Mexiko 16.08.2021

Medium als indirektes Mordopfer anerkennen

Eine Frau mit Mundschutz hält ein Protestplakat in den Händen, auf dem die Journalistin Regina Martínez abgebildet ist
Mahnwache für Regina Martínez © picture alliance / ZUMAPRESS.com / Hector Adolfo Quintanar Perez

Reporter ohne Grenzen (RSF) unterstützt gemeinsam mit seiner mexikanischen Partnerorganisation Propuesta Cívica die Zeitschrift Proceso in ihrem Kampf für die lückenlose Aufklärung des Mordes an ihrer Korrespondentin Regina Martínez Pérez im Jahr 2012. Die Zeitschrift hatte beantragt, als „indirektes Opfer“ des Mordes anerkannt zu werden, was die mexikanische Sonderstaatsanwaltschaft für Verbrechen gegen die Meinungsfreiheit (FEADLE) jedoch abgelehnt hat. Propuesta Cívica hat nun als rechtliche Vertreterin von Proceso dagegen geklagt. Zudem fordern RSF und Propuesta Cívica die FEADLE auf, den Mordfall neu aufzurollen, damit er erstmals auf Bundes- und nicht auf Bundesstaatsebene verhandelt werden kann. Dabei sollen Martínez‘ journalistische Recherchen als Ursache für ihre Ermordung anerkannt werden.

„Wir sind entschlossen, den Fall Regina Martínez weiter zu begleiten, bis endlich die Wahrheit ans Licht kommt. Deshalb fordern wir die mexikanischen Bundesbehörden auf, Medienunternehmen und Mitarbeitenden von ermordeten und verschwundenen Medienschaffenden das Recht zuzusprechen, als indirekte Opfer vor Gericht zu gehen. Dadurch läge die unmenschliche Last, für Gerechtigkeit zu kämpfen, nicht mehr allein auf den Schultern der Familien der Opfer“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Dass die mexikanischen Behörden trotz der nachweislichen Fehler, die während der ursprünglichen Mordermittlungen gemacht wurden, nicht bereit sind, den Fall wieder aufzunehmen, ist inakzeptabel. Eine Wiederaufnahme gäbe Präsident Andrés Manuel López Obrador die Chance, sein Versprechen einzulösen, dass die Ermittlungen wiederaufgenommen werden und die wahren Täter ermittelt werden.“

Die Aufforderung von RSF an die FEADLE, den Fall neu aufzurollen, fußt auf einem Bericht, den RSF im März gemeinsam mit den Organisationen Free Press Unlimited und Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) veröffentlicht hat und der deutliche Indizien für eine Behinderung der Justiz in den ursprünglichen Ermittlungen aufzählt. Im April übergaben RSF, Propuesta Cívica und Proceso die Ergebnisse an die FEADLE, mit dem Ziel, dass auf dieser Grundlage die Bundesjustiz für zuständig erklärt und Martínez‘ journalistische Tätigkeit als Ursache für ihre Ermordung anerkannt wird. Darüber hinaus beantragte Proceso am 22. Juni die Anerkennung seines Opferstatus in den von der FEADLE durchgeführten Ermittlungen, damit das Medium den Prozess aktiv unterstützen kann.

Am 8. Juli 2021 teilte die FEADLE allerdings mit, dass sie das Medienunternehmen nicht als „indirektes Opfer“ anerkennen könne, da dieser Status nur natürlichen Personen zuerkannt werden könne, nicht aber juristischen Personen. Daraufhin beschloss Propuesta Cívica, als Rechtsvertreterin des Chefredakteurs von Proceso eine Revision der Entscheidung der FEADLE zu beantragen. Ein Bundesgericht solle die Weigerung als verfassungswidrig einstufen, so die Forderung. Eine solche Entscheidung würde künftig die Rolle von Medien in Ermittlungen und Prozessen stärken, in denen Verbrechen gegen ihre Mitarbeitenden aufgrund deren journalistischer Arbeit verhandelt werden.

Regina Martínez berichtete über Korruption und organisiertes Verbrechen

Regina Martínez war Korrespondentin von Proceso im Bundesstaat Veracruz. Sie berichtete über Behördenkorruption, Gewalttaten des organisierten Verbrechens und dessen Verbindungen in die Politik sowie Menschenrechtsverletzungen. Dafür wurde sie jahrelang bedroht und verfolgt. Am 28. April 2012 wurde Martínez in ihrem Haus in der Stadt Xalapa ermordet.

Die damals von der Generalstaatsanwaltschaft von Veracruz eingeleitete Untersuchung wies von Anfang an schwerwiegende Ungereimtheiten auf. Sechs Monate nach Beginn der Untersuchung meldete diese die Festnahme eines Mannes, der angeblich gestanden hatte. Der von RSF, Free Press Unlimited und CPJ veröffentlichte Bericht dokumentiert, dass dieses Geständnis unter Folter abgegeben wurde. Zudem wurde der Mord als Raubmord eingestuft, ohne dass Martínez‘ journalistische Arbeit als mögliche Ursache berücksichtigt wurde. Laut Bericht gibt es Hinweise darauf, dass Martínez aufgrund eines bestimmten Artikels über eine politische Affäre ermordet wurde. Trotz der fragwürdigen Ermittlungen schloss die Generalstaatsanwaltschaft von Veracruz den Fall; der geständige Tatverdächtige wurde zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt.

Propuesta Cívica ist die mexikanische Partnerorganisation von Reporter ohne Grenzen im Programm „Defending Voices“. Dieses hat zum Ziel, Medienschaffende unter anderem in Mexiko zu stärken und zu schützen und die weit vorherrschende Straflosigkeit bei Gewaltverbrechen gegen Journalistinnen und Journalisten zu beenden. In den vergangenen Monaten errang die Organisation im Rahmen des Programms zwei beispiellose Erfolge, als in den Mordfällen Javier Valdez und Miroslava Breach zum ersten Mal überhaupt Haftstrafen wegen Morden an einem Journalisten beziehungsweise einer Journalistin verhängt wurden.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Mexiko auf Platz 144 von 180 Ländern.

nach oben