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China

Rangliste der Pressefreiheit — Platz 179 von 180
Themenbericht 07.12.2021

Journalismus in China: Der große Sprung zurück

© Badiucao

Ideologische Kontrolle, strikte Zensur, lebensgefährliche Haftbedingungen: Das chinesische Regime hat dem unabhängigen Journalismus den Krieg erklärt. Schon die Recherche eines Tabuthemas oder die Veröffentlichung zensierter Informationen kann zu jahrelanger Gefängnisstrafe führen. Seit Präsident Xi Jinping an die Macht kam, hat die Kommunistische Partei Chinas ihre Kontrolle über Journalistinnen und Journalisten drastisch verschärft. Ob Naturkatastrophen, die Covid-19-Pandemie, die MeToo-Bewegung oder die Verfolgung der Uiguren in Xinjiang – kaum ein Thema entgeht noch der Zensur. Auch in der Sonderverwaltungszone Hongkong, einst eine Bastion der Pressefreiheit, ist diese so bedroht wie nie zuvor. Ein von Peking verabschiedetes „Sicherheitsgesetz“ gefährdet dort insbesondere Medienschaffende.

In einem ausführlichen Bericht beschreibt Reporter ohne Grenzen (RSF) das beispiellose Ausmaß der Unterdrückung von Journalismus und Informationsfreiheit in China und Hongkong und untersucht die verschiedenen Instrumente, mit denen das Regime in Peking arbeitet. Die Organisation zeichnet ein düsteres Bild der Pressefreiheit vor Ort, betont aber gleichzeitig auch die Resilienz einiger Medien und Internetnutzerinnen und -nutzer, die mit kritischen Recherchen und kreativen Mitteln versuchen, der Zensur zu trotzen.

„Wenn Peking die Unterdrückung von Informationen in diesem Tempo fortsetzt, schwindet die Hoffnung für die Menschen in China weiter, dass eines Tages Pressefreiheit in ihrem Land herrscht. Demokratien sollten geeignete Strategien finden, um das Regime von seiner repressiven Politik abzubringen und alle chinesischen Bürgerinnen und Bürger zu unterstützen, die ihr Recht auf Information verteidigen wollen“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr.

Investigative Recherchen und mehr Freiheiten: Journalismus in China zu Beginn des Jahrtausends

Wie sehr sich die Situation verschlechtert hat, zeigt auch ein Blick in die Vergangenheit. Seit Ende der 1990er Jahre und während der beiden Amtszeiten von Hu Jintao zwischen 2003 und 2013 profitierten die chinesischen Medien zunächst von den wenigen kleinen Freiheiten, die mit der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes einhergingen. Einige begannen, sich für investigativen Journalismus und Meinungspluralismus zu öffnen, allen voran die renommierte Zeitung Southern Weekly (Nánfāng Zhōumò) aus Guangzhou, die damals für ihre Unabhängigkeit bekannt war, und veröffentlichten Berichte etwa über Korruption und Armut in ländlichen Regionen. Auch der bekannte Investigativjournalist Wang Keqin und sein Team bei der China Economic Times deckten Korruptions- und Gesundheitsskandale auf. Durch ihre Recherchen erfuhr die Welt vor rund zwanzig Jahren, dass sich zwei Millionen Landbewohnerinnen und -bewohner, die ihr Blut verkauften, um zu überleben, mit HIV angesteckt hatten.

Der Amtsantritt von Präsident Xi Jinping im März 2013 beendete diese zaghafte Öffnung. Xi, der im Jahr zuvor bereits Parteichef wurde, darf seit einer Verfassungsänderung 2018 lebenslang regieren. Unter dem Deckmantel der Bekämpfung von „Online-Gerüchten“, die später auf alle „vulgären“ Inhalte ausgedehnt wurde, übernahm er schnell die Kontrolle über die professionellen Medien und ging gleichzeitig gewaltsam gegen Bürgerjournalistinnen und Blogger vor.

Der regelrechte „Krieg“ der Regierung gegen den investigativen Journalismus hat Redaktionen schließlich davon abgehalten, Zeit und Ressourcen in langwierige und kostspielige Recherchen zu investieren, die zensiert werden oder Medienschaffende in rechtliche Schwierigkeiten bringen könnten. Der Journalist Liu Hu, der zwischen 2013 und 2014 ein Jahr lang inhaftiert war, sagte der New York Times 2019, dass Investigativjournalistinnen und -journalisten eine „aussterbende Spezies“ geworden seien.

