückwärts und schlug mit dem Kopf auf dem Asphalt auf. Die Polizisten rannten über ihn hinweg und beschädigten dabei seine Kamera. Innenminister Herbert Reul (CDU) nannte im Innenausschuss des Landtags den „Kritikpunkt”, dass die Polizei hätte „sehen müssen, dass das ein Fotograf bzw. ein Journalist ist”, Ermittlungen von Amts wegen dauern an.

Auf einer Pegida-Demonstration am 17.10.2021 in Dresden wurde eine Journalistin von einem Polizisten mehrfach auf den Oberkörper geschlagen. Die Journalistin hatte sich durch Kamera und Ausrüstung sowie Ausrufe wie „Ich bin von der Presse!“ eindeutig als Medienvertreterin zu erkennen gegeben.

Bei einer nicht angemeldeten „Querdenken“-Demonstration am 22.12.2021 in München hinderte die Polizei zwei Journalisten, die als Pressevertreter erkennbar waren, an der Berichterstattung. Die Beamten schlugen mit Schlagstöcken nach ihnen und trafen einen der beiden Journalisten.

Gestörte Live-Schalte, polizeiliche Platzverweise und privates Mobbing:
Weitere Behinderungen journalistischer Arbeit

Nahezu alle Journalistinnen und Journalisten konnten von mindestens einem Fall berichten, in dem sie persönlich bedrängt, beleidigt und an ihrer Arbeit gehindert wurden. Einige Medienschaffende empfinden die Beleidigungen und das Bedrängen, besonders auf Demonstrationen, als geradezu alltäglich. Personen stellen sich vor die Kamera, versuchen, das Objektiv zu bedecken und stören Aufnahmen durch laute Zwischenrufe.

Behinderungen der Pressearbeit hatten so auch zur Folge, dass Live-Schalten abgebrochen werden mussten, wie bei Thomas Denzel von der ARD. Am 15.04.2021 störten Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Stuttgart eine Übertragung der Tagesschau durch „Lügenpresse“- und andere Rufe mit Megafonen. Anschließend bewarfen sie das Kamera-Team, das bis auf Thomas Denzel mit dem Rücken zu ihnen stand, mit Gegenständen. Die Live-Schalte wurde daraufhin aus Sicherheitsgründen abgebrochen.

Viele Journalistinnen und Journalisten erhielten im vergangenen Jahr bei Demonstrationen von der Polizei Platzverweise, beispielsweise bei Protesten gegen den Ausbau der Autobahn A 100 am 10.05.2021 in Berlin. Hier sind allein 13 Fälle bekannt.

Mehrfach wurde im Jahr 2021 die Kameraausrüstung von Medienschaffenden stark beschädigt, etwa bei einer „Querdenken”-Demonstration am 21.02.2021 in Hannover, als das Objektiv eines Journalisten von einem Demonstrationsteilnehmer komplett zerstört wurde. Ohne seine Kamera war dieser nicht in der Lage, seine journalistische Arbeit fortzusetzen. Bei der bereits genannten Demonstration gegen das geplante Versammlungsrecht am 26.06.2021 in Düsseldorf hat die Polizei die Kamera eines Journalisten beschädigt.

Journalistinnen und Journalisten, die kritisch zu „Querdenken” recherchierten, erlebten auch jenseits von Demonstrationen und bis ins private Umfeld Anfeindungen, Drohungen und Nachteile. So berichtete eine Journalistin, die zur Einhaltung der Hygienemaßnahmen an Waldorfschulen recherchierte und deren Kinder ihr erzählt hatten, an ihrer Waldorfschule aufgefordert worden zu sein, die Hygienemaßnahmen nicht einzuhalten, von massiven Anwürfen und Ausgrenzung durch andere Eltern. Nachdem eine große deutsche Zeitung den Artikel der Journalistin zu den Verbindungen von Waldorfschulen ins „Querdenken“-Milieu veröffentlicht hatte, entstand der Autorin gegenüber ein Klima der Feindseligkeit, das sie dazu bewog, ihre Kinder von der Schule zu nehmen.

nach oben

Überwachung: Gefahren durch BND-Gesetz, Pegasus-Software, Staatstrojaner
und die Strategie für Cybersicherheit

Im Januar 2021 erreichte RSF im Einsatz gegen anlasslose Massenüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst (BND) einen wichtigen Etappensieg: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nahm die Beschwerde von RSF zur Entscheidung an. RSF hatte diese 2017 eingereicht, weil der Geheimdienst digitale Kommunikationsdaten nach ausufernden Suchkriterien und mit fast unbegrenztem Zugriff durchforstet. Der BND begründet dies mit der Notwendigkeit der Gefahrenfrüherkennung, doch die damit verbundenen Grundrechtseingriffe sind so weitreichend, dass diese keinesfalls gerechtfertigt sind.

Zudem sieht RSF das Recht auf wirksame Beschwerde nach Art. 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt. Denn die Mehrheit der Betroffenen erfährt nicht einmal im Nachhinein, dass ihre E-Mails erfasst und durchsucht wurden. Selbst die Allgemeinheit wird – in Form der jährlichen Berichte des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags – erst über die Überwachungsmaßnahmen informiert, nachdem deren Protokolldaten schon wieder gelöscht sind. Mit ihnen muss der Geheimdienst dokumentieren, dass er E-Mails gelöscht hat, die bei näherer Prüfung als nicht „nachrichtendienstlich relevant“ aussortiert wurden.

