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China

Rangliste der Pressefreiheit — Platz 179 von 180
Deutsch-chinesische Regierungskonsultationen 16.06.2023

Pressefreiheit einen zentralen Platz einräumen

Der chinesische Ministerpräsident Li Qiang © picture alliance / EPA | Jade Gao / POOL

Es sperrt Journalistinnen und Journalisten unter lebensgefährlichen Bedingungen ein, zensiert umfassend kritische Informationen und propagiert sein repressives Modell auch international: Das chinesische Regime unterdrückt die Pressefreiheit wie kaum ein anderes. In wenigen Tagen reisen Vertreterinnen und Vertreter dieses Regimes nach Berlin. Vor den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen fordert Reporter ohne Grenzen (RSF) die Bundesregierung auf, der Pressefreiheit einen zentralen Platz in den Gesprächen einzuräumen. Gleich zwei Jahrestage geben Anlass, den Blick auch nach Hongkong zu richten. Dort bedroht ein von Peking auferlegtes Sicherheitsgesetz Reporterinnen und Reporter und den Medienpluralismus.

„Wir können es nicht oft genug sagen: Pressefreiheit darf bei politischen Gesprächen nicht hintenanstehen. Die Bundesregierung muss die Freilassung der 115 Medienschaffenden fordern, die in Festland-China und Hongkong im Gefängnis sitzen. Wir erinnern etwa an die Journalistin Zhang Zhan, die uns mutig über den Corona-Ausbruch in Wuhan informiert hat. Wir erinnern an den Verleger Jimmy Lai, der sich seit drei Jahrzehnten für die Pressefreiheit in Hongkong einsetzt und dem nun lebenslange Haft droht,“ sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr.

„Die Bundesregierung darf sich nicht mit dem Vorwurf abspeisen lassen, das sei eine ‚Einmischung in innere Angelegenheiten‘. Das chinesische Regime versucht längst nicht mehr, Informationen nur innerhalb der eigenen Landesgrenzen zu kontrollieren. Auch im Ausland möchte die Kommunistische Partei die Berichterstattung im eigenen Sinne beeinflussen. Auch in Deutschland gibt es dafür Beispiele. Gleichzeitig ist das Sicherheitsgesetz in Hongkong so formuliert, dass es für jeden Journalisten, jede Journalistin gelten könnte, die über Hongkong berichten – unabhängig vom eigenen Standort.“

Am 20. Juni finden laut Medienberichten die siebten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen statt, zu denen auch der chinesische Ministerpräsident Li Qiang in Berlin erwartet wird. Er gilt als enger Vertrauter von Staats- und Parteichef Xi Jinping, einem der größten Feinde der Pressefreiheit weltweit. Mit einer seit Mao Zedong nie dagewesenen Machtkonzentration hat sich Xi eine historische dritte Amtszeit gesichert und setzt seinen vor zehn Jahren begonnenen Feldzug gegen den Journalismus fort.

Dieser Feldzug ist auch in Hongkong zu spüren. Fast 26 Jahre nach der Übergabe an die Volksrepublik China ist die in der Mini-Verfassung garantierte Pressefreiheit so bedroht wie nie zuvor. Derzeit sitzen in der chinesischen Sonderverwaltungszone 13 Medienschaffende im Gefängnis. Zwei große Medien mussten schließen und ein Klima der Angst hat dazu geführt, dass fünf weitere kleinere Medien ihren Betrieb eingestellt haben. 

Dritter Jahrestag: Drakonisches Sicherheitsgesetz verabschiedet

Vor fast drei Jahren, am 30. Juni 2020, trat in Hongkong ein von Peking auferlegtes „Sicherheitsgesetz“ in Kraft. Es erlaubt dem chinesischen Regime, direkt in die Sonderverwaltungszone einzugreifen. Unter dem Anschein der Legalität kann es alles unterdrücken, was es als „Terrorismus“, „Abspaltung“, „Untergrabung der Staatsgewalt“ und „ausländische Einmischung“ betrachtet.

 

Das „Sicherheitsgesetz“ gilt für alle Journalistinnen und Journalisten, die über Hongkong berichten, unabhängig von ihrem Aufenthaltsort (Artikel 38). Im Falle eines Prozesses in Hongkong drohen Medienschaffenden lebenslange Haftstrafen, und obwohl das Wort „Auslieferung“ nie erwähnt wird, behält sich das Gesetz die Möglichkeit vor, Prozesse in der Volksrepublik China zu führen (Artikel 55), wo Verbrechen gegen die nationale Sicherheit mit dem Tod bestraft werden können. Das Gesetz behält sich auch das Recht vor, dass bestimmte Prozesse unter Ausschluss von Medien und Öffentlichkeit stattfinden (Artikel 41).

