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Deutschland

Rangliste der Pressefreiheit — Platz 21 von 180
UN-Anhörung 08.11.2023

Kritik an Menschenrechtslage in Deutschland

Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Tausenden Demonstrierenden und der Polizei, nach einer Demo gegen den Abriss des Braunkohle Dorfs Lützerath.
Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und der Polizei nach einer Demo gegen den Abriss Lützeraths. © picture alliance / Jochen Tack | Jochen Tack

Vor vier Jahren musste sich Deutschland zum bislang letzten Mal im Rahmen des “Universal Periodic Review”-Verfahrens (UPR) des UN-Menschenrechtsrats Kritik zur Menschenrechtslage im Land stellen. Auf der Rangliste der Pressefreiheit ist Deutschland seitdem um acht Plätze von Platz 13 auf Platz 21 abgerutscht. Digitale Gewalt und physische Übergriffe auf Medienschaffende nehmen zu. Journalisten und Journalistinnen, die vor Verfolgung fliehen, müssen oft zu lange auf ihre längst angekündigte Aufnahme in Deutschland warten und nach ihrer Ankunft auch hier vor Übergriffen geschützt werden. Gleichzeitig wurden Überwachungsbefugnisse für Sicherheitsbehörden und Geheimdienste ausgeweitet, die journalistischen Quellenschutz gefährden. RSF ruft die Bundesregierung dazu auf, diesen Entwicklungen entgegenzuwirken. Gemeinsam mit dem Forum Menschenrechte reist Sophie von Waitz als Vertreterin von RSF zur Anhörung im UN-Menschenrechtsrat am 9. November nach Genf. Zuvor hat RSF eine eigene Stellungnahme eingereicht und an der gemeinsamen Stellungnahme des Forum Menschenrechte mitgewirkt. Darüber hinaus nahm RSF an Konsultationen mit Luise Amtsberg teil, die als Menschenrechtsbeauftragten die Delegation der Bundesregierung in Genf anführt. 

„Obwohl sich die Lage der Pressefreiheit seit dem letzten UPR-Verfahren verschlechtert hat, schlägt die Bundesregierung in ihrem eigenen Bericht wenig selbstkritische Töne an“, sagt RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Auch bei der Aufnahme gefährdeter Journalistinnen und Journalisten aus Russland oder Afghanistan blieb die Bundesregierung hinter ihren Ankündigungen zurück, sich aktiv für Menschenrechte und Pressefreiheit einzusetzen. Das ist nicht konsistent mit dem eigenen Anspruch in Sachen Menschenrechte.“

Deutschland ist ein wichtiger Anlaufpunkt für Medienschaffende, die aufgrund ihrer Arbeit in ihren Heimatregionen Verfolgung ausgesetzt sind. Das bringt Fragen der Aufnahme und des Schutzes von gefährdeten Medienschaffenden in Deutschland mit sich. Während die Bundesregierung verschiedentlich, so auch in ihrem eigenen UPR-Report, das Verantwortungsbewusstsein für den Schutz politisch Verfolgter unterstreicht, tritt die Aufnahme gefährdeter Medienschaffender in Deutschland auf der Stelle: So konnten mit dem im Oktober 2022 verkündeten Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan (BAP) trotz einer verheerenden Menschenrechtssituation vor Ort und umfangreicher Schutzversprechen der deutschen Bundesregierung bisher erst 13 Anspruchsberechtigte aus einer Menge von 4.200 vorgeschlagenen Fällen in Deutschland einreisen. Bisher hat nur für einen der von RSF im Programm gemeldeten Medienschaffenden das Aufnahmeverfahren begonnen. 