Auch die am 25.03.2021 vom Deutschen Bundestag verabschiedete Reform des BND-Gesetzes löst die Probleme nicht. Die damit neu aufgestellten Hürden für eine Überwachung von Journalistinnen und Journalisten sowie deren Quellen im Rahmen der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des BND reichen aus Sicht von RSF nicht aus. Trotz einzelner Nachbesserungen werden ausländische Medienschaffende in der Praxis nicht genügend vor digitaler Überwachung bzw. vor Missbrauch der vom BND gesammelten Informationen durch autoritäre Staaten geschützt. So sind beispielsweise die Meta- bzw. Verkehrsdaten, auf die der BND weiter Zugriff hat, nach wie vor ungeschützt. Doch gerade diese geben detailliert darüber Auskunft, wer wie lange und mit wem telefoniert oder E-Mails ausgetauscht hat.

Das Bundesverfassungsgericht hatte die gesetzliche Grundlage für die Massenüberwachung des globalen Internetverkehrs durch den BND nach einer Beschwerde von RSF und internationalen Journalistinnen und Journalisten bereits im Mai 2020 für verfassungswidrig erklärt. Es forderte unter anderem, dass die vertraulichen Beziehungen zwischen Medienschaffenden und ihren Quellen besser geschützt werden müssen. Auch das aktuell gültige Gesetz gewährleistet dies aus Sicht von RSF nicht.

Im Mai 2021 entschied die Große Kammer des EGMR, unter welchen Voraussetzungen europäische Staaten ihren Geheimdiensten die Überwachung von internetbasierter Kommunikation erlauben dürfen (Urt. v. 25.05.2021, Az. 58170/13, 62322/14 und 24969/15). Der EGMR forderte eine „end-to-end-Absicherung”, die Kontrollen aller Überwachungsschritte sicherstellt. Dazu gehören die Anordnung und Begründung des Suchbegriffs, mit dem die Mails einer bestimmten E-Mail-Adresse gefiltert werden sollen, parlamentarische Kontrollen und die Möglichkeit für nachträglichen Rechtsschutz. Zusätzlich verlangte der EGMR ausdrücklich den Schutz von vertraulichem Material von Journalistinnen und Journalisten. In der Begründung bezog sich der EGMR auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020.

Im Juni 2021 sprachen sich Reporter ohne Grenzen und 69 andere Organisationen, Verbände und Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft gegen die von der Bundesregierung geplante Cybersicherheitsstrategie aus. In dem von RSF mitunterzeichneten offenen Brief wird vor allem gefordert, die Ausweitung der Befugnisse der Sicherheitsbehörden ersatzlos zu streichen. Die schwarz-rote Bundesregierung beabsichtigte unter anderem die „Entwicklung technischer und operativer Lösungen für den rechtmäßigen Zugang zu Inhalten aus verschlüsselter Kommunikation [...]”, also eine Umgehung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung mittels Hintertüren, die die IT-Sicherheit aller Nutzerinnen und Nutzer erheblich schwächen würde. Hinzu kommen Befugnisse zur aktiven Cyberabwehr und der Ausbau der Zentralstelle für Informationstechnik (​​„Hacker-Behörde“) ohne eine konkrete gesetzliche Grundlage. Die Unterzeichnenden bemängelten zudem, dass der Strategie die im damaligen Koalitionsvertrag vorgesehene ​​„Ausweitung der parlamentarischen Kontrolle sowie eine wirksame juristische und administrative Kontrolle” fehle. RSF sieht insbesondere die Vertrauenswürdigkeit digitaler Kommunikationsmittel bedroht, auf die Medienschaffende und ihre Quellen im Alltag angewiesen sind. Trotz der Bedenken wurde die Strategie am 08.09.2021 vom Bundeskabinett beschlossen. Die Ende 2021 angetretene, neue Innenministerin Nancy Faeser (SPD) geht mit diesem Kurs grundsätzlich konform und will nach Medienberichten das Grundgesetz ändern, um dem Bund mehr Kompetenzen bei der „aktiven Cyberabwehr” inklusive digitaler Gegenschläge („Hack-Backs”) zu geben.

Im September 2021 wurde bekannt, dass das Bundeskriminalamt die umstrittene Pegasus-Spionagesoftware des israelischen Unternehmens NSO angekauft hat. Dabei handelt es sich um einen Trojaner, mit dem Smartphones umfangreich ausspioniert werden und selbst verschlüsselte Kommunikation auf dem Gerät überwacht werden kann. Den Ankauf bestätigte die Vize-Chefin des BKA, Martina Link, laut Medienberichten in einer geheimen Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestags. Bei der Software handele es sich um eine modifizierte, laut BKA der deutschen Rechtslage genügende Variante. Der damalige Verantwortliche, Innenminister Horst Seehofer (CSU), soll vom BKA nicht direkt über den Kauf, sein Ministerium aber über den Beschaffungsvorgang” informiert worden sein.

Die Spionagesoftware, die NSO weltweit an Polizeibehörden und Nachrichtendienste verkauft, kann Smartphones in Echtzeit ausspähen, Gespräche mitschneiden, Standortdaten auslesen, heimlich die Kamera aktivieren und die Verschlüsselung von Chatnachrichten umgehen. Im Juli 2021 hatte das „Pegasus-Projekt”, ein Zusammenschluss aus internationalen Medien und Amnesty International enthüllt, dass NSO den „Pegasus“-Trojaner in zahlreiche Staaten verkauft hatte, die das Programm auch gegen Oppositionelle, Medienschaffende und Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten eingesetzt haben sollen. Bisher wurden insgesamt rund 200 Journalistinnen und Journalisten aus 20 Ländern mithilfe von Pegasus als Überwachungsziele identifiziert. Zu den Betroffenen gehörte auch die Journalistin Sevinj Vaqifqizi Abbasova aus Aserbaidschan, die 2021 Stipendiatin von RSF in Berlin war.

