Schluss mit Straflosigkeit
für Verbrechen an Journalisten

© Franziska Senkel

RSF-Aktion gegen Straflosigkeit vor dem Bundestag in Berlin © Franziska Senkel

(Stand November 2020 - Diese Seite wird überarbeitet)

In vielen Ländern der Welt werden Medienschaffende ermordet, gefoltert oder entführt, ohne dass die Schuldigen dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Um auf die Untätigkeit vieler Staaten angesichts dieses Missstands aufmerksam zu machen, hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen 2013 den 2. November als jährlichen Welttag gegen Straflosigkeit für Verbrechen an Journalistinnen und Journalisten festgelegt. Stellvertretend für viele weitere Schicksale dokumentiert RSF auf dieser Seite 22 Fälle von Journalistinnen und Journalisten, deren Fälle zum Teil seit vielen Jahren ungeklärt oder ungesühnt sind.

Um der Straflosigkeit ein Ende zu bereiten, setzt sich Reporter ohne Grenzen für die Einsetzung eines oder einer Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen für den Schutz von Journalistinnen und Journalisten ein. Dieser Sonderbeauftragte sollte direkt dem UN-Generalsekretär unterstehen und eigenständigen Untersuchungen einleiten können, wenn Staaten nach Gewalttaten gegen Medienschaffende untätig bleiben.

Denn trotz zahlreicher UN-Beschlüsse zur Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten bleiben die Zahlen besorgniserregend: Im Laufe der vergangenen zehn Jahre sind weltweit mehr als 900 Journalistinnen und Journalisten, Bürgerjournalistinnen und Medienmitarbeiter wegen oder bei ihrer Arbeit getötet worden. Allein in Mexiko waren es seit 2011 und 2020 mehr als 72, im Syrien-Krieg mehr als 260. Viele Kriminelle und Konfliktparteien entführen, foltern oder ermorden Medienschaffende gezielt. Im Jahr 2019 zum Beispiel wurden nach Recherchen von RSF 31 der insgesamt 49 getöteten Medienschaffenden vorsätzlich wegen ihrer Arbeit ermordet.

Beispielhafte Fälle von Straflosigkeit

Die meisten Reporterinnen und Reporter sterben außerhalb von Kriegsgebieten. Sie werden ermordet, weil sie in Ländern wie Mexiko, Kolumbien, Indien oder den Philippinen über organisierte Kriminalität, Korruption, Machtmissbrauch oder Menschenrechtsverletzungen berichtet haben. Die große Mehrheit dieser Verbrechen bleibt ungestraft.

Die hier als Beispiele zusammengestellten Fälle sind auch Jahre nach den Verbrechen ungesühnt oder bestenfalls teilweise aufgeklärt. Einige von ihnen haben internationales Aufsehen erregt, darunter die Morde an dem saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi 2018 in Istanbul, an der Investigativjournalistin und Bloggerin Daphne Caruana Galizia 2017 in Malta oder an Miroslava Breach und Javier Valdez 2017 in Mexiko. Andere Schicksale fanden weniger internationale Beachtung, bleiben aber traumatische Ereignisse für die betroffenen Länder.

