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Nahaufnahme Deutschland: Pressefreiheit im Überblick

Rangliste der Pressefreiheit — Platz 21 von 180

Gewalt, verbale Angriffe und Einschüchterungsversuche gegen Journalistinnen und Journalisten bleiben in Deutschland erschreckend häufig. Immer wieder gibt es Gesetzesinitiativen, die den Informanten- und Quellenschutz bedrohen. Journalistinnen und Journalisten sollen vermehrt durch Unterlassungserklärungen eingeschüchtert und von Veröffentlichungen abgehalten werden. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie seit März 2020 verändern die Bedingungen journalistische Arbeit drastisch.

Im weltweiten Vergleich stehen auf den oberen Plätzen der Rangliste der Pressefreiheit ausschließlich Länder mit demokratisch verfassten Regierungen, in denen die Gewaltenteilung funktioniert. In diesen Ländern sorgen unabhängige Gerichte dafür, dass Mindeststandards tatsächlich von Regierung und Parlamenten respektiert werden. Deutschland liegt in der Rangliste der Pressefreiheit 2020 auf Platz 11 (2019: Platz 13) und hält sich damit im oberen Mittelfeld der EU-Staaten.

Eine Nahaufnahme der Situation muss strenge Maßstäbe anlegen. Daher dokumentiert Reporter ohne Grenzen hier detailliert Entwicklungen und strukturelle Mängel, die für die Presse- und Informationsfreiheit in Deutschland bedrohlich sind.

Diese Übersicht wurde am 21. April 2020 mit der Rangliste der Pressefreiheit 2020 veröffentlicht bezieht sich auf den Zeitraum von Anfang Januar 2019 bis Ende März 2020.

Zusammenfassung

2019 ist die Zahl der tätlichen Angriffe gegen Journalistinnen und Journalisten im Vergleich zum Vorjahr zwar von 22 auf 13 dokumentierte Fälle zurückgegangen. Dennoch besteht kein Grund zur Entwarnung. Von den im Vorjahr erfassten Fällen hatten sich fast die Hälfte am Rande von Protesten rechtspopulistischer Gruppen in Chemnitz Ende August und Anfang September ereignet. Zwar gab es auch 2019 rechtsgerichtete Demonstrationen und Veranstaltungen, diese erreichten jedoch nicht das gleiche Ausmaß wie im Vorjahr. Zudem registrierte Reporter ohne Grenzen 2019 viele erschreckende Beispiele für verbale Angriffe und Einschüchterungsversuche gegen Journalistinnen und Journalisten, die nicht in der Zahl enthalten sind. Besonders besorgniserregend sind auch Schmäh- und Hasskampagnen im Netz, bei denen die Betroffenen oft auf sich allein gestellt sind und eine juristische Verfolgung oft folgenlos bleibt. Gleiches gilt mit Blick auf die sogenannten „Feindeslisten“ rechter Kreise, auf denen sich auch die Klarnamen und Adressen zahlreicher Journalistinnen und Journalisten finden.

Auch 2019 kam es zu zahlreichen Behinderungen der Medienarbeit durch die Polizei, vor allem im Umfeld von Demonstrationen und Veranstaltungen rechtsgerichteter Gruppen und Parteien bzw. den entsprechenden Gegendemonstrationen. Reporter ohne Grenzen begrüßt, dass unter anderem die Polizei in Sachsen und anderen Bundesländern 2019 in eine transparente Fehleranalyse eingestiegen ist und das Thema Rechte von Medien und Freiheit der Berichterstattung verstärkt in der Aus- und Fortbildungsarbeit thematisiert. Der Deutsche Presserat hat eine Initiative gestartet, um die seit 1993 geltenden „Verhaltensgrundsätze für Presse/Rundfunk und Polizei zur Vermeidung von Behinderungen bei der Durchführung polizeilicher Aufgaben und der freien Ausübung der Berichterstattung“ schnellstmöglich zu überarbeiten und zu aktualisieren.

