Exportkontrollen für Überwachungstechnologie

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In Deutschland und Europa entwickelte und hergestellte Überwachungstechnologie bedroht die Presse- und Informationsfreiheit in vielen Ländern der Welt. Wenn Journalisten den Schutz ihrer Quellen nicht gewährleisten können, dann können sie nicht frei arbeiten. Digitale Überwachungstechnologie schafft ein Klima der Angst, das freie Meinungsäußerung und die Wahrnehmung der individuellen Informationsfreiheit unmöglich macht. Wir setzen uns dafür ein, den globalen Handel mit diesen Technologien rechtsstaatlich zu kontrollieren.

Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt derzeit auf einer Reform der Europäischen Union. Seit 2016 gibt es Verhandlungen, die sogenannten Dual-Use-Verordnung neu zu fassen. Darin sind seit 2015 bestimmte Überwachungsgüter gelistet, allerdings zu wenige und die Kontrollen sind insgesamt noch nicht streng genug. Im März 2021 hat das Europäische Parlament die reformierte Dual-Use-Verordnung verabschiedet. Reporter ohne Grenzen begrüßte einzelne Verbesserungen beim Schutz der Menschenrechte, kritisierte zugleich aber, dass das Ergebnis der jahrelangen Verhandlungen deutlich hinter den Forderungen der Zivilgesellschaft zurück geblieben ist. Die wichtigsten Fragen & Antworten zur Reform finden Sie unten.

Globale Regeln für den Export

So wichtig strenge Regeln in Deutschland und der EU sind, so drängend bleibt dennoch ein internationales Kontrollsystem. Große Teile der globalen Überwachungsindustrie finden sich etwa in den USA und Israel. Deshalb setzt sich Reporter ohne Grenzen auch für eine Stärkung des Wassenaar-Abkommens ein. Bisher sind rund 40 Staaten diesem internationalen Regime beigetreten, um unter anderem Spähsoftware zu regulieren. Wichtige Staaten wie Israel oder China fehlen jedoch, außerdem sind die Regeln noch zu schwach.

RSF unterstützt daher eine Initiative des UN-Sonderberichterstatters für das Recht auf Meinungsfreiheit, der 2019 vor dem Menschenrechtsrat einen sofortigen Stopp allen Handels forderte, bis es eine internationale Regulierung gäbe. Für diesen Report hat RSF an einer Expertenanhörung der UN teilgenommen und anschließend auch schriftlich konkrete Vorschläge eingebracht.

Die Reform der EU-Exportkontrolle

Unser Referent für Internetfreiheit erklärt, wie die Exportkontrolle von Überwachungstechnologie funktioniert – und wie Reporter ohne Grenzen politische Reformdebatten begleitet und bewertet.

Die wichtigsten Fragen und Antworten zu Exportkontrollen

Warum setzt sich Reporter ohne Grenzen für eine strenge Exportkontrolle ein?

Der Export von digitalen Überwachungstechnologien stellt eine Bedrohung für Journalistinnen und Journalisten dar, die mit diesen Technologien überwacht werden können. Auch Whistleblower und Informanten können durch derartige Technologien enttarnt und belangt werden. Überwachungstechnologien sind eine Gefahr für unabhängigen, kritischen Journalismus weltweit.

Reporter ohne Grenzen beobachtet in vielen Ländern der Welt, wie Regierungen mittels moderner Überwachungstechnologie gegen Journalisten, Aktivisten und Oppositionelle im eigenen Land vorgehen – häufig mit Software westlicher Firmen. Der Export von Überwachungstechnologien in Länder ohne gefestigte Demokratie und funktionierenden Rechtsstaat ist unverantwortlich und abzulehnen. Eine strenge Exportkontrolle solcher Güter ist ein Teil der Lösung dieses Problems.

Was sind Dual Use-Güter?

Anders als klassische Rüstungsgüter wie zum Beispiel ein Panzer können Dual Use-Güter sowohl für zivile wie auch militärische Zwecke genutzt werden. Ein Hubschrauber kann zum Beispiel genutzt werden, um damit Verletzte zu retten oder um Menschen aus der Luft zu beschießen. Auch Überwachungstechnologie wird in der Europäischen Union rechtlich als Dual Use-Gut geführt. Staaten können damit entweder Kriminelle überwachen oder eben kritische Journalisten bei ihrer Recherche.

Durch diesen doppelten Verwendungszweck ist die Exportkontrolle solcher Güter besonders schwierig: Es muss in jedem Einzelfall entschieden werden, ob ein Gut für zivile oder militärische Zwecke genutzt werden wird.

Wie wird der Export von Dual Use-Gütern kontrolliert?

