Myanmar 12.02.2021

Pressefreiheit um zehn Jahre zurückgeworfen

Demonstrierende in Yangon halten Plakate und Schilder hoch, auf denen u.a. Aung San Suu Kyi zu sehen ist und #SaveMyanmar steht
Demonstration in Yangon © picture alliance / ZUMAPRESS.com / Aung Kyaw Htet

Gesperrte soziale Medien, Festnahmen, Drohungen und Gewalt gegen Medienschaffende: Nach dem Militärputsch Anfang Februar wurde die Pressefreiheit in Myanmar in wenigen Tagen um zehn Jahre zurückgeworfen. Reporter ohne Grenzen hat mit Medienschaffenden vor Ort über die schwierigen Arbeitsbedingungen gesprochen und fordert die Armee auf, eine freie Berichterstattung über die Proteste zuzulassen.

„Myanmar ist wieder dort, wo es vor zehn Jahren war, bevor die Auflösung der Junta im Februar 2011 die Entstehung einer freieren Medienlandschaft ermöglichte. Das Militär muss verstehen, dass eine Rückkehr zu Zensur und Unterdrückung nicht in Frage kommt“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die Kommandeure der Armee müssen es Journalistinnen und Journalisten ermöglichen, frei über die Demonstrationen im Land zu berichten.“

Die Militärjunta war ein halbes Jahrhundert lang an der Macht und wurde vor genau zehn Jahren, im Februar 2011, aufgelöst. Die während der Militärdiktatur streng zensierten Medien erhielten daraufhin mehr Freiheiten. So schuf die Regierung die Vorzensur für Zeitungen ab und entließ neben mehreren hundert politischen Häftlingen auch 17 Journalisten. Unabhängige Medien wie Democratic Voice of Burma (DVB), die jahrzehntelang nur aus dem Exil berichten konnten, kehrten ins Land zurück. Mitarbeitende von Reporter ohne Grenzen durften 2012 zum ersten Mal seit 25 Jahren wieder nach Myanmar reisen. Doch in den vergangenen Jahren hat sich die Lage für Medienschaffende wieder verschlechtert. Die Regierung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi hat vor allem seit Beginn der Rohingya-Krise einen Großteil ihrer internationalen Glaubwürdigkeit in Fragen der Pressefreiheit verspielt.

Unsicherheit und Angst vor Festnahmen

So prekär wie in den vergangenen zwei Wochen war die Lage jedoch seit der Militärdiktatur nicht mehr: Anders als für Journalistinnen und Journalisten im Ausland ist die Berichterstattung über die derzeitige Lage in Myanmar für Medien vor Ort schwierig und mit einer großen Unsicherheit verbunden. „Medien, die im Land ansässig sind, wie die Standard Times oder die Medien der Eleven-Media-Gruppe, können nicht frei über die Situation berichten“, sagte ein Journalist in Yangon, der anonym bleiben möchte, zu RSF. „Sie können das Risiko nicht eingehen. Sie sind in einer Zwickmühle: Wenn sie zu weit gehen, um die Wahrheit zu berichten, landen sie definitiv im Gefängnis.“

Am Tag nach dem Putsch erfuhren Reporterinnen und Reporter von einer vertraulichen Quelle aus dem Umfeld des Militärs, dass eine „schwarze Liste“ von Medienschaffenden, die festgenommen werden sollen, im Umlauf sei. Die New York Times berichtete, dass einige myanmarische Journalistinnen und Journalisten untergetaucht seien, weil sie befürchten, dass ihre Berichterstattung ihre Sicherheit gefährden könnte.