Im Oktober 2021 stellten RSF, das Whistleblower-Netzwerk sowie bekannte Investigativjournalistinnen und -journalisten vor mehreren Verwaltungsgerichten Eilanträge gegen die am 11.06.2021 vom Bundestag beschlossene Reform des Verfassungsschutzrechts, die erstmals allen Geheimdiensten den Einsatz sogenannter Staatstrojaner erlaubte. Dabei handelt es sich um eine Software, die ohne Wissen der Betroffenen auf deren Computer oder Smartphones installiert werden kann und durch die sowohl die Live-Kommunikation der Betroffenen mitverfolgt (Quellen-Telekommunikationsüberwachung) als auch Rechner und Smartphones vollständig durchsucht (Online-Durchsuchung) werden können. Erlaubt ist den Behörden lediglich, aktuelle und gespeicherte Kommunikationen ab dem Zeitpunkt der Anordnung zu überwachen. Dies ermöglicht erstmals allen Nachrichtendiensten auch verschlüsselte Nachrichten und Telefonate via Signal, Telegram, WhatsApp usw. zu überwachen und mitzuschneiden. Im Gegensatz zu ähnlichen Einsätzen durch die Polizei müssen von den Geheimdiensten überwachte Menschen dabei keine Straftaten begangen haben. Sie erfahren normalerweise auch nicht von der Überwachung. Zwar gehen die klagenden Organisationen nicht davon aus, dass die Geheimdienste gezielt Medienschaffende ins Visier nehmen, doch Journalistinnen und Journalisten sowie anderen Unbeteiligten kann passieren, dass ihre Kommunikation ausgewertet wird, wenn sie im Rahmen ihrer Recherchen mit Personen in Kontakt stehen, die aktiv überwacht werden.

Wenn die Kommunikation zwischen Journalistinnen und Journalisten und ihren Quellen damit de facto überwacht werden kann, stellt das ein Hindernis für investigative Recherchen und letztlich einen Eingriff in das Redaktionsgeheimnis dar. So befürchten Investigativjournalistinnen und -journalisten, dass die neue Rechtspraxis den Sicherheitsbehörden Einblicke in journalistische Quellen und redaktionelle Vorgänge bis hin zu konkreten Publikationsabsichten verschaffen kann. Gleichzeitig existiert in vielen Fällen nicht einmal eine Pflicht zur Information im Nachhinein, wenn Journalistinnen und Journalisten zu einem solchen Beifang” staatlicher Überwachung geworden sind. Bereits im Mai 2021 hatten vom Innenausschuss des Bundestags geladene Rechtsexperten vor dem hohen Missbrauchspotenzial der neuen Hacking-Befugnisse gewarnt. Aus Sicht von RSF ist hier eine umfassende Neuregelung nötig, die die Überwachung von Medienschaffenden als Mittel zur Verfolgung von Verdachtspersonen ausschließt.

nach oben

Gesetze: Hehre Ziele für besseren Schutz, störrische Internetkonzerne und ein
Dilemma

Die im Dezember 2021 angetretene Bundesregierung will im Rahmen ihrer auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik Programme zur Unterstützung bedrohter Journalistinnen und Journalisten sowie Verteidiger der Meinungsfreiheit einrichten, wie es auf Seite 100 des Koalitionsvertrages heißt. In diesem Sinne hat der Bund wenige Monate später für Medienschaffende, die in Folge des völkerrechtswidrigen Überfalls Russlands auf die Ukraine flüchten mussten, Soforthilfen in Höhe von einer Million Euro bewilligt.

Die Justizministerien der Länder beabsichtigten 2021, den strafrechtlichen Schutz von Medienschaffenden bei Angriffen und Behinderungen im Beruf verbessern. Die damalige Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) wurde in einem mehrheitlich gefassten Beschluss der Justizministerkonferenz vom Juni 2021 gebeten, dies zu prüfen und Vorschläge zu unterbreiten. Hintergrund sind die Beeinträchtigungen der Arbeit Medienschaffender insbesondere bei Protesten gegen Corona-Maßnahmen.

Noch nicht erneuert wurde im Jahr 2021 der Verhaltenskodex für Polizei und Presse. Die aktuell gültige, veraltete Fassung stammt aus dem Jahr 1993 und trägt den Titel: „Verhaltensgrundsätze für Presse/Rundfunk und Polizei zur Vermeidung von Behinderungen bei der Durchführung polizeilicher Aufgaben und der freien Ausübung der Berichterstattung”. Der Deutsche Presserat hatte bereits Ende 2020 einen Entwurf für eine Neufassung vorgelegt. 2021 zog eine Arbeitsgruppe der Länderpolizeien mit einem eigenen Papier nach, das detailliert auf die aktuelle Situation einging, jedoch nicht von der Innenministerkonferenz der Länder verabschiedet wurde. Eine Kompromissfassung befindet sich in der Abstimmung zwischen Polizei und Presserat, der ein Medienbündnis, Verlegerverbände und Journalistengewerkschaften vertritt.

Um gefährdete Medienschaffende schnell und wirksam zu unterstützen, stellte im April 2021 ein zivilgesellschaftlicher Zusammenschluss aus Journalistenorganisationen, Mediengewerkschaften und Beratungseinrichtungen einen Schutzkodex für Medienhäuser vor. Dieser enthält eine Verpflichtung für Medienhäuser und Verlage, sich für die Sicherheit ihrer angestellten und freien Mitarbeitenden einzusetzen. So sollten die Unternehmen ihnen etwa Begleitung durch Sicherheitspersonal anbieten, wenn bei Berichterstattung oder Recherchen mit Angriffen zu rechnen ist. Der Schutzkodex sieht unter anderem psychologische Unterstützung für Betroffene und deren Familien vor. Außerdem unterstützt er bei juristischen Angelegenheiten, zum Beispiel der schnellen Sperrung von Hater-Profilen auf Social-Media-Plattformen, die Einrichtung von Auskunftssperren von Meldeadressen, die Nachverfolgung von juristisch strafbaren Mails und Kommentaren. Zudem bietet die Initiative einen Stammtisch zum Erfahrungsaustausch Betroffener an.