Es gibt verschiedene Abkommen von Staaten, die sich zu einer Kontrolle bestimmter Dual Use-Güter verpflichtet haben. International am bekanntesten ist das Wassenaar-Abkommen mit über 40 Staaten. In Europa regelt die Dual Use-Verordnung, unter welchen Bedingungen Unternehmen ihre Produkte außerhalb der EU exportieren dürfen.

Im Wesentlichen gibt es in den Abkommen lange Listen von Produkten, für die Unternehmen bei nationalen Kontrollbehörden eine Ausfuhrgenehmigung einholen. In Deutschland entscheidet beispielsweise das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), ob ein Export zu militärischen Zwecken verwenden werden könnte und deswegen nicht genehmigt werden darf. Das heißt: Eine Kontrolle ist kein Verbot, sondern eine Einzelfallprüfung je Export und Zielland.

Was beinhaltet die Dual Use-Verordnung der EU?

Im Kern sagt die Verordnung, dass gelistete Dual Use-Güter nur außerhalb der EU exportiert werden dürfen, sofern eine Genehmigung dafür erteilt wird. Die Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom 5. Mai 2009 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck hat Anhänge mit langen Güterlisten, die ständig aktualisiert werden. Bestimmte Formen von digitaler Überwachungstechnologie sind seit 2015 als Dual Use-Güter geführt.

Diese Aufnahme von Überwachungstechnologie in die Verordnung war ein wichtiges politisches Signal. Im arabischen Frühling hat sich gezeigt, dass viele autokratische Regime Oppositionelle und Journalisten unrechtmäßig überwacht haben mit Software, die sie legal aus Europa gekauft haben. Diesen Handel wollte die EU unterbinden. Die vergangenen Jahre haben allerdings gezeigt, dass die aktuelle Fassung der Verordnung diesen Handel nicht zufriedenstellend stoppen konnte. Deswegen hat die EU-Kommission im September 2016 einen Vorschlag vorgelegt, wie die Verordnung reformiert werden könnte.

Was sind die Neuerungen im Entwurf zur Dual Use-Verordnung?

Die EU-Kommssion hat die Definition von Dual Use-Gütern erweitert – auch um den Begriff „Überwachungstechnologie“. Sie ist definiert als „Technologie für digitale Überwachung, die für die Begehung schwerwiegender Verletzungen der Menschenrechte oder des humanitären Völkerrechts verwendet werden oder eine Bedrohung für die internationale Sicherheit oder die wesentlichen Sicherheitsinteressen der Union und ihren Mitgliedstaaten darstellen kann“.

Durch diesen Verweis auf die Menschenrechte müssen alle gelisteten Überwachungstechnologien daraufhin überprüft werden, ob mit ihnen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begangen werden können. Außerdem sollen Unternehmen erstmals verpflichtet werden, selbst sorgfältig Informationen einzuholen, ob solche Menschenrechtsverletzungen drohen. Bisher mussten sie nur tätig werden, wenn sie ohnehin schon davon wussten.

Wie bewertet Reporter ohne Grenzen den Entwurf der EU-Kommission?

Im Grundsatz begrüßen wir viele Neuerungen, die die EU-Kommission durchsetzen will. Ein klares Bekenntnis zu Menschenrechten, Sorgfaltspflichten für Unternehmen und die Möglichkeit, auch nicht gelistete Güter bei Menschenrechtsbedenken kontrollieren zu können, sind richtige Initiativen. Allerdings sind viele Formulierungen im aktuellen Entwurf noch zu vage. Sie können zu Schlupflöchern für Unternehmen führen, die Kontrollen umgehen wollen. Außerdem soll es auch in Zukunft keine zufriedenstellenden Statistiken über Exporte von Dual Use-Gütern geben, was wir kritisieren und ändern möchten.

Wie ist der aktuelle Stand bei der Reform der Dual Use-Verordnung?

Im September 2016 hat die EU-Kommission ihren Entwurf vorgelegt, der nun diskutiert wird. Das Europäische Parlament verabschiedete im Januar 2018 eine Position dazu, die EU-Mitgliedsstaaten erst im Sommer 2019. Während das Parlament eine zukunftsweisende Position verabschiedete, stellten sich einige Mitgliedstaaten einer wirksamen Reform lange in den Weg. Im November 2020 kam es schließlich zu einer politischen Einigung, die einzelne Verbesserungen gegenüber der ursprünglichen Fassung der Verordnung hervorbrachte, so zum Beispiel, indem der Handel mit Überwachungstechnologie transparenter gestaltet werden soll. Zugleich blieb der Kompromiss aber weit hinter den Forderungen der Zivilgesellschaft zurück. Das Europäische Parlament hat die Neufassung im März 2021 verabschiedet.

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