11.03.2011

Welttag gegen Internetzensur: Zehn Staaten auf der Liste der „Feinde des Internets“ / Frankreich als erstes EU-Mitglied „Unter Beobachtung"

Jedem dritten Internetnutzer weltweit bleibt der Zugang zu einem freien Netz verwehrt. In zehn Staaten ist die Überwachung des Internets und die Verfolgung von Bloggern und Internetnutzern so stark, dass sie den Titel „Feinde des Internets“ verdienen. Das EU-Mitglied Frankreich und die Staaten Libyen und Venezuela stehen in diesem Jahr erstmals „Unter Beobachtung. Tunesien und Ägypten gehören nach den revolutionären Umwälzungen nicht mehr zu den „Feinden des Internets“, stehen aber ebenfalls weiterhin „Unter Beobachtung“.  Das sind die zentralen Ergebnisse des Internet-Berichtes, den Reporter ohne Grenzen (ROG) am Vorabend des „Welttags gegen Internetzensur“ am 12. März veröffentlicht. ROG hat diesen Tag vor zwei Jahren ins Leben gerufen, um auf die Online-Repressionen in einer wachsenden Zahl von Ländern sowie auf eine zunehmende Vielfalt von Strategien und Techniken der Internetüberwachung aufmerksam zu machen. 

„In etwa 60 Staaten zensieren die Regierungen das Internet und verfolgen Internetnutzer. Mindestens 119 Blogger und Online-Aktivisten sind derzeit im Gefängnis, weil sie das Internet genutzt haben, um frei ihre Meinung zu äußern“, so ROG-Generalsekretär Jean-François Julliard. 

Auf der Liste der „Feinde des Internets“ stehen wie in den beiden Vorjahren Birma, China, Kuba, Iran, Nordkorea, Saudi Arabien, Syrien, Turkmenistan, Usbekistan und Vietnam. Diese Staaten zensieren das Internet durch massive Filterungen und Sperrungen von Websites, verfolgen kritische Internetnutzer systematisch und instrumentalisieren das Netz für propagandistische Zwecke, heißt es in dem mehr als 100-seitigen ROG-Bericht. 

Auch weil Internetnutzer in Ländern wie China, Iran und Saudi Arabien zunehmend Programme zur Umgehung von Zensur nutzen, haben viele autoritäre Staaten in den vergangenen Jahren über das Blockieren und Filtern hinausgehende Methoden der Online-Überwachung und -Manipulation entwickelt: Staatliche Mitarbeiter oder eine eigens geschaffene Cyberpolizei kontrollieren Inhalte im Netz oder infiltrieren soziale Netzwerkseiten. Blogger werden dafür bezahlt, Kommentare auf gut besuchten Websites zu platzieren. Websites werden durch Cyberattacken oder Spyware lahmgelegt. Mit neuen Gesetzen versuchen die Regierungen Internetnutzer zu zwingen, ihre Anonymität aufzugeben. In Ländern wie Birma war mehrfach zu beobachten, dass die Geschwindigkeiten der Internetverbindungen so stark gedrosselt wurden, dass eine Nutzung des Mediums für die Bevölkerung kaum mehr möglich war. Die Störungen gehen in einigen Ländern bis hin zur Abschaltung des Internets und sind häufig begleitet von Unterbrechungen des Mobilfunks.

Im vergangenen Jahr zählte ROG noch zwölf Feinde des Internets: Ägypten und Tunesien sind nach den revolutionären Umwälzungen und dem Sturz der Regierungen nicht mehr gelistet. In Tunesien werden aktuell so gut wie keine Internetseiten mehr zensiert, während in Ägypten bis auf einen Blogger alle zuvor inhaftierten Internetaktivisten freigelassen worden sind. Anklagen gegen sie wurden fallen gelassen.  „Diese Staaten bleiben jedoch ‚Unter Beobachtung‘. Die Errungenschaften dieser Revolutionen müssen erst konsolidiert  und die neuen Freiheiten garantiert werden“, so Julliard. Die früheren Mechanismen der Zensur und Überwachung sind bisher weder transparent gemacht noch aufgelöst worden. Die Aufstände in der arabischen Welt hatten auf der anderen Seite Auswirkungen auf die Online-Kontrollen in einer Reihe von Ländern der Gruppe „Feinde des Internets“. So haben unter anderem Syrien, Usbekistan und Vietnam die Zensur verstärkt, um Berichte zu unterdrücken und einen möglichen Domino-Effekt zu vermeiden. 

16 Staaten stellt ROG in seinem Bericht „Unter Beobachtung“. Es handelt sich um Länder, die beunruhigende Zensurmaßnahmen ergriffen haben, die leicht missbraucht werden könnten. Neu „Unter Beobachtung“: Frankreich, Libyen und Venezuela.
 
In Frankreich stimmte die Nationalversammlung in zweiter Lesung im Februar 2011 dem Online-Gesetzespaket  „Loppsi 2“ („Loi d'orientation et de programmation pour la performance de la sécurité intérieure“) zu. Das Innenministerium kann jetzt unter anderem ohne gerichtliche Anordnung Provider anweisen, die Webseiten ihrer Kunden nach pädophilen Inhalten zu filtern. Die Schlüsselwörter hierfür sucht eine Regierungsbehörde ohne Kontrolle durch ein Gericht aus. 

In Libyen forcierte das Regime unter Muammar al-Gaddafi die Internetzensur im Zuge der Proteste in Tunesien und Ägypten und intensiviert diese nach Beginn der Proteste im eigenen Land - bis hin zur vollständigen Unterbrechung der Internetverbindung. 

Auch in Venezuela könnte ein neues Ende 2010 verabschiedetes Internetgesetz zu einer Verschärfung der Online-Zensur führen. In den vergangenen Monaten wurden bereits eine Reihe von Blogs gesperrt und einige Internetnutzer festgenommen. 

Das vergangene Jahr hielt aber auch viele hoffnungsvolle Entwicklungen bereit: Online-Plattformen, Mikro-Blogging-Dienste sowie soziale Netzwerkseiten haben sich als Instrumente des Protestes, politischer Kampagnen und der Verbreitung unabhängiger Informationen etabliert. Das haben vor allem die Ereignisse in Tunesien und Ägypten bewiesen. Klassische Medien und Online-Medien stehen zunehmend in einem komplementären Verhältnis zueinander und unterstützen sich gegenseitig. Gleichzeitig wächst die grenzüberschreitende Solidarität unter Internetaktivisten. Auch auf diese positiven Entwicklungen will ROG am „Welttag gegen Internetzensur“ aufmerksam machen.  Hier finden Sie die englische Fassung des 103-seitigen Berichts "Feinde des Internets". Lesen Sie hier die französische Fassung des Berichts. 


Hier erreichen Sie die internationale ROG-Informationsseite zum „Welttag gegen Internetzensur“ (Downloadmöglichkeiten von einer Weltkarte zum Bericht, Banner, Piktogrammen und einem kurzen Filmspot).



Pressekontakt
Anja Viohl
Tel.: 030 202 15 10 - 16
mobil: 0157 84 74 09 22

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