Reporter ohne Grenzen begrüßt daher grundsätzlich das Ansinnen der Bundesregierung, Hasskriminalität im Netz durch Änderungen im Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) und anderen Gesetzen leichter verfolgbar zu machen. Gleichzeitig mahnt Reporter ohne Grenzen, Meldepflichten an Strafverfolgungsbehörden und besonders die Nachrichtendienste nicht zu weit zu fassen. Dies schließt die Verpflichtung für Anbieter sozialer Medien und Plattformbetreiber ein, unter bestimmten Umständen auch Passwörter herausgeben zu müssen.

Von der laufenden Verfassungsbeschwerde gegen das BND-Gesetz erwartet Reporter ohne Grenzen eine Neuregelung der Überwachungsbefugnisse des Bundesnachrichtendienstes, die die Medienfreiheit auch für ausländische bzw. im Ausland arbeitende Journalistinnen und Journalisten durchsetzt. Mitte Januar 2020 fand dazu eine zweitägige mündliche Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts statt.

2019 wurden zahlreiche Gesetzesinitiativen gestartet, die im Netz für eine weitgehende Überwachbarkeit sorgen und viel genutzte Verschlüsselungs- und Anonymisierungstools kriminalisieren könnten. Diese Gesetzesvorhaben richten sich zwar nicht ausdrücklich gegen die Arbeit der Medien. Allerdings würde der Informanten- und Quellenschutz bei einer Umsetzung ausgehöhlt. Eine potentielle Kriminalisierung von Anonymisierungsverfahren wie der TOR-Technik würde zudem die Arbeit unabhängiger Medien und von Journalistinnen und Journalisten in Ländern und Regionen ohne Pressefreiheit massiv einschränken. Aktuell liegt die geplante Verschärfung des entsprechenden Strafrechtsparagrafen wegen des Widerstands der SPD auf Eis.

Der Trend, sich unliebsamen Recherchen durch vorgelagerte Anwaltsarbeit zu entziehen und Journalistinnen und Journalisten einzuschüchtern, setzte sich auch 2019 fort. Erstmals versuchen Unternehmen auch mit hohen Schadensersatzforderungen gegen Medien vorzugehen. Reporter ohne Grenzen begrüßt in diesem Zusammenhang mehrere 2019 ergangene Urteile, bei denen Medien zumindest bei Behörden Angaben über die Kosten solcher Anwaltstätigkeiten durchsetzen konnten.

Mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie ab März 2020 verändern sich die Bedingungen der journalistischen Arbeit in einem nie gekannten Maße. Die Konsequenzen sind bislang kaum abzuschätzen. Von den wirtschaftlichen Folgen sind aber bereits jetzt alle Medien und vor allem freie Journalistinnen und Journalisten betroffen. 

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1. Anfeindungen, Drohungen und Gewalt gegen Journalisten

Im Kalenderjahr 2019 zählte Reporter ohne Grenzen mindestens 13 gewalttätige Angriffe gegen Journalistinnen und Journalisten, deutlich weniger als im Vorjahr (22). Zwei weitere Fälle konnte RSF nicht abschließend verifizieren.

Die Statistik umfasst lediglich tätliche Angriffe auf Medienschaffende (d.h. wenn Journalistinnen, Fotografen und Kamerafrauen geschlagen, getreten oder zu Boden geworfen werden, wenn gegen ihre Ausrüstung wie etwa Kameras geschlagen wird und diese beschädigt oder zerstört wird) sowie Attacken auf Redaktions- und Wohngebäude (Einbruch, zerstörte Scheiben, Schmierereien, blockierte Türen) oder auf Autos von Journalistinnen und Journalisten. Nicht dazugezählt werden andere Behinderungen journalistischer Arbeit, wie Platzverweise und Durchsuchungen durch die Polizei oder wenn Reporterinnen und Reporter auf Demonstrationen weggedrängt oder weggestoßen werden, wenn Kameraleute geblendet werden oder Protestierende ihnen die Hand vor die Kamera halten. Auch verbale Drohungen gegen Journalistinnen und Journalisten fließen nicht in diese Zahlen ein, werden aber von Reporter ohne Grenzen intern dokumentiert.

