Russland 19.04.2005

Rice soll sich bei Putin für Pressefreiheit einsetzen

„Gewalt gegenüber Journalisten ist die größte Bedrohung für freie Medien in Russland“, schreibt Reporter ohne Grenzen in einem Brief an US-Außenministerin Condolezza Rice, die heute und morgen in Moskau den russischen Präsidenten Wladimir Putin trifft.

Die Menschenrechtsorganisation appelliert an die US-Außenministerin, das Verschwinden von unabhängigen Medien in Russland ebenso zu thematisieren wie die zunehmenden Razzien gegen Medien, die Journalisten zur Selbstzensur treiben.

„Allein im vergangenen Jahr sind wegen ihrer Arbeit mindestens drei Journalisten bedroht und 17 tätlich angegriffen worden. Dieses Jahr wurden schon zwei Reporter brutal attackiert“, heißt es in dem Schreiben.

Reporter ohne Grenzen äußerte sich vor allem besorgt über die Gesundheit von Wladimir Lawrow, Fotograf der regionalen Tageszeitung „Mojo de Voronej“, die rund 500 Kilometer südlich von Moskau erscheint. Lawrow wurde am 30. März von mehreren Polizisten brutal zusammengeschlagen. Zudem entwendeten sie die Speicherkarte seiner Digitalkamera.

Am 8. März dieses Jahres wurde Viktor Naikhin, Korrespondent von „Mojo“ und „Komsomolskaya Prawda“ fast 40 Minuten lang verprügelt und bewusstlos liegen gelassen, als er in seinem Heimatort Voronej über die Kommunal- und Regionalwahlen berichtete. Er trug mehrere Rippenbrüche, eine Gehirnerschütterung sowie schwere Prellungen im Gesicht davon; seine rechte Hand war zeitweise gelähmt.

Weiterhin macht ROG darauf aufmerksam, dass mehrere Journalisten in den vergangenen Jahren ermordet wurden. Die Schüsse vom 9. Juli 2004 auf Paul Khlebnikov, Chefredakteur der russischen „Forbes“-Ausgabe, seien bis heute ebenso wenig aufgeklärt, wie die Messerstiche, denen Alexei Sodorov im Oktober 2003 und Valery Ivanov im April 2002 erlegen sind. Auch warte man bislang vergeblich auf Nachrichten vom AFP-Korrespondenten Ali Atramirov, der im Juli 2003 in Inguschetien entführt wurde.

„Bislang hat die russische Regierung nichts unternommen, um die Verantwortlichen zu finden und zur Rechenschaft zu ziehen. Diese ungestrafte Gewalt kann nur zu weiteren Taten anregen und Journalisten in die Selbstzensur treiben“, heißt es in dem Schreiben.

Besorgnis erregend seien auch die mangelnde Vielfalt im russischen Nachrichtensektor sowie das Verschwinden von unabhängigen Medien. Die Wochenzeitung „Moskovskie Novosti" und die Tageszeitungen „Russky Kurier" und „Nezavissimaya Gazeta " – die letzten Überlebenden der unabhängigen Presse – gehen durch eine beispiellose Krise. „Russky Kurier“ musste nach der Festnahme ihres Herausgebers Igor Golembiosvsky aus finanziellen Gründen am 31. März schließen. Die Angestellten der „Moskovskie Novostie“ bekommen seit Januar 2005 wegen eines Streits zwischen Chefredakteur und Eigentümer kein Gehalt mehr; vermutlich kann das Blatt bald nicht mehr erscheinen. Und die „Nezavissimaya Gazeta“ hat im Rahmen einer Umstrukturierung all ihre Journalisten zu Freelancern gemacht.

Anna Politkovskaja, Redakteurin der 14-täglich erscheinenden „Novaya Gazeta“, beschreibt ihre Zeitung als letzte finanziell unabhängige Publikation in Russland. Die Hälfte der 156 Journalisten arbeite ohne Gehalt, damit die Zeitung weiter erscheinen könne; doch ihre Schließung sei eine Frage der Zeit.

Abschließend äußert Reporter ohne Grenzen in dem Brief ihre Kritik über das Anzeigen-Monopol der Agentur „Video International", die dem Kreml untersteht. Unabhängige Zeitungen müssten die Regeln der Agentur akzeptieren, wollten sie überleben. Und das bedeute: Nicht über den Krieg in Tschetschenien berichten und vor allem keine Friedensverhandlungen fordern.

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