Nicht abschließend gelöst wurde 2021 das Dilemma zwischen staatlichen Eingriffen zum Schutz bedrohter Personen vor Hasskriminalität und der Wahrung des Grundrechts auf Pressefreiheit. Das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, das im April 2021 in Kraft trat, bringt einzelne Verbesserungen. So können Medienschaffende leichter eine Auskunftssperre ihrer Adress- und anderer persönlicher Daten bei den Melderegistern erwirken. RSF begrüßte dies, kritisierte aber, dass weiterhin erst eine Bedrohung vorliegen muss, die von den Betroffenen individuell nachzuweisen ist. RSF schlägt hingegen vor, Journalistinnen und Journalisten explizit als zu schützende Berufsgruppe im Gesetz zu nennen, sodass sie grundsätzlich geschützt sind.

Das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität sieht außerdem verschärfte Meldepflichten rechtswidriger Inhalte an das BKA bzw. die Landeskriminalämter vor. Ohne entsprechende Vorprüfung durch Staatsanwaltschaften könnte so eine Verdachtsdatenbank entstehen, die große Datenmengen enthält, deren Inhalte zwar von den Plattformen als illegal eingestuft wurden, die nach rechtsstaatlichen Standards aber nicht hätten erhoben werden dürfen. Dies verstärkt das Problem, dass es weitestgehend privaten Unternehmen obliegt, die die Plattformen oder Dienste betreiben, die Inhalte zu bewerten. Hierbei kommt aus Sicht von RSF der Schutz der Informations- und Pressefreiheit zu kurz, weil die Unternehmen der Verhinderung rechtswidriger Inhalte Priorität einräumen, nicht aber dem Schutz zu Unrecht gemeldeter Inhalte. Hinzu kommt, dass die Aus- und Bewertung der fraglichen Inhalte oft von juristisch unzureichend geschulten, prekär Beschäftigten „Content Moderators“ übernommen wird und diese sich vor allem an den plattformeigenen Standards und Vorgaben orientieren. Gemeinsam mit zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen und dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) sprach sich RSF daher für ein sogenanntes „Quick-Freeze-Verfahren” aus, das eine angemessene strafrechtliche Vorprüfung der Inhalte ermöglichen würde, noch bevor sensible Daten der Nutzerinnen und Nutzer weitergegeben werden.

Der Facebook-Mutterkonzern Meta, Google, Twitter und TikTok legten Klagen gegen die Pflicht zur Datenweitergabe ein. Das Verwaltungsgericht Köln gab den Eilanträgen von Meta und Google im März 2022 teilweise statt. Die Datenweitergabe bleibt für die Dauer der Verfahren ausgesetzt. Konkret sieht das Kölner Gericht das Herkunftslandprinzip der EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (ECRL) verletzt. Diesem zufolge gelten die rechtlichen Anforderungen des „Sitzstaates”; im Fall von Meta und Facebook ist dies die Republik Irland. Eine Ausnahmemöglichkeit gibt es zwar, doch verneinte das Gericht die dafür notwendige Dringlichkeit.

Außerdem monierte das Gericht, dass Paragraf 4a NetzDG gegen die in der EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste festgeschriebene Staatsferne verstoße. Denn im NetzDG ist als Verwaltungsbehörde für die Aufsicht über die Maßnahmen der Plattformen das Bundesamt für Justiz festgeschrieben. Dieses untersteht als staatliche Behörde dem Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz.

In einem separaten Gesetzgebungsprozess hat der Bundestag im Mai 2021 den Entwurf der Bundesregierung für weitere Änderungen am Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) angenommen. Zentral ist dabei die Einführung eines Gegenvorstellungsverfahrens. Es stellt de facto ein Widerspruchsrecht für Nutzerinnen und Nutzer dar, deren Inhalte vom Plattformbetreiber gelöscht wurden. Auch wer Inhalte beim Plattformbetreiber als rechtswidrig gemeldet hat, kann nun eine Überprüfung dieser Entscheidung einfordern, auch wenn diese nicht gelöscht wurden. Laut Gesetz müssen die großen Anbieter eine einfache elektronische Kontaktaufnahme für den Antrag auf Gegenvorstellung anbieten und bereits darauf hinweisen, wenn sie über die Löschung eines Inhalts informieren.

Die Bundesregierung kam damit zumindest teilweise der u.a. von RSF geäußerten Kritik am mangelnden Schutz der Nutzerinnen und Nutzer vor unrechtmäßigen und voreiligen Löschungen von Beiträgen nach. Ebenso wie gegen die Pflicht zur Datenweitergabe legten Google und Meta Beschwerde gegen diese Vorgabe ein. Gänzlich neue EU-weit einheitliche Regeln für den Umgang mit illegalen Inhalten soll derweil das Digitale-Dienste-Gesetz (Digital Services Act) schaffen. Es soll unter anderem zu einer verstärkten unabhängigen Prüfung systemischer Risiken der Plattformen führen. Der Vorschlag des EU-Parlaments sieht des Weiteren eine Bindung der Geschäftsbedingungen der Plattformen an europäische Grundrechte vor und reagiert damit auf Kritik an der mangelnden Transparenz der Unternehmen bei der Anwendung hauseigener Regeln bei der Moderation von Inhalten. Die Details des finalen Gesetzestextes sind noch nicht bekannt (Stand Ende April 2022).