„Jeden Abend hören wir verschiedene Gerüchte über die Festnahme von Journalistinnen und Journalisten“, sagte eine weitere Journalistin aus Yangon zu RSF. „Jeden Morgen, wenn ich in die Nachrichten schaue, habe ich Angst zu erfahren, dass jemand, der mir nahe steht, über Nacht festgenommen wurde.“

Die neue Militärjunta möchte laut eigenen Angaben eine „disziplinierte Demokratie“ schaffen, hat die Medien aber noch nicht informiert, wie sie mit ihnen umgehen will. „Wir arbeiten mit einer großen Unsicherheit“, sagte die Journalistin. „Wir haben keine Ahnung, ob wir offen über Ereignisse berichten dürfen oder nicht.“

Der Wunsch, über das zu berichten, was gerade passiert, bringt viele Medienschaffende in ein Dilemma. „In den letzten Tagen haben wir in großer Angst über diesen historischen Moment berichtet“, sagte ein freier Journalist zu RSF, der ebenfalls anonym bleiben möchte. Doch er werde weiter von vor Ort berichten, da es notwendig sei, die Ereignisse richtig zu dokumentieren.

Journalist festgenommen, Reporter verletzt

Am Dienstag wurde in Myanmars zweitgrößter Stadt Mandalay ein DVB-Journalist festgenommen, als er dort über die Proteste gegen den Putsch berichtete. Am gleichen Tag wurde ein Reporter der Seite Mizzima News von Gummi-Geschossen der Polizei verletzt, als er über eine Demonstration in der Hauptstadt Naypyidaw berichtete. Bereits vergangene Woche griffen Anhänger des Militärs den Voice-of-Myanmar-Journalist Thurein Kyaw an, der im Krankenhaus behandelt werden musste. Auch der japanische Journalist Hiroki Kitazumi wurde laut einem Medienbericht auf einer Demo der Unterstützerinnen und Unterstützer des Militärs ins Gesicht geschlagen und getreten.

Da die staatlichen Medien Propaganda des Militärs übertragen, sind soziale Medien in Myanmar zu einer führenden Nachrichtenquelle geworden. Doch seit dem 2. Februar müssen die Menschen vor Ort VPNs nutzen, um die Sperrung sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter und Instagram zu umgehen.

Anfang Februar gingen laut Medienberichten zwischenzeitlich auch ausländische und myanmarische Fernsehsender vom Netz. Telefon- und Internetverbindungen waren in größeren Städten teilweise gekappt oder unterbrochen, auch einige Radiosender sendeten nicht.

Diese Woche ist der Entwurf für ein Cybersicherheitsgesetz in Myanmar durchgesickert. Demnach sollen Social-Media-Plattformen gezwungen werden, auf Anweisung der Behörden private Informationen über die Nutzerinnen und Nutzer zu teilen. Reporter ohne Grenzen verurteilt die Pläne für das Gesetz, da es die Vertraulichkeit der Daten und Quellen von Medienschaffenden gefährden würde.

Lage der Pressefreiheit wieder verschlechtert

Myanmar hatte mit dem 2011 begonnenen Reformprozess zunächst erhebliche Fortschritte bei der Pressefreiheit gemacht. Zwischen 2013 und 2017 kletterte das Land auf der Rangliste der Pressefreiheit um 20 Plätze nach oben. Doch seitdem hat sich die Situation für Medienschaffende wieder verschlechtert. Eine Rolle spielen dabei Gesetze, die zum Teil schon in der Militärdiktatur genutzt wurden, um Kritikerinnen und Kritiker mundtot zu machen. Auch auf Grundlage von Artikel 66(d) des Telekommunikationsgesetzes aus dem Jahr 2013, der Online-Diffamierung unter Strafe stellt, werden Medienschaffende immer noch häufig verfolgt. Selbstzensur bleibt ein Problem, insbesondere bei drei Themen: den Rohingya, der buddhistischen Religion und Aung San Suu Kyi.

Der größte Schlag gegen die Pressefreiheit war die siebenjährige Haftstrafe gegen die beiden Reuters-Journalisten Kyaw Soe Oo und Wa Lone im September 2018. Die beiden hatten über ein Massaker an der muslimischen Minderheit der Rohingya recherchiert. Anfang Mai 2019 wurden sie im Rahmen einer Amnestie für rund 6500 Häftlinge nach mehr als 500 Tagen im Gefängnis freigelassen. Reporter ohne Grenzen wertete den Prozess gegen die Journalisten als einen Test für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, den Myanmars Institutionen nicht bestanden haben.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Myanmar auf Platz 139 von 180 Staaten. Mindestens zwei Medienschaffende sitzen dort wegen ihrer Arbeit im Gefängnis.



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