Die geringere Zahl der gewalttätigen Angriffe im Vergleich zum Vorjahr ist kein Grund zur Entwarnung. Von den im Vorjahr erfassten 22 Fällen hatten sich fast die Hälfte am Rande von Protesten rechtspopulistischer Gruppen in Chemnitz Ende August und Anfang September ereignet. Zwar gab es auch 2019 rechtsgerichtete Demonstrationen und Veranstaltungen. Diese erreichten jedoch nicht das gleiche Ausmaß wie in Chemnitz. Zudem registrierte Reporter ohne Grenzen 2019 viele erschreckende Beispiele für verbale Angriffe und Einschüchterungsversuche gegen Journalistinnen und Journalisten, die nicht in der Zahl enthalten sind.

Gewalttätige Angriffe gegen Medienschaffende

Einige Beispiele: Bei Dreharbeiten am Görlitzer Bahnhof in Berlin schlugen mutmaßliche Drogendealer einer Kamerafrau des rbb-Magazins “Kontraste" auf den Kopf und versuchten, ihr die Kamera zu rauben. Während eines Rechtsrock-Festivals im sächsischen Ostritz wurden Medienschaffende sowie Polizistinnen und Polizisten mit gefüllten Bierbechern beworfen und mit einem Feuerlöscher bespritzt. Im August berichtete ein rbb-Reporter über ein Bundesligaspiel beim 1. FC Union Berlin, als ihm ein Fußballfan ins Gesicht schlug. Zuvor hatte eine Person dem Reporter bereits das Handy aus der Hand gerissen und die Videoaufnahmen gelöscht. RSF dokumentierte zudem mindestens drei Fälle, in denen Medienschaffende einem tätlichen Angriff nur entgangen sind, weil sie von den Angreiferinnen und Angreifern nicht getroffen wurden oder rechtzeitig ausweichen konnten.

Fast die Hälfte der von RSF insgesamt verifizierten 13 Fälle waren Angriffe auf Wohngebäude oder Autos von Medienschaffenden, ein leichter Anstieg im Vergleich zum Vorjahr.

Im Frühjahr schmierten Unbekannte mit roter Farbe eine symbolische Blutspur um das ehemalige Haus eines Fotografen in Baden-Württemberg, der unter anderem über rechte Kundgebungen im pfälzischen Kandel berichtet hat. Sie schrieben den Namen seines Sohnes an eine Hauswand und darunter die Worte „Papa tötet dich“. Ende Juni stand auf der Haustür des Journalisten David Janzen der Schriftzug „Wir töten dich! Janzen“. Daneben klebten Aufkleber einer rechtsextremen Gruppierung. Wenige Monate später wurde dieselbe Tür mit einer roten Substanz beschmiert und eine säurehaltige Flüssigkeit in den Briefkasten gekippt.

Im Juli besprühten in Berlin zwei vermummte Personen den Wagen eines rbb-Kamerateams nach einem Interview in der Rigaer Straße, eine der letzten Hochburgen der linksautonomen Szene Berlins. Ende Dezember wurde das Auto des Journalisten Gunnar Schupelius von der Berliner Boulevardzeitung B.Z. durch einen Brandanschlag völlig zerstört. Kurz danach tauchte ein mutmaßliches Bekennerschreiben aus der linksextremen Szene auf.

Verbale Angriffe und Drohungen gegen Medienschaffende

Im Mai 2019 dokumentierte der Bayerische Rundfunk (BR) mehrere Fälle von Bedrohung und Behinderung von Aktivistinnen und Medienvertretern bei einem Treffen der rechten Flügelbewegung der AfD im Bayerischen Greding mit dem Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke.

Im Sommer bzw. Herbst 2019 schickte die rechtsextreme Vereinigung Combat 18 einen Drohbrief an die Privatadresse eines Fotojournalisten, der die rechte Szene seit Jahren im Rahmen des Netzwerks Recherche Nord dokumentiert. Alle Adressangaben von ihm in öffentlichen Registern sind gesperrt. Der betroffene Journalist wechselte danach aus Sicherheitsgründen den Wohnort. Der deutsche Zweig von Combat 18 wurde im Januar 2020 vom Bundesinnenministerium verboten, da er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richte und mit dem Nationalsozialismus wesensverwandt sei.