Solche hauseigenen Regeln führten offenbar auch dazu, dass Instagram am 13.02.2021 wegen eines angeblichen Verstoßes gegen seine Richtlinien zeitweilig einen Beitrag des ARD-Magazins Monitor über den rassistischen Anschlag von Hanau ein Jahr zuvor sperrte. Zwar war der Beitrag kurze Zeit später wieder abrufbar, eine Erklärung über die konkreten Gründe der Sperrung des Links zum Medienbericht gab es aber nicht. Instagram-Mutterkonzern Meta (damals noch Facebook) entschuldigte sich lediglich für einen Fehler und erklärte lapidar, der Beitrag sei wiederhergestellt.

Im September 2021 verabschiedete der Bundestag eine neue Fassung des Paragrafen 126a Strafgesetzbuch. Dieser stellt die Veröffentlichung und Verbreitung persönlicher Daten unter Strafe, wenn dies die betroffenen Personen gefährden könnte. Dies ist eine rechtliche Lösung des Problems der „Feindeslisten”, die seit Jahren insbesondere von extrem rechten Kreisen und Personen erstellt werden, um Aktivisten, Politikerinnen und Medienschaffende einzuschüchtern und zum Rückzug aus dem öffentlichen Raum zu bewegen. Die jetzt gültige Rechtsnorm wurde nach Kritik in einem wichtigen Punkt entschärft. Der ursprüngliche Entwurf von Februar 2021 hätte auch Aufklärung beispielsweise über Umweltsünder oder Neonazis erschwert. Die überarbeitete und im September 2021 verabschiedete Fassung des Paragrafen 126a StGB verweist nun auf die sogenannte Sozialadäquanz-Klausel des Paragrafen 68 StGB. Diese erlaubt eigentlich verbotene Handlungen wie das Zitieren von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen, wenn dies zu journalistischen Zwecken oder zur staatsbürgerlichen Aufklärung erfolgt. So heißt es denn auch in der Begründung des Gesetzentwurfs gegen „Feindeslisten”, eine „Veröffentlichung der Recherchearbeit von Vereinen zur Aufdeckung extremistischer Bestrebungen“ sei nicht strafbar. Dies schützt etwa antifaschistische Recherchegruppen sowie andere Aktivistinnen und Aktivisten und Medienschaffende bei Veröffentlichungen und ermöglicht öffentliche Aufklärung über Neonazis sowie deren Ansichten und Pläne.

nach oben

Gerichtsverfahren: Signale gegen Straflosigkeit, Klagen gegen kritische Recherchen und Filmen der Polizei

Mit dem weltweit ersten Strafprozess wegen Staatsfolter in Syrien am Oberlandesgericht Koblenz schrieb Deutschland schon vor dem Urteil im Februar 2021 Rechtsgeschichte, da das Verfahren ein wichtiges Signal gegen Straflosigkeit und einen ersten Schritt in Richtung Gerechtigkeit für die syrische Bevölkerung und damit auch für Medienschaffende darstellt. Journalismus ist in Syrien angesichts von Festnahmen, Entführungen und Morden extrem gefährlich. In den vergangenen Jahren wurden mehrere Journalisten getötet. Nach Erkenntnissen von RSF starben mindestens fünf von ihnen während des Bürgerkriegs in den Gefängnissen des Assad-Regimes, viele weitere verschwanden. Auch in Sachen Prozessöffentlichkeit betrat das Koblenzer Verfahren Neuland: Im August 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht einem Eilantrag stattgegeben, dass syrische Journalistinnen und Journalisten die Möglichkeit bekommen müssen, das Verfahren auf Arabisch zu verfolgen.

Im März 2021 reichte RSF beim Generalbundesanwalt Strafanzeige gegen Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein. Wegen des Mordes an dem Journalisten Jamal Khashoggi sowie der willkürlichen Inhaftierung von 34 Journalistinnen und Journalisten zwischen 2011 und 2018 wirft RSF dem Kronprinzen und weiteren hochrangigen Vertretern des Königshauses vor, Medienschaffende anhaltend und systematisch zu verfolgen. Konkret geht es dabei um vorsätzliche Tötung, Folter, sexuelle Gewalt und Nötigung, zwangsweises Verschwindenlassen, Zufügung schwerer körperlicher und seelischer Schäden, schwerwiegenden Entzug der körperlichen Freiheit sowie Verfolgung aus politischen Motiven mit dem Ziel, kritische Stimmen zu bestrafen oder zum Schweigen zu bringen.

Im März 2021 wurde in Hannover ein Verdächtiger im Fall des 2004 ermordeten Journalisten und RSF-Korrespondenten aus Gambia, Deyda Hydara, festgenommen. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, als Teil einer Sondereinheit der gambischen Armee an der Ermordung des regierungskritischen Journalisten, eines Rechtsanwalts und eines Oppositionellen beteiligt gewesen zu sein. Deyda Hydara war Herausgeber der unabhängigen Zeitung The Point sowie Korrespondent der Nachrichtenagentur AFP und von RSF in Gambia. Ende März 2022 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage vor dem Oberlandesgericht Celle, der Prozess hat am 25.04.2022 begonnen.