Auch das Listenverfahren, das für die Aufnahme gefährdeter russischer Medienschaffender in Deutschland etabliert wurde, ist seit Mitte des Jahres ins Stocken geraten. Trotz der politischen Ankündigungen einer Aufnahmebereitschaft warten aktuell noch 45 von RSF gemeldete Journalistinnen und Journalisten aus Russland auf eine Aufnahmezusage. Exiljournalistinnen und -Journalisten in Deutschland sind zunehmend Verfolgung aus ihren Heimatregionen ausgesetzt, die die Verwirklichung ihrer Menschenrechte in Deutschland und die freie journalistische Arbeit beeinträchtigen. Auch wenn Deutschland als Aufnahmeland nicht für diese transnationalen Übergriffe verantwortlich ist, liegt es in der Verantwortung der Bundesregierung, sich verstärkt mit den Schutzbedarfen politisch Verfolgter in Deutschland auseinanderzusetzen. 

Überwachungsrisiken ausgeblendet

Es ist das zweite Mal, dass RSF eine eigenständige Stellungnahme beim UPR-Prozess zu Deutschland einbringt. Schon bei der Anhörung vor vier Jahren wies RSF auf die Gefährdung des journalistischen Quellenschutzes durch Überwachungsbefugnisse deutscher Sicherheitsbehörden und Geheimdienste hin. Seit dem letzten UPR-Verfahren hat Deutschland die Überwachungsbefugnisse der Behörden jedoch weiter ausgeweitet. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte hebt dies ebenfalls kritisch hervor (A/HRC/WG.6/44/DEU/2, p.5). Die Bundesregierung adressiert das Thema in ihrem eigenen Bericht jedoch nur kurz und defensiv unter Verweis auf das Prinzip der Verhältnismäßigkeit von Überwachungsmaßnahmen im bestehenden Rechtsrahmen (A/HRC/39/9/Add.1, Answer to Recommendation 155.164), auf Kritik an den Rechtsgrundlagen geht sie nicht ein.

RSF reichte gegen das Bundesnachrichtendienst-Gesetz (BND-Gesetz) bereits zum zweiten Mal Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein, weil es das Recht auf Pressefreiheit und die vertrauliche Kommunikation mit journalistischen Quellen nicht ausreichend schützt. Aus Sicht der Organisation ist das Gesetz auch nach über 10 Jahren Reformversuchen in vielen Teilen verfassungswidrig. Der ersten Verfassungsbeschwerde gab das Bundesverfassungsgericht 2020 statt und erklärte Teile des Gesetzes für verfassungswidrig, woraufhin das Gesetz novelliert wurde. Derzeit wird wieder eine Reform des Nachrichtendienstrechts angestrebt, diese geht jedoch erneut nicht auf die dringend notwendigen Änderungen ein. Journalistinnen und Journalisten sind gerade aus der EU und dem Ausland weiterhin unzureichend gegen staatliche Überwachung geschützt. RSF dokumentiert die Reform des BND-Gesetzes und geht auf die aktuellen Entwicklungen in einer Stellungnahme ein. 

Hintergrund UPR

Im “Universal Periodic Review”-Verfahren des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen überprüfen sich die 193 UN-Mitgliedsstaaten gegenseitig hinsichtlich der Verwirklichung der Menschenrechte. Die Staaten legen Rechenschaft über die Menschenrechtssituation im eigenen Land ab, sprechen sich gegenseitig Empfehlungen aus und verfolgen dauerhaft deren Umsetzung. Alle vier Jahre findet eine solche Überprüfung statt. Am 9. November ist Deutschland erneut an der Reihe, bei der Anhörung im UN-Menschenrechtsrat in Genf Rede und Antwort zur Situation der Menschenrechte in Deutschland zu stehen. Neben dem Bericht der Bundesregierung, den Empfehlungen der anderen Mitgliedsstaaten sowie einer Zusammenstellung der wichtigsten Menschenrechtsthemen aus Perspektive des Hochkommissariats für Menschenrechte der UN fließen auch die Stellungnahmen zivilgesellschaftlicher Organisationen in die Überprüfung jedes Landes ein.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland auf Platz 21 von 180 Staaten.



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