Zwei WDR-Journalisten, die im WDR-Landesstudio Dortmund seit langem über die rechte Szene berichten, erhielten im Juli 2019 Drohbriefe mit weißem Pulver. Absender war angeblich ein antifaschistisches Recherchenetzwerk. Ebenfalls im Juli erhielt der Leiter und Moderator des WDR-Investigativmagazins „Monitor“, Georg Restle, eine Morddrohung. Restle war bereits zuvor wegen eines AfD-kritischen Kommentars in den ARD-„Tagesthemen“ massiven Beleidigungen ausgesetzt.

Bei einer rechten Kundgebung zum Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober wurden in Berlin medienfeindliche Parolen wie „ein Baum, ein Strick, ein Pressegenick“ oder „wenn wir wollen, schlagen wir euch tot“ skandiert, Aktivistinnen und Journalisten wurden verbal bedroht und behindert. Im November machte die NPD dann in Hannover direkt mit einer Demonstration gegen kritische Journalisten mobil, die in den Aufrufen namentlich genannt werden. Reporter ohne Grenzen unterstützte einen Aufruf, solche Einschüchterungen nicht hinzunehmen. Bei der Demonstration ließ die Polizei die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des von der NPD angemeldeten Aufmarschs vermummt marschieren, weil diese nicht auf Bildern von Medienvertreter erkennbar sein wollten.

Durch das gesamte Jahr 2019 zieht sich die Problematik der sogenannten „Feindeslisten“ von Rechtsextremen, auf denen Namen und Adressen von Politikerinnen, Medienvertretern und Aktivistinnen verzeichnet sind. Juristisches Vorgehen bleibt zumeist wirkungslos. Auch der für die “Zeit” tätige freie Journalist und Autor Hasnain Kazim erhält seit Jahren Morddrohungen, Anfang 2020 waren es mehrere täglich. Er steht auf Todeslisten, doch auch seine Anzeigen bleiben folgenlos.

Medienschaffende von der Polizei an der Arbeit gehindert

Die Polizei in Sachsen hat mittlerweile begonnen, den Themenkomplex „Rechte und Pflichten“ von Medienvertretern stärker in die Aus- und Weiterbildung ihrer Beamtinnen und Beamten zu integrieren. Hierzu finden u.a. Fortbildungsveranstaltungen mit Unterstützung des Deutschen Journalistenverbands (DJV) Sachsen statt. Damit kommt die Polizei einer lange bestehenden Forderung von Reporter ohne Grenzen nach, dass in der Polizei ein Schwerpunkt auf Medienrecht und Umgang mit Medienschaffenden gelegt und in der Praxis darauf geachtet werden muss, dass Polizistinnen und Polizisten dies auch umsetzen. Wie im Vorjahr wurden auch 2019 Reporterinnen und Reporter während der Berichterstattung über Demonstrationen durch die Polizei an der Arbeit gehindert.

Anfang Mai etwa fotografierte ein Journalist der Tageszeitung „Freie Presse“ ein Bürgerfest der rechtspopulistischen Gruppe Pro Chemnitz, als die Polizei ihn aufforderte, die Fotos zu löschen und ihm einen Platzverweis aussprach, obwohl er sich als Mitarbeiter der „Freien Presse“ ausgewiesen hatte. Der Journalist war zuvor von Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltung bedroht worden. Laut Polizei handelte es sich um ein Missverständnis, der Platzverweis wurde zurückgenommen. Als der Journalist Arndt Ginzel im Juli über eine Neonazi-Demo in Kassel berichten wollte, wurde er von der Polizei zunächst nicht zur Demo durchgelassen. Die Polizei Nordhessen kündigte an, die Schilderungen aufzuarbeiten.

Zwar sind diese Fälle nicht in der Gesamtzahl der Übergriffe enthalten, doch auch das Jahr 2020 begann mit Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten. Ende Januar hatten rund 1.600 Menschen in Leipzig gegen das Verbot der Internetplattform linksunten.indymedia.org demonstriert. Mehrere Reporterinnen und Reporter berichteten, dass sie von Demonstrationsteilnehmerinnen und -teilnehmern geschubst, bedroht, beschimpft und an ihrer Arbeit behindert worden seien. Einem Kameramann wurde laut MDR gegen die Kamera getreten.