Saudi-Arabien

Jamal Khashoggi

ermordet am 2. Oktober 2018

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Malta

Daphne Caruana Galizia

ermordet am 16. Oktober 2017

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Indien

Gauri Lankesh

ermordet am
5. September 2017

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Mexiko

Javier Valdez

ermordet am 15. Mai 2017

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Mexiko

Miroslava Breach

ermordet am 23. März 2017

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Burundi

Jean Bigirimana

verschwunden seit dem
22. Juli 2016

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Ukraine

Pawel Scheremet

ermordet am 20. Juli 2016

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Bangladesch

Avijit Roy

ermordet am 
26. Februar 2015

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Libyen

Sofiane Chourabi
und Nadhir Ktari

vermisst seit dem 
8. September 2014

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Kolumbien

Borja Lázaro

verschwunden seit dem 
8. Januar 2014

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Mali

Ghislaine Dupont
und Claude Verlon

ermordet am 
2. November 2013

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Russland

Achmednabi Achmednabijew

ermordet am 9. Juli 2013

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Pakistan

Syed Saleem Shahzad

tot aufgefunden am
31. Mai 2011

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Bahrain

Nasiha Said

gefoltert am 22. Mai 2011

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Sri Lanka

Prageeth Eknaligoda

verschwunden seit dem
24. Januar 2010

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Mexiko

María Aguilar Cansimbe

verschwunden seit dem
11. November 2009

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Libanon

Samir Kassir

ermordet am 2. Juni 2005

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Elfenbeinküste

Guy-André Kieffer

verschwunden seit dem
16. April 2004

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Eritrea

Dawit Isaak

willkürlich inhaftiert seit dem 23. September 2001

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Iran

Pirus Dawani

verschwunden seit dem
25. August 1998

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Serbien

Dada Vujasinovic

tot aufgefunden am
8. April 1994

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Türkei

Nazım Babaoglu

verschwunden seit dem 
12. März 1994

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© Franziska Senkel

RSF-Aktion gegen Straflosigkeit vor dem Bundestag in Berlin © Franziska Senkel

Wegweisende Resolutionen, aber keine reale Verbesserung

Seit die Vereinten Nationen 2013 den 2. November als Welttag gegen Straflosigkeit festgelegt haben, hat das Thema nichts an Dringlichkeit verloren. Nach wie vor bleiben weltweit fast 90 Prozent der Morde an Medienschaffenden ungestraft. Daran haben auch die zahlreichen UN-Resolutionen zum besseren Schutz von Journalistinnen und Journalisten nichts Grundlegendes geändert.

So nahm der UN-Sicherheitsrat 2015 in der einstimmig angenommenen Resolution 2222 über den Schutz von Journalisten in bewaffneten Konflikten erstmals direkt auf das Recht auf Meinungsfreiheit gemäß Artikel 19 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung Bezug. Dabei hielt das höchste UN-Gremium fest, "dass die Arbeit freier, unabhängiger und unparteilicher Medien eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft bildet und dadurch zum Schutz von Zivilistinnen und Zivilisten beitragen kann". Zugleich rief der Rat die Staaten auf, ihren Verpflichtungen zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten in bewaffneten Konflikten nachzukommen.

Schon Ende 2014 hatte die UN-Vollversammlung in einer Resolution (69/185) ausdrücklich die Bedeutung von Bürgerjournalistinnen und Bürgerjournalisten gewürdigt. Ebenso betonte das Gremium, dass Journalistinnen und Journalisten besonders gefährdet sind, zu Zielen von gesetzeswidriger oder willkürlicher Überwachung zu werden. Auch in den Resolutionen Nr. 68/163 von 2013, 70/162 von 2015, 72/175 von 2017 und 74/157 von 2019 bekräftigte die UN-Vollversammlung die Forderungen nach mehr Schutz für Medienschaffende und nach einem Ende der Straflosigkeit.

Der UN-Menschenrechtsrat wiederum konkretisierte 2014 und 2018 das Spektrum geeigneter Schutzmaßnahmen für gefährdete Journalistinnen und Journalisten. Unter anderem empfahl der Rat Frühwarnsysteme und spezialisierte Staatsanwaltschaften. Außerdem rief er zu gezielten Maßnahmen auf, um geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Journalistinnen entgegenzuwirken.

Als erstes Parlament weltweit stellte sich 2016 der Deutsche Bundestag hinter die RSF-Forderung nach einem UN-Sonderbeauftragten. Mit einem Entschließungsantrag forderte das Parlament die Bundesregierung auf, "eine UN-Initiative zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten und gegen Straflosigkeit zu unterstützen und die Einsetzung eines Sonderbeauftragten voranzubringen".

Eine zentrale Stellung im System der Vereinten Nationen

Zwar widmen sich verschiedene Organe der Vereinten Nationen schon jetzt dem Schutz von Medienschaffenden. Doch sie haben weder das Mandat noch die personelle Ausstattung, um sich intensiv diesem Thema zu widmen und entscheidende Verbesserungen durchzusetzen. Somit gibt es keinen Mechanismus, der die UN-Mitgliedstaaten zwingt, ihren internationalen Verpflichtungen für die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten nachzukommen.

Das Mandat der von RSF vorgeschlagenen Sonderbeauftragten für den Schutz von Journalistinnen und Journalisten könnte sich am Vorbild der UN-Sonderbeauftragten für Kinder in bewaffneten Konflikten orientieren. Die oder der Sonderbeauftragte sollte überwachen, inwieweit die UN-Mitgliedstaaten ihre einschlägigen völkerrechtlichen Verpflichtungen erfüllen. Durch ihre zentrale und dauerhafte Stellung im System der Vereinten Nationen könnte sie helfen, den UN-Aktionsplan zur Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten besser umzusetzen.

Ebenso könnte eine UN-Sonderbeauftragte die Bemühungen weiterer Institutionen für mehr Schutz von Journalistinnen und Journalisten unterstützen. Dies könnte UN-Organe wie die UNESCO, den UN-Menschenrechtsrat, die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte und die UN-Sonderberichterstatterin für Meinungsfreiheit betreffen, aber auch andere Institutionen wie den Europarat und den Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit der Interamerikanischen Menschenrechtskommission.

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