Tschechien
19.10.2017
Gefährliche Konzentration der Medienmacht
Reporter ohne Grenzen (ROG) ist besorgt über die Gefahr einer Konzentration von Regierungs- und Medienmacht nach der Parlamentswahl in Tschechien. Bei der Wahl am Freitag und Samstag (20./21.10.) dürfte Umfragen zufolge die Partei des Milliardärs Andrej Babiš stärkste Kraft werden. Damit könnte ein Unternehmer Ministerpräsident werden, der zwei der einflussreichsten Zeitungen des Landes und weitere wichtige Medien kontrolliert.
„Diese Wahl wirft ein Schlaglicht auf die äußerst beunruhigende Verquickung von wirtschaftlichen Interessen, politischen Ambitionen und Medienmacht in Tschechien“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Viele wichtige Medien in Tschechien sind zur Beute von Geschäftsleuten geworden, denen es vor allem um den Schutz ihrer Geschäftsinteressen vor Konkurrenten und Kritik geht. Die bisherigen Versuche, diese Machtkonzentration mit gesetzgeberischen Mitteln zu stoppen, sind kläglich gescheitert.“
Der gebürtige Slowake Babiš baute nach dem Zerfall der Tschechoslowakei vor allem mithilfe von staatlichen Aufträgen und EU-Fördermitteln den Konzern Agrofert auf und wurde mit dessen Chemie-, Landwirtschafts- und Lebensmittelverarbeitungsgeschäften reich. Er gilt heute als zweitreichster Mann Tschechiens. Mitte 2013 kaufte Babiš von der Rheinisch-Bergischen Druckerei- und Verlagsgesellschaft das größte Medienunternehmen Tschechiens, den Konzern Mafra, der zahlreiche einflussreiche Medien herausgibt. Dazu gehören die zweitgrößte Tageszeitung des Landes, Mladá fronta Dnes, die Tageszeitung Lidové noviny, die Gratiszeitung Metro sowie iDNES.cz, eine der meistgelesenen Online-Nachrichtenseiten. Wenig später erwarb Babiš außerdem Radio Impuls, den meistgehörten privaten Radiosender des Landes, sowie den Musik-Fernsehsender Óčko.
Medieninvestitionen und Eintritt in die Politik fielen eng zusammen
Babišs Engagement auf dem Medienmarkt fiel zeitlich eng mit seinem Eintritt in die Politik zusammen: Bei der Parlamentswahl im Oktober 2013 wurde die von ihm gegründete liberal-populistische Aktion unzufriedener Bürger (ANO) zweitstärkste Kraft und danach Teil der Regierungskoalition. Im Januar 2014 wurde Babiš Finanzminister und stellvertretender Ministerpräsident. Die Konzentration von Geschäftsinteressen, Regierungsverantwortung und Medienmacht in seiner Hand brachte Babiš den Spitznamen „Babišconi“ ein – angelehnt an den italienischen Politiker und (Medien-)Unternehmer Silvio Berlusconi.
Daran, dass Babiš willens ist, seinen Einfluss auf die Medien in seinem Besitz politisch zu nutzen, besteht kaum Zweifel. Wenige Stunden, nachdem 2013 seine Kaufabsicht für die Mafra-Mediengruppe bekannt geworden war, rief er einen Reporter der zu dem Konzern gehörenden Zeitung Lidové noviny an und verlangte eine Erklärung dafür, warum das Blatt nicht über eine Pressekonferenz seiner Partei ANO berichtet habe. Ein Exempel statuierte Babiš im Januar 2014 an dem Journalisten Vladimir Sevela von der Zeitung Mladá fronta Dnes, der nach einem kritischen Artikel über Babišs Konzern Agrofert seine Stelle verlor.
Aus Sorge vor Eingriffen in die Unabhängigkeit der Berichterstattung verließen zahlreiche Journalisten die Mafra-Medien. Die neue Chefredakteurin der Mladá fronta Dnes, Sabina Slonkova, gab 2014 nach wenigen Monaten auf, weil es praktisch unmöglich gewesen sei, die Zeitung redaktionell unabhängig zu führen. Vergangenen Mai wurde über einen anonymen Twitter-Account eine Tonaufnahme publik, in der der Milliardär einem Reporter der Zeitung detaillierte Vorschläge machte, zu welchen Affären er recherchieren, welche seiner Konkurrenten er durch Enthüllungen beschädigen könnte und wann der beste Zeitpunkt dafür wäre.