Loyalität zur Partei und gnadenlose Unterdrückung: Journalismus unter Xi Jinping

Welche Aufgabe Medien in den Augen Xi Jinpings haben, zeigte sich eindrücklich im Februar 2016, als der Staats- und Parteichef die Redaktionen des Senders CCTV, der Zeitung People’s Daily und der Nachrichtenagentur Xinhua besuchte. Dabei forderte er Reporter und Chefredakteurinnen zu „absoluter Loyalität“ zur Kommunistischen Partei auf. Die Arbeit der staatlichen Medien müsse „den Willen der Partei reflektieren, die Autorität der Partei sichern und die Einheit der Partei schützen.“

Unter dem Mandat von Xi ist die Loyalität zur Partei und ihrem Anführer eine Voraussetzung für die Arbeit als Journalist geworden. Seit Oktober 2019 müssen chinesische Journalistinnen und Journalisten einen Test zur Loyalität gegenüber der Doktrin der Partei und Präsident Xi bestehen, um ihre Presseausweise zu erhalten und zu erneuern. Dieser ist nur über die App „Xi studieren, das Land stärken“ verfügbar, die sie herunterladen müssen.

Das deutsche Cybersicherheitsunternehmen Cure 53 fand heraus, dass die vom E-Commerce-Giganten Alibaba für die Partei entwickelte App ohne das Wissen des Nutzers persönliche Daten sammeln könnte. Die App würde unter anderem ermöglichen, Dateien zu verändern, Anwendungen herunterzuladen, Anrufe zu tätigen und das Mikrofon des Geräts einzuschalten. Im Oktober 2021 kündigte die zuständige chinesische Behörde an, dass Journalistinnen und Journalisten bald mindestens 90 Stunden im Jahr an einem Training teilnehmen müssen, in dem es auch um Xi Jinpings „Gedankengut“ geht. Die Teilnahme und das Profil der Journalistinnen und Journalisten in sozialen Medien würden bei der Erneuerung des Presseausweises berücksichtigt.

Neben der ideologischen Kontrolle sind es vor allem die juristischen Schikanen und langen Haftstrafen, die Journalistinnen und Journalisten bedrohen. Mindestens 116 Medienschaffende sind derzeit in China im Gefängnis, mehr als in jedem anderen Land. Um sie zu inhaftieren, greift das Regime vor allem auf drei Vorwürfe zurück, die so allgemein definiert sind, dass sie auf fast jede Tätigkeit angewendet werden können: „Spionage“, „Umsturz“ sowie „einen Streit anfangen und Ärger provozieren“. Die ersten beiden Vorwürfe können mit lebenslanger Haft geahndet werden.

Ein prominentes Beispiel für den letzten Anklagepunkt ist Zhang Zhan. Die Journalistin ist vor allem durch ihre Berichterstattung über die Frühphase der Covid-19-Pandemie in der Stadt Wuhan bekannt geworden. Ende Dezember 2020 verurteilte sie ein Gericht in Shanghai zu vier Jahren Haft. Im Gefängnis ist die 38-Jährige in einen Hungerstreik getreten, weil sie gezwungen wurde, ihre vermeintliche Schuld einzugestehen. Ihr Gesundheitszustand hat sich erheblich verschlechtert. Bleibt die Reporterin weiter in Haft, droht sie zu sterben. Neben Zhang schweben mindestens zehn weitere in China inhaftierte Verteidigerinnen und Verteidiger der Pressefreiheit in Lebensgefahr. Im Februar 2021 starb Kunchok Jinpa, eine wichtige Quelle ausländischer Medien zu Tibet, infolge von Misshandlungen während der Haft. Im Jahr 2017 starben der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo und der Blogger Yang Tongyan. Bei beiden wurde 2017 während langjähriger Haftstrafen Krebs im Endstadium diagnostiziert. Im Gefängnis wurden sie nicht ausreichend medizinisch versorgt.

Unter den inhaftierten Medienschaffenden sind mindestens 71 uigurische Journalistinnen und Journalisten. Prominente Fälle sind der Journalist Ilham Tohti und die Journalistin Gulmira Imin. In der Provinz Xinjiang werden Berichten zufolge mindestens eine Millionen Menschen in Umerziehungslagern festgehalten. Begleitet wird die Unterdrückungskampagne gegen Uigurinnen und Uiguren durch eine beispiellose Medienblockade. Die wenigen ausländischen Journalistinnen und Journalisten, die überhaupt noch nach Xinjiang reisen dürfen, werden streng überwacht und können sich weder frei bewegen noch frei Interviews führen.

