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Überwachung 17.05.2022

Quasi-Verbot vertraulicher Kommunikation

© picture alliance / NurPhoto | Artur Widak

Reporter ohne Grenzen (RSF) ist alarmiert über den Entwurf einer EU-Verordnung zur verdachtsunabhängigen Überwachung vertraulicher Kommunikation. Die Europäische Kommission hat am Mittwoch (11.05.) einen Entwurf zur Regulierung von Plattformen und Chatnachrichtendienstanbietern veröffentlicht, um den sexuellen Missbrauch von Kindern und die Verbreitung entsprechenden Bild- und Videomaterials zu bekämpfen.

Die EU-Kommission schlägt hierzu drastische Maßnahmen vor: Messenger-Anwendungen sollen verpflichtet werden, sämtliche Kommunikationen automatisiert nach Missbrauchsdarstellungen und verdächtigen Nachrichtentexten zu durchsuchen. Auch verschlüsselte Messenger nimmt der Entwurf nicht von seinem Geltungsbereich aus und greift damit die Grundlage vertraulicher Kommunikation im Arbeitsalltag von Journalistinnen und Journalisten an. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüßte den Entwurf unmittelbar nach dessen Vorstellung ausdrücklich.

„Die Forderung, vertrauliche Nachrichteninhalte auf den Geräten zu scannen, kommt einem Verbot vertraulicher Kommunikation gleich. Der Vorschlag missachtet zahlreiche Grundrechte und steht dem erklärten Ziel der EU-Kommission, Medienschaffende effektiver zu schützen, fundamental entgegen“, erklärte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr.

Für Journalistinnen und Journalisten, die ihre Quellen schützen müssen, stellen verschlüsselte Nachrichtendienste unverzichtbare Werkzeuge im digitalen Alltag dar. Insbesondere in autokratischen Staaten gewähren sie unabhängigen Medienschaffenden und deren Quellen essentiellen Schutz vor Überwachung und Verfolgung. RSF fordert deshalb, verschlüsselte Kommunikation in der EU und weltweit zu fördern, statt sie durch einen solchen Überwachungszwang zu gefährden.

Entgegen der bereits in der Konsultationsphase geäußerten Bedenken zahlreicher zivilgesellschaftlicher Akteure hielt die Kommission an der Verpflichtung zur systematischen Überwachung von Inhalten, die über Messaging-Anwendungen ausgetauscht werden, fest. Die zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson betonte in den vergangenen Monaten, Täterinnen und Täter würden sich hinter Ende-zu-Ende-Verschlüsselung verstecken. Widerspruch zu dieser Aussage kam zuletzt unter anderem vom Kinderschutzbund; der Großteil solcher Darstellungen werde „über Plattformen und Foren geteilt“. Auch polizeilich bekannte Missbrauchsdarstellungen bleiben dort oft über lange Zeit verfügbar, wie eine Panorama-Recherche 2021 aufzeigte. Ermittler würden sich eigenen Aussagen zufolge auf die Tätersuche fokussieren.

Unrealistische Forderung – es sei denn, man will Massenüberwachung

Bei der Vorstellung des Textes legte Johansson Wert auf die Feststellung, dass der Entwurf nicht gegen die Verschlüsselung von Daten formuliert wurde, sondern „um kinderpornografische Inhalte online wirksamer zu bekämpfen“. Nur strittige Inhalte würden von den Diensteanbietern überwacht und gemeldet. Dies ist jedoch ein unmögliches Unterfangen, wenn nicht alle Inhalte systematisch gescannt und gegebenenfalls menschlich nachgeprüft werden. Ohnehin existierende Fehlerquoten entsprechender Filtertechnologien wachsen zudem mit der zusätzlichen Anforderung, dass auch bishe unbekannter Missbrauchsdarstellungen erkannt werden sollen.

Ende-zu-Ende-verschlüsselte Messenger basieren auf dem Prinzip des „erzwungenen Vertrauens“: Selbst die Dienste, die diese Messenger anbieten, können den Inhalt einer Konversation nicht entschlüsseln. Nur der Sender und der Empfänger, die beiden „Enden“ der Konversation, können den Inhalt der Nachrichten lesen. Wenn der Inhalt zu einem einzigen Zeitpunkt für eine dritte Person zugänglich ist, ist die Sicherheit unwiederbringlich gefährdet.

Die Kommission muss sich dessen bewusst werden, dass sie von den Plattformen die Öffnung einer technisch nicht näher definierten „Backdoor“, also eines versteckten Zugangs zu einer Software, verlangt, die es ermöglicht, in den von ihr angebotenen Dienst einzugreifen, ohne sich um die Folgen für den Quellenschutz und die Vertraulichkeit der journalistischen Arbeit zu kümmern.

Die von RSF initiierte Expertengruppe des Forums für Information und Demokratie veröffentlichte 2020 einen Bericht mit 250 Vorschlägen an Staaten und Plattformen, um eine demokratische Regulierung digitaler Räume im Umgang mit Desinformation und illegalen Inhalten zu gewährleisten. Der Bericht erinnerte an die Bedeutung der Verschlüsselung für die Kommunikation: „Es ist wichtig zu beachten, dass das Schaffen von Schwachstellen oder Einschränkungen bei der Verschlüsselung problematisch und mit Menschenrechtsstandards unvereinbar ist“, und empfahl, unter keinen Umständen die Anwendung von Systemen vorzuschreiben, die eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gefährden.

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