Im April 2021 zeigte ein Beitrag des NDR-Magazins Panorama, welche juristischen Risiken bei groß angelegten Datenrecherchen drohen und wie Journalistinnen und Journalisten bestraft werden können. Zwar läuft seit 2017 eine von RSF und anderen Organisationen und Investigativjournalisten eingereichte Verfassungsbeschwerde gegen den Datenhehlerei-Paragrafen 202d des Strafgesetzbuchs, eine Entscheidung liegt aber bis heute nicht vor. Laut RSF stellt der neue Paragraf 202d den Umgang mit geleakten Daten unter Strafe, ohne für einen weitreichenden Schutz der Presse zu sorgen. Zwar dürfen Journalistinnen und Journalisten laut Gesetz entsprechende Daten entgegennehmen, auswerten oder veröffentlichen. Die Engführung allein auf hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten schafft aber große Unsicherheit bei Bloggern und externen Beratern wie IT-Fachleuten oder Rechtsexperten, die Medienschaffende unterstützen. Die zunehmende Rechtsunklarheit in diesem Bereich belastet investigative Recherchen.

Im August 2021 formierte sich ein breites Bündnis aus Medienorganisationen und NGOs, darunter RSF, um auf die wachsende Bedrohung durch sogenannte SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation) aufmerksam zu machen. Dabei handelt es sich um oftmals missbräuchliche Klagen gegen NGOs und Medienschaffende, um deren Anliegen, Recherchen oder Berichterstattung aus zumeist formaljuristischen Gründen zu verhindern. Solche Klagen stellen eine subtilere Form von Einschüchterungsversuchen dar als gewaltsame Angriffe (siehe Kapitel 1). Sie belasten Medienschaffende oft psychisch. Medienhäuser und Verlage, insbesondere kleinere, leiden teilweise finanziell unter diesem Vorgehen gegen die freie Berichterstattung und Meinungsäußerung.

Ein prominentes Beispiel aus dem Jahr 2021 sind die Klagen des Adelshauses Hohenzollern, das in der Auseinandersetzung über seine Rolle im Nationalsozialismus und davon abhängigen Entschädigungszahlungen seit mehreren Jahren mit harten Bandagen kämpft. Laut einer Dokumentation des Deutschen Historikertags werden selbst kleinste Faktenfehler in journalistischen Berichten mit massiven rechtlichen Mitteln verfolgt, um das Thema abzuwürgen, statt Redaktionen um eine Korrektur zu bitten. Die Fallsammlung dokumentiert über 100 Fälle, in denen gegen Medien und einzelne Journalistinnen und Journalisten vorgegangen wurde. Die Dunkelziffer dürfte noch um einiges höher liegen.

Der Hamburger Verein „Rettet den Regenwald” wird aktuell vor dem Hamburger Landgericht von der indonesischen Korindo Group verklagt. Der Verein hatte dem Unternehmen 2017 vorgeworfen, großflächig den Regenwald in der Provinz Papua in Indonesien zu zerstören. Das Unternehmen bestreitet dies und reichte nach drei Jahren kurz vor der Verjährungsfrist Klage ein.

Im Juni 2021 berichtete das Politikmagazin Kontraste des Rundfunk Berlin Brandenburg (rbb) über Beiträge des umstrittenen ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, in verschwörungsideologischen Publikationen. Maaßen, der zwischenzeitlich Thüringer CDU-Bundestagskandidat war, ließ die Anfragen des rbb-Magazins Kontraste unbeantwortet und ging über die bei Rechtsextremen beliebte Kanzlei Höckerletztlich erfolglosgegen Kontraste vor.

Mehrfach anwaltlich ging auch Erika Steinbach, die ehemalige Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Rechtsextreme und heutige Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, gegen kritische Artikel über die rechte Stiftung vor, etwa gegen den Beitrag eines freien Journalisten der Frankfurter Rundschau. Das Blatt, das zur Ippen-Gruppe gehört, übernahm die von Steinbach gewünschte Änderung - wie ein Hinweis am Ende Artikels zeigt.

Während eine Studie zeigt, dass SLAPPs weltweit zugenommen haben, dürfte nur ein Bruchteil der Fälle öffentlich bekannt sein. Medienhäuser verzichten, oft aus Zeit- und Kostengründen, auf eine weitere gerichtliche Klärung – und das selbst, wenn sie gute Chancen hätten, recht zu bekommen.

Gesichter von Polizistinnen und Polizisten, die bei Routine-Einsätzen gefilmt werden, müssen unkenntlich gemacht werden, wenn diese Bilder ins Netz gestellt werden. Das entschied das Oberlandesgericht Köln (OLG) im Oktober 2021 und verurteilte einen Bonner Youtuber wegen des Verstoßes gegen das Kunst- und Urheberrecht zu 2.800 Euro Geldstrafe. Laut Gericht stellen Routineeinsätze nicht grundsätzlich „zeitgeschichtliche Ereignisse” dar, sodass hier die Persönlichkeitsrechte der Beamtinnen und Beamten höher wiegen. Dies gilt jedoch nicht, wenn Polizeibeamte im Rahmen von Einsätzen zum Beispiel in Konflikte mit Demonstrierenden oder Medienvertreterinnen verwickelt sind.

nach oben

Auskunftsanspruch, CDU-Maskenaffäre, Nord-Stream-2-Stiftung und Vorabinformationen

Das Defizit beim Auskunftsrecht von Medien gegenüber Bundesbehörden bleibt weiter bestehen. Die schwarz-rote Regierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag eine „Stärkung” dieses Auskunftsrechts in Aussicht gestellt, aber auf Betreiben der Unionsparteien nicht umgesetzt. Die neue Bundesregierung spricht laut ihrem Koalitionsvertrag (Seite 124) davon, „eine gesetzliche Grundlage für den Auskunftsanspruch der Presse gegenüber Bundesbehörden” zu schaffen. Bislang fehlt dieses Recht noch - von den Bundesministerien und dem Kanzleramt bis zu allen Bundesbehörden. Zwar hatte das Bundesverwaltungsgericht schon 2013 den Auskunftsanspruch von Journalisten als Grundrecht verankert. ​In der Praxis zeigt sich aber, dass die Ansprüche zu unbestimmt sind und daher zu oft unbegründet zurückgewiesen werden.