Auch fernab der Provinz Xinjiang bekommen Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten die schwindende Pressefreiheit zu spüren. Zwar haben sie es in China schon immer schwer gehabt, vor allem wenn sie über Politik oder Menschenrechtsfragen berichten. In den 1990er und 2000er Jahren genossen sie und ihre chinesischen Kolleginnen und Kollegen jedoch eine gewisse Recherchefreiheit und hatten Zugang zu wichtigen Informationsquellen. Für die Behörden war dies ein notwendiges Übel: Auch wenn sie manchmal unliebsame Informationen enthielten, erfüllten die Artikel die wichtige Aufgabe, die Welt über die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Chinas zu informieren und damit Investoren und Geschäftspartner anzulocken. Zwei Jahrzehnte später hat sich die Situation dramatisch verändert. In den Augen des Regimes sind Korrespondentinnen und Korrespondenten inzwischen unerwünschte Zeugen.

Dem jüngsten Jahresbericht des Klubs der Auslandskorrespondenten in China (FCCC) zufolge haben sich die Schikanen gegen Korrespondentinnen und Korrespondenten während der Covid-19-Pandemie erneut verschärft. Das Regime hat ein regelrechtes System der Einschüchterung geschaffen, das auf Überwachung und Einschränkungen bei der Visumsvergabe beruht. Im Jahr 2020 wurden nicht weniger als 18 Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten gezwungen, das Land zu verlassen. Unter besonders großem Druck stehen ihre chinesischen Mitarbeitenden und Quellen. So wurde etwa Haze Fan, chinesische Mitarbeiterin der Nachrichtenagentur Bloomberg im Dezember 2020 festgenommen, weil sie angeblich „die nationale Sicherheit gefährdet“ haben soll. Sie wird seitdem ohne Prozesstermin und ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten.

Trotz des zunehmenden Drucks aus Peking stemmt sich eine Reihe unabhängiger Medien weiter gegen die Zensur. Dazu gehört insbesondere das Magazin Caixin, das RSF im Juli 2020 zu einem Helden der Informationsfreiheit gekürt hat. Das auf Englisch und Chinesisch erscheinende Magazin zweifelte im Frühjahr 2020 immer wieder von der Regierung veröffentlichte Informationen zum Thema Covid-19 an und berichtete darüber, wie Behörden versuchten, die hohe Ansteckungsgefahr und Ähnlichkeiten zur Atemwegserkrankung SARS zu vertuschen. Weitere Beispiele sind die Seite 64 Tianwang, die zehntausende Menschenrechtsverletzungen in China dokumentiert hat oder die Seite China Citizens Movement, die über Menschenrechte und die Zivilgesellschaft im Land berichtet.

Zahlreiche Tabuthemen und umfassende Zensur

In das Visier der Behörden geraten nicht nur Journalistinnen und Journalisten, sondern auch Internetnutzerinnen und -nutzer, die sensible Themen diskutieren und verbreiten. Das Regime greift dabei vor allem auf die umfassende Online-Zensur zurück. Noch in den 2000er Jahren wehte ein Hauch von Freiheit über das sich damals rasch entwickelnde chinesische Internet, so dass Internetnutzerinnen und -nutzer ihre Meinung und Unzufriedenheit mit der Politik relativ frei äußern konnten. Heute setzt die Chinesische Cyberspace-Verwaltung, einer der größten Feinde des Internets weltweit, eine breite Palette von Maßnahmen ein, um die Online-Aktivitäten von Chinas einer Milliarde Internetnutzerinnen und -nutzern zu kontrollieren.

Die „Great Firewall“, ein technisches System, das vom Regime entwickelt wurde, um das chinesische Internet vom Rest der Welt zu isolieren, ermöglicht nicht nur die Sperrung der IP-Adressen einer großen Zahl von Webseiten, sondern auch die Zensur von Inhalten, die verbotene Schlüsselwörter enthalten. Die NGO GreatFire schätzt, dass 160 der 1.000 meistbesuchten Webseiten der Welt in China unzugänglich sind. Die Regierung schränkt auch den Zugang zu VPNs zur Umgehung der Online-Zensur allmählich ein. So hat etwa das Unternehmen Apple auf Anweisung der Behörden alle VPN-Apps aus seinem chinesischen App Store entfernt.