Auch am Rande der Demonstrationen zum 75. Jahrestag der Bombardierung von Dresden am 13. Februar 2020 hat die Polizei mutmaßlich Journalistinnen und Journalisten an der Berichterstattung gehindert. Bereits 2019 hatten bei der Vorjahresveranstaltung sieben Journalisten offiziell wegen Behinderungen ihrer Arbeit durch Polizeikräfte protestiert. Die sächsische Polizei nannte nach Aufarbeitung der Beschwerden die „Kommunikation einiger Einsatzbeamter gegenüber den Journalisten kritikwürdig“, man sehe „im Kommunikationsverhalten der Beamten vor Ort noch deutlichen Verbesserungsbedarf“.

Zudem hat der Deutsche Presserat, das gemeinsam von Journalistengewerkschaften und Verlegerverbänden getragene Selbstkontrollorgan der Presse, angekündigt, die aus dem Jahr 1993 stammenden „Verhaltensgrundsätze für Presse/Rundfunk und Polizei zur Vermeidung von Behinderungen bei der Durchführung polizeilicher Aufgaben und der freien Ausübung der Berichterstattung“ zu überarbeiten. Eine Aktualisierung ist nach Ansicht des Presserats geboten, weil die Verhaltensgrundsätze als Reaktion auf das Gladbecker Geiseldrama und den Amoklauf in Winnenden entstanden sind, aber nie angepasste wurden. Heute stelle sich die Problemlage - beispielsweise mit Blick auf Social Media - anders da, so der Presserat.

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2. Hasskriminalität und Medien

Einschüchterungen und Schmähungen im Netz bewegten sich  auch 2019 auf weiterhin hohem Niveau. So berichtete im November 2019 die Faktencheck-Redaktion von Correctiv von massiven Einschüchterungsversuchen und Drohungen aus der rechten Szene.

Dabei sind massive Schmäh-, Droh- und Einschüchterungskampagnen vor allem via Social Media kein neuer Trend. In jüngster Zeit hat sich aber die Kritik betroffener Journalistinnen und Journalisten an ihren Auftraggebern verstärkt. Besonders im Fokus stand hier der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Nach der „Umweltsau“-Satire des WDR erhielt ein WDR-Journalist Morddrohungen, weil er sich in einem ebenfalls satirisch-ironisch gemeinten Tweet zum Thema geäußert hatte. Ein Politiker der Partei „Die Rechte" teilte in den sozialen Medien ein Foto von sich, wie er angeblich vor dem Haus der Familie des Journalisten steht. Der betroffene Journalist fühlte sich nach Medienberichten von seinem Sender zu lange allein gelassen.

Ende 2019 verwies ein offener Brief des Journalisten Richard Gutjahr auf die Hilflosigkeit, die - selbst unter Profis - im Umgang mit Online-Hetze herrscht. Gutjahr übte massive Kritik an seinem bisherigen Arbeitgeber, dem Bayerischen Rundfunk (BR). Gutjahr, der seit Jahren mit immer heftiger werdender Online-Hetze im Netz konfrontiert ist, warf dem BR und dessen Intendanten Ulrich Wilhelm vor, „weggeschaut“ und nicht genügend Unterstützung geleistet zu haben. Der BR wies Gutjahrs Darstellung zurück: Der Sender habe sich sehr wohl hinter seinen Mitarbeiter gestellt und ihm auch Angebote zur Weiterbeschäftigung gemacht.

Gerade dieser Fall, der mit dem Zerwürfnis eines namhaften Journalisten und seines langjährigen Auftraggebers endete, zeige - so die Süddeutsche Zeitung - die Hilflosigkeit, die - selbst unter Profis - im Umgang mit Online-Hetze herrscht: „Wie mächtig anonyme, oft konzertierte Aktionen gegen Einzelne sein können. Und wie spalterisch sie wirken können, selbst innerhalb einer Redaktion bzw. innerhalb eines Medienhauses.“ 

Umstrittenes Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität

Trotz massiver Kritik hat das Bundeskabinett im Februar 