Der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat 2021 durch die wochenlange Verzögerung der Nennung von Namen im Zusammenhang mit der sogenannten CDU-Maskenaffäre die Rechte von Journalistinnen und Journalisten missachtet. Das belegt ein vom Berliner Tagesspiegel erstrittenes Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts vom September 2021. Das von Spahn verfügte vorherige schriftliche Anhörungsverfahren bei den Betroffenen war unzulässig. Die dadurch bedingte Verzögerung berge „die Gefahr, dass die Presse ihren Informations- und Kontrollauftrag mangels Aktualität im Zeitpunkt der Informationserteilung nicht mehr erfüllen kann“, so das Gericht. Zudem müssten die auskunftspflichtige Stelle nicht „vor Erteilung oder Ablehnung der Auskunft die Betroffenen (...) anhören oder um deren Einwilligung in die Auskunftserteilung nachsuchen”, wie im Fall Spahn geschehen. Auch die von Spahns Anwälten verlangte Auskunft, wer bzw. welches Medium sich mit welchen Fragen an eine Behörde gewandt hatte, ist nicht zulässig. Im Zusammenhang Recherchen zu einem Hauskauf Spahns urteilte das Gericht, ein solches Auskunftsbegehren sei nicht zulässig, da sonst die „Gefahr der Aufdeckung der Recherche durch Dritte” drohe.

Die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stoppte Mitte März 2022 die Praxis ihres Amtsvorgängers Horst Seehofer (CSU), die 2021 noch üblich war, bestimmte Medien vorab über bestimmte Maßnahmen wie beispielsweise Razzien bei geplanten Vereinsverboten zu informieren. Seinerzeit hatte das Ministerium derartige „anlassbezogene Vorabinformationen“ als Teil des „Repertoires der Presse- und Medienarbeit des Bundesinnenministeriums“ bezeichnet.

Im April 2022 wurde bekannt, dass im Zusammenhang mit der umstrittenen Nordstream-2-Stiftung ein Tochterunternehmen des staatlichen russischen Energiekonzerns Gazprom Hintergrundgespräche der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern mit Journalistinnen überwachen wollte. Wie die Welt am Sonntag berichtet, hatte der „Communications Manager Germany“ des Unternehmens verlangt, selbst per Telefon zum „passiv Zuhören” zugeschaltet zu werden bzw. dass ein anderer Mitarbeiter an dem Gespräch teilnehmen solle, um Statements, Fragen und Antworten mitzuschneiden und zu „protokollieren”. Die offiziell als „Stiftung des Landes Mecklenburg-Vorpommern für Klimaschutz und Bewahrung der Natur” bezeichnete Organisation war im Januar 2021 zur Unterstützung des Projekts der Pipeline Nordstream 2 gegründet worden. Sie sollte vor allem von Gazprom finanziert werden. Kritiker warfen der Stiftung und der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern vor, die genauen Tätigkeiten und russischen Hintermänner des Projekts zu verschleiern. Nach Beginn des Ukraine-Kriegs hatte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) Ende Februar 2022 angekündigt, die Stiftung aufzulösen.

nach oben

Umstrittenes Sendeverbot von RT Deutsch

Anfang Februar 2022 untersagte die Kommission für Zulassung und Aufsicht der Medienanstalten (ZAK) das deutschsprachige Fernsehprogramm RT DE des russischen Staatssenders RT, da das seit 16.12.2021 über Satellit sendende RT DE in Deutschland über keine Zulassung als TV-Kanal verfügte. Als Gegenmaßnahme erteilte Russland am 04.02.2022 der Deutschen Welle Sendeverbot in Russland und entzog den DW-Mitarbeitenden die Akkreditierungen. Unabhängig von diesem Schritt der deutschen Medienaufsicht verfügte die EU am 02.03.2022 als Sanktion wegen des Überfalls auf die Ukraine die Aussetzung sämtlicher Sendetätigkeiten von Sputnik und RT/Russia Today in Europa.

RSF sieht diese Verbote allerdings kritisch. Die russischen Staatsmedien RT und Sputnik sind zwar zentrales Element der Putinschen Propaganda und damit ein wichtiger Teil seines Angriffskriegs gegen die Ukraine. Dennoch hält RSF das EU-Verbot nicht für zielführend, da die negativen Auswirkungen auf die Berichterstattung aus Russland schwerer wiegen als die kurzfristig beabsichtigten Effekte. Denn der Einfluss von RT und Sputnik auf die Meinungsbildung in Europa sei begrenzt, doch die Verbote lieferten Russland einen willkommenen Vorwand, unabhängige Berichterstattung aus Russland zu erschweren bzw. mundtot zu machen, so RSF. Dies zeigten nicht zuletzt der Umgang mit der Deutschen Welle und die drakonischen Strafen im neuen russischen Mediengesetz. Nach der Schließung ihres Büros in Moskau hat die DW ihre Berichterstattung aus Russland in die lettische Hauptstadt Riga verlegt.

Ein Kritikpunkt von RSF lautet, dass die Rechtsgrundlage für das als Wirtschaftssanktion deklarierte EU-Verbot unklar ist. Der European Media Freedom Act, der für die EU verbindliche Handlungsanweisungen im Umgang mit Staatsmedien formulieren soll, befindet sich noch in der Konsultationsphase. Die EU-Kommission plant, einen Vorschlag im dritten Quartal 2022 vorzulegen.

nach oben

Bedrohte publizistische Vielfalt, Sexismus im Journalismus und stockende Reform

Auch 2021 hatten vor allem die regionalen und lokalen Zeitungen unter den Folgen der Corona-Pandemie zu leiden. Wirtschaftliche Probleme durch rückläufige Anzeigen, hohe Vertriebs- und Zustellkosten in dünn besiedelten Gebieten setzen sich fort. In der Pandemie stiegen die Papierpreise zudem drastisch - beim für den Zeitungsdruck wichtigen Altpapier zeitweise um das Vierfache.