Babiš-Medien verzichten auf eigene Recherchen über den Unternehmer
Ein 2016 vom Parlament verabschiedetes Gesetz gegen Interessenkonflikte, das auch als „Lex Babiš“ bekannt ist, verbietet Regierungsmitgliedern inzwischen zwar den Besitz von Medien. Tatsächlich hat Babiš seine Unternehmen danach formell einer Treuhandgesellschaft überschrieben, doch faktisch dürfte sein Einfluss kaum geschrumpft sein: Zentrale Rollen in der Treuhandgesellschaft spielen ein langjähriger Agrofert-Manager, ein Anwalt Babišs und die Ehefrau des Milliardärs.
Im Mai 2017 verlor Babiš wegen des Verdachts auf Steuerbetrug und Medienbeeinflussung seinen Posten als Finanzminister. Anfang September hob das Parlament nach Vorwürfen des EU-Subventionsbetrugs seine Immunität auf. In der Affäre ermittelt neben der tschechischen Staatsanwaltschaft auch das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung OLAF. Trotz der Anschuldigungen lehnte Babiš es ab, seine Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten bei der Parlamentswahl zurückzuziehen.
Obwohl es reichlich Anlässe dazu gegeben hätte, haben die von Babiš kontrollierten Medien bislang nie eigene Recherchen etwa über die offenen Fragen zu seiner unternehmerischen Vergangenheit veröffentlicht, sondern allenfalls fremde Berichte darüber aufgegriffen. Als Anfang September herauskam, dass der Milliardär als Finanzminister die Steuerfahndung dazu missbraucht hatte, wirtschaftlichen Konkurrenten zu schaden, machte eine seiner Zeitungen mit einer Geschichte über Geschlechtsumwandlungen bei Fischen auf. Im Wahlkampf war der Unternehmer in der öffentlichen Wahrnehmung ständig präsent – entweder durch eigene Äußerungen oder durch das, was andere Politiker über ihn sagten.
Weitere Oligarchen sind im Mediengeschäft aktiv
Babišs Einstieg ins Mediengeschäft 2013 inspirierte offenbar weitere finanzstarke Unternehmer in Tschechien, es ihm gleichzutun. Der Finanzinvestor Marek Dospiva etwa kaufte eine Regionalzeitungsgruppe und macht keinen Hehl daraus, dass er dieses Engagement als Abschreckung gegen Angriffe von Konkurrenten betrachtet. Der Energie-Unternehmer Daniel Křetínský übernahm mehrere Zeitungen, die zuvor einem Joint Venture der ausländischen Medienkonzerne Axel Springer und Ringier gehörten. Dem ehemaligen Bergbau-Unternehmer Zdeněk Bakala gehören inzwischen eine Wirtschafts- und eine Wochenzeitung sowie ein Nachrichtenportal. Journalisten seiner Wochenzeitung Respekt haben berichtet, sich lieber selbst zu zensieren, als über den Eigentümer ihres Blattes zu berichten.
Mit wiederholten verbalen Ausfällen gegen Journalisten ist Staatspräsident Miloš Zeman aufgefallen. Vergangene Woche forderte er seine Entourage am Rande einer Sitzung des Europarats in Straßburg auf, ihm einen Kameramann des öffentlichen Fernsehsenders ČT24 aus dem Weg zu schaffen; andernfalls werde er ihn umbringen. Im Mai hatte Zeman während einer Pressekonferenz mit Russlands Präsident Wladimir Putin in China gewitzelt, es gebe zu viele Journalisten und man solle sie eliminieren. Zemans angespanntes Verhältnis zu den Medien reicht bis in seine Zeit als Ministerpräsident von 1998 bis 2002 zurück.
Auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit steht Tschechien auf Platz 23 von 180 Ländern weltweit.
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