Während der Covid-19-Pandemie haben die Behörden früh versucht, Kritik am Krisenmanagement zu unterdrücken. Die NGO Chinese Human Rights Defenders (CHRD) dokumentierte 897 Fälle, in denen chinesische Internetnutzerinnen und -nutzer zwischen dem 1. Januar und dem 26. März 2020 wegen ihrer Online-Äußerungen zum Covid-19-Ausbruch in China bestraft wurden. Anfang Februar starb der Whistleblower Li Wenliang, der versucht hatte, vor dem Coronavirus zu warnen. Nur wenige Tage nach seinem Tod wurde der Hashtag #WomenYaoYanlunZiyou („Wir wollen Meinungsfreiheit“) im chinesischen sozialen Netzwerk Sina Weibo mehr als zwei Millionen Mal verwendet, um den verstorbenen Arzt zu ehren und das Missmanagement durch die Behörden anzuprangern – eine Bewegung von ziemlich beispiellosem Ausmaß in einem Land, in dem die Kontrolle von Inhalten in sozialen Netzwerken in den vergangenen Jahren erheblich verschärft wurde. Die meisten dieser Nachrichten sind inzwischen auf Druck der Zensurbehörden gelöscht worden.

Nicht nur Debatten über die Covid-19-Pandemie versucht das Regime zu kontrollieren, die Zensur passt sich dem jeweiligen Kontext an. Anfang November beschuldigte die Tennisspielerin Peng Shuai einen chinesischen Spitzenpolitiker der Vergewaltigung. In weniger als 30 Minuten wurden ihr Beitrag und alle dazugehörigen öffentlichen Kommentare gelöscht. Zwei Monate zuvor hatte der Messenger WeChat einen Artikel des Investigativmagazins Caixin zensiert, in dem die fragwürdigen Finanzpraktiken des chinesischen Immobilienriesen Evergrande beschrieben wurden.

Auch die Überwachung von Gesprächen hat ein beängstigendes Ausmaß erreicht. Seit einigen Jahren sind Internetnutzerinnen und -nutzer verpflichtet, sich bei Messaging-Apps und Online-Informationsdiensten unter ihrem echten Namen zu registrieren. Unverschlüsselte Gespräche auf WeChat werden als Beweismittel in Gerichtsverfahren verwendet. In diesem Jahr wurden zudem der verschlüsselte Messenger Signal und die App Clubhouse, die es Internetnutzerinnen und -nutzern kurzzeitig ermöglichten, Diskussionsgruppen zu verbotenen Themen zu bilden, aus dem chinesischen Internet verbannt.

Doch die chinesische Öffentlichkeit sucht immer wieder nach neuen Lösungen, um sich zu informieren und Informationen weiterzugeben und liefert sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Behörden. Sobald die Zensur ein Schlüsselwort zu einem kontroversen Thema sperrt, erfinden Internetnutzerinnen und -nutzer neue. Eine gängige Methode besteht darin, ein zensiertes Wort durch ein Homofon zu ersetzen, also ein Wort, das gleich klingt, aber mit anderen Schriftzeichen geschrieben wird. Im Januar 2018 etwa tauchte der Begriff „Reishase“ (mǐ-tù auf Chinesisch) im sozialen Netzwerk Weibo auf, da er genauso ausgesprochen wird wie der Hashtag #MeToo, den die Behörden vorübergehend zensiert hatten.

Im Frühjahr 2020 versuchten Internetnutzerinnen und -nutzer in China ein zensiertes Interview mit der Wuhaner Ärztin Ai Fen im Netz zu halten und die Zensoren auszutricksen. So wurde das Interview etwa in verschiedene Sprachen und Blindenschrift übersetzt und geteilt, Wörter durch Emojis und Symbole ersetzt, vorgelesen und als Tonaufnahme hochgeladen oder hinter QR-Codes versteckt.

Pressefreiheit in Hongkong im freien Fall

Auch in Hongkong, einst eine Bastion der Pressefreiheit, hat sich die Situation deutlich verschärft. Rund 25 Jahre nach der Übergabe Hongkongs an die Volksrepublik China ist die in der Mini-Verfassung der Sonderverwaltungszone garantierte Pressefreiheit so bedroht wie nie zuvor. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Hongkong auf Platz 80 von 180 Staaten. Bei der Einführung der Rangliste im Jahr 2002 stand Hongkong noch auf Platz 18 von damals 139 bewerteten Ländern.

Reporter ohne Grenzen zählt neben Xi Jinping auch Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam zu den größten Feinden der Pressefreiheit weltweit. Als sie 2017 das Amt übernahm und Regierungspressekonferenzen für unabhängige Online-Medien öffnete, ließ dies auf positive Änderungen für die Pressefreiheit hoffen. Leider zeigte Lam bald ihr wahres Gesicht: das einer Marionette des Pekinger Regimes, dessen freiheitsfeindliche Politik sie im Namen des „Patriotismus“ verteidigte und durchsetzte.