Die Große Koalition hatte daher 2020 erstmals eine direkte Unterstützung für die Presse beschlossen, die die „digitale Transformation des Verlagswesens“ beschleunigen sollte. Doch um die Verteilung der auf mehrere Jahre angelegten Presseförderung in Höhe von 220 Millionen Euro gab es Streit. Kritiker monierten, dass das Geld ausschließlich für bestehende Tageszeitungen, Zeitschriften und Anzeigenblätter vorgesehen war und neue digitale Angebote ohne Verbindung zu klassischen Verlagen nicht förderberechtigt waren. Ende der Legislaturperiode scheiterte die geplante Presseförderung daran, dass der Haushaltsausschuss des Bundestags sie lediglich als Zusatzposten des Bundeshaushalts beschloss, obwohl nach einem Grundsatzurteil aus den 1970er Jahren für ein solches Vorhaben ein eigenes Gesetz nötig gewesen wäre. Die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP hat die Presseförderung wieder auf der Agenda. Im Koalitionsvertrag sind auf Seite 99 nun „Fördermöglichkeiten für die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen“ vorgesehen. Außerdem will die Bundesregierung Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus schaffen, um Vielfalt zu sichern.

Die publizistische Vielfalt nimmt währenddessen vor allem in den Regionen weiter ab. Im Mai 2021 übernahmen die Badischen Neuesten Nachrichten (Karlsruhe) das bislang eigenständige Badische Tagblatt (Baden-Baden). Die Verbreitungsgebiete der beiden Nachbarzeitungen überschneiden sich und bieten viele Fusionsmöglichkeiten, die eigenständige überregionale Berichterstattung des Badischen Tagblatts soll aber „vorerst” erhalten bleiben. Im Januar 2022 kündigte der Verlag von Stuttgarter Nachrichten und Stuttgarter Zeitung an, rund 50 redaktionelle Stellen abzubauen. Das entspricht etwa 20 Prozent der gesamten Redaktion und betrifft sowohl Mantel- als auch Regional- und Lokalredaktionen.

Eine weitere Gefahr für die publizistische Vielfalt und eine Einschränkung ihrer Pressefreiheit stellt Sexismus (und Queerfeindlichkeit) dar, den Frauen und queere Menschen im Journalismus erleben. Wie der am 08.03.2021 von RSF veröffentlichte Themenbericht „Wie Sexismus Journalistinnen bedroht” zeigt, erleben diese zum Beispiel sexuelle Belästigung durch Interviewpartner, frauenverachtende Hasskommentare im Netz oder Benachteiligung gegenüber männlichen Kollegen. Aufgrund der Furcht Betroffener vor Rache oder beruflichen Nachteilen wird der Großteil der Ungerechtigkeiten und Übergriffe niemals bekannt. Anders lief dies in einem besonders gravierenden Fall, der 2021 öffentlich wurde, nachdem sich Mitarbeiterinnen über den ehemaligen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt beschwert hatten. Vorgeworfen wurde ihm unter anderem Machtmissbrauch gegenüber Mitarbeiterinnen und die Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen. Er selbst stritt die Vorwürfe Medienberichten zufolge ab, wurde zunächst freigestellt und Monate später, im Oktober 2021, durch den Axel-Springer-Verlag endgültig von seinen Aufgaben entbunden.

In diesem spektakulären Fall offenbarte sich ein weiteres Problem für die Pressefreiheit: Das Erschweren, Unterdrücken oder Zurückhalten unliebsamer Recherchen aus Loyalität und Rücksichtnahme unter einflussreichen Verlegern. Der Verleger Dirk Ippen (u.a. Münchner Merkur, Frankfurter Rundschau, HNA) stoppte im Oktober 2021 die Veröffentlichung der Recherche seines eigenen Investigativ-Teams rund um Juliane Löffler über die Bild und ihren Chefredakteur Julian Reichelt. Später erklärte Ippen, dies sei ein Fehler gewesen. Das Investigativ-Team verließ den Verlag Anfang 2022.

Im Juli 2021 hat das Bundesverfassungsgericht den Weg für eine kurz darauf angeordnete Erhöhung des Rundfunkbeitrags von 17,50 auf 18,36 Euro freigemacht, indem es entschied, dass Sachsen-Anhalt mit seiner unterlassenen Zustimmung zum Ersten Medienstaatsvertrag die Rundfunkfreiheit verletzt hat. Doch eine Reform der öffentlich-rechtlichen Medien steht weiterhin aus. Ein Entwurf der Rundfunkkommission der Länder zu „Auftrag und Strukturoptimierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ konnte vom November 2021 bis Mitte Januar 2022 im Rahmen einer Online-Konsultation von allen Interessierten kommentiert werden. Hierbei kamen rund 2.600 Eingaben zusammen, die die Rundfunkkommission jetzt prüft. Schnell wurde klar, dass sich die Bundesländer in vielen Punkten nicht einig sind. Strittig ist vor allem, was künftig zum sogenannten „Grundversorgungsauftrag” der öffentlich-rechtlichen Medien gehört und welchen Stellenwert Unterhaltung im Programm haben soll. Auch das komplizierte Verfahren zur Ermittlung der Beitragshöhe steht trotz seiner Bestätigung im Karlsruher Urteil wieder in der Diskussion, da einige medienpolitisch Verantwortliche hier lieber auf eine Index-Lösung setzen möchten.

nach oben