Zweiter Jahrestag: Apple Daily veröffentlicht letzte Ausgabe

Kaum ein Fall verdeutlicht den Verfall der Pressefreiheit in Hongkong und die Folgen dieses Gesetzes so sehr wie der von Jimmy Lai. Der Verleger ist dort seit Dezember 2020 in einem Hochsicherheitsgefängnis inhaftiert. Wegen der Teilnahme an „nicht genehmigten“ Pro-Demokratie-Demonstrationen und wegen Betrugsvorwürfen verbüßt er mehrere Haftstrafen. Die Behörden haben ihm wiederholt die Freilassung gegen Kaution verweigert. Im September beginnt ein weiterer Prozess unter dem „Sicherheitsgesetz“. Dem 75-Jährigen droht lebenslange Haft.

Vor fast zwei Jahren, am 24. Juni 2021, erschien die letzte Ausgabe der von ihm 1995 gegründeten Zeitung Apple Daily. Die Zeitung musste schließen – ein Schritt, der als letzter Nagel im Sarg der Pressefreiheit in Hongkong gedeutet wird. Zuvor hatten 500 Polizisten den Hauptsitz durchsucht und hochrangige Mitarbeitende festgenommen. Einige von ihnen sitzen immer noch im Gefängnis. Vermögenswerte der Zeitung wurden eingefroren.

Ebenfalls vor Gericht stehen die wegen „aufrührerischer Veröffentlichungen“ angeklagten ehemaligen Chefredakteure der geschlossenen Nachrichtenseite Stand News. Ihnen drohen bis zu zwei Jahre Haft. Ende Juni sollen laut einem Medienbericht Verteidigung und Staatsanwaltschaft ihre Schlussplädoyers halten.

Die in diesem Prozess zugrunde liegende Gesetzgebung („sedition law“) ist nicht Teil des Sicherheitsgesetzes von 2020, sondern stammt noch aus der britischen Kolonialzeit. Laut der Nachrichtenseite Hong Kong Free Press wurde sie mehr als 50 Jahre lang nicht genutzt, bis sie nach den umfangreichen Protesten gegen ein 2019 geplantes Auslieferungsgesetz wieder verstärkt angewandt wurde. Mitarbeitende der Apple Daily gehörten demnach zu den ersten Medienschaffenden, denen „Aufruhr“ vorgeworfen wurde. Dennoch könnte auch hier das „Sicherheitsgesetz“ eine Rolle spielen. Rechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler gehen laut der Nachrichtenagentur Reuters davon aus, dass jüngste Gerichtsurteile die Hongkonger Behörden ermächtigt haben, das „Sicherheitsgesetz“ zu nutzen, um Gesetze aus der Kolonialzeit wiederzubeleben.

Lebensgefährliche Haftbedingungen in China

In Festland-China sitzen mindestens 102 Journalistinnen und Journalisten im Gefängnis, mehr als in jedem anderen Land der Welt. RSF erinnert vor allem an die mindestens zwölf Medienschaffenden, die aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustands und der Haftbedingungen im Gefängnis sterben könnten.

Im April wurde der für seine Recherchen über Korruption bekannte Investigativjournalist Shangguan Yunkai festgenommen. Ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft. Vorgeworfen wird ihm, einen „Streit angefangen und Ärger provoziert“ zu haben. Dieser Vorwurf gehört neben „Spionage“ und „Umsturz“ zu den drei Vergehen, mit denen die Behörden häufig gegen kritische Stimmen vorgehen. Sie sind so allgemein definiert, dass sie auf fast jede Tätigkeit angewendet werden können.

Anfang Juli soll in China eine Ausweitung des Spionage-Abwehr-Gesetzes in Kraft treten, die auch Medienschaffende bedroht. Darin wird die Definition von Spionage ausgeweitet auf den bloßen Zugang zu „Dokumenten, Daten, Material oder Gegenständen, die mit der nationalen Sicherheit und den nationalen Interessen in Zusammenhang stehen“. Die angepasste Version wird es den Behörden auch ermöglichen, gegen jede verdächtige Person, unabhängig von ihrer Nationalität, ein Ausreiseverbot zu verhängen, und ihnen weitreichende Ermittlungsbefugnisse gegen Personen einräumen, die der Spionage verdächtigt werden.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht China auf Platz 179 von 180 Staaten, Hongkong belegt Platz 140.



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