Ein beispielloser Schlag gegen die Pressefreiheit ist das 2020 von Peking verabschiedete „Sicherheitsgesetz“. Es erlaubt dem chinesischen Regime, direkt in die Sonderverwaltungszone einzugreifen. Unter dem Anschein der Legalität kann es alles unterdrücken, was es als „Terrorismus“, „Abspaltung“, „Untergrabung der Staatsgewalt“ und „ausländische Einmischung“ betrachtet.

Das „Sicherheitsgesetz“ gilt für alle Journalistinnen und Journalisten, die über Hongkong berichten, unabhängig von ihrem Aufenthaltsort (Artikel 38). Im Falle eines Prozesses in Hongkong drohen Medienschaffenden lebenslange Haftstrafen, und obwohl das Wort „Auslieferung“ nie erwähnt wird, behält sich das Gesetz die Möglichkeit vor, Prozesse in der Volksrepublik China zu führen (Artikel 55), wo Verbrechen gegen die nationale Sicherheit mit dem Tod bestraft werden können. Das Gesetz behält sich auch das Recht vor, dass bestimmte Prozesse unter Ausschluss von Medien und Öffentlichkeit stattfinden (Artikel 41).

Das „Sicherheitsgesetz“ diente der Hongkonger Regierung bereits als Vorwand, um gegen mindestens 12 Journalistinnen und Journalisten und Verfechter der Pressefreiheit vorzugehen und die größte chinesischsprachige oppositionelle Zeitung vor Ort, Apple Daily, zu schließen. Einer der ersten Hongkonger, der unter dem Gesetz angeklagt wurde, ist der 73-jährige Verleger Jimmy Lai. Er sitzt bereits seit Anfang Dezember 2020 in Haft. Gegen ihn laufen sechs Verfahren. Für die Anklagepunkte unter dem neuen Sicherheitsgesetz droht ihm eine lebenslange Haftstrafe.

Doch nicht erst seit der Verabschiedung des Sicherheitsgesetzes blickt Reporter ohne Grenzen mit großer Sorge nach Hongkong. In einem ausführlichen Länderbericht beschrieb die Organisation bereits 2016 die Zunahme von Selbstzensur und Eingriffe in die redaktionelle Unabhängigkeit von Medien vor Ort.

Ein großes Problem bleibt die Polizeigewalt gegen Journalistinnen und Journalisten. Bei der Berichterstattung über Proteste gegen ein damals geplantes Auslieferungsgesetz haben 2019 Polizei und mutmaßlich pekingtreue Gruppen Medienschaffende eingeschüchtert und angegriffen. Im September wurde eine Journalistin von einem Gummi-Geschoss getroffen und verlor dabei ihr rechtes Augenlicht. Bereits im Jahr 2014 wurden bei der Auflösung der pro-demokratischen Regenschirmproteste durch die Polizei mehr als 2000 Menschen verletzt, unter ihnen rund 30 Journalistinnen und Journalisten.

Die Behörden haben zudem den öffentlich-rechtlichen Rundfunk RTHK im Visier. So ernannte Lam 2021 einen neuen Programmdirektor, der ihr nicht nur für einen Monat eine tägliche Talkshow gab, sondern auch die Zensur verschärft hat: Seit seinem Amtsantritt wurden mindestens 12 neue Produktionen kurzfristig aus dem Programm genommen und mehr als 200 archivierte Sendungen aus dem YouTube-Kanal des Senders entfernt.

Auch Korrespondentinnen und Korrespondenten bekommen den Druck zu spüren. Festlandchina setzt Schikanen bei Visumsanträgen schon länger systematisch ein, um Druck auf ausländische Medienschaffende auszuüben. Diese Praxis scheint auch in Hongkong angekommen zu sein. Im Mai 2020 haben die Behörden einen Visumsantrag des New-York-Times-Korrespondenten Chris Buckley abgelehnt, nachdem dieser zuvor aus der Volksrepublik China ausgewiesen worden war. 2018 wurde der Financial-Times-Journalist Victor Mallet ausgewiesen, nachdem er als Vizepräsident des Clubs der Auslandskorrespondenten in Hongkong (FCCHK) den Vertreter einer Partei eingeladen hatte, die sich für die Unabhängigkeit Hongkongs einsetzt.

Doch auch in Hongkongs Medienlandschaft gibt es Widerstand. Angeführt wird er von Online-Medien wie Citizen News, Stand News, Hong Kong Free Press und inMedia, deren Leserschaft wächst.

Bereits 2019 hat RSF einen ausführlichen Bericht über Pekings internationale Medienstrategie veröffentlicht und untersucht, wie das Regime eine „neue Weltordnung der Medien“ schaffen möchte. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht China auf Platz 177 von 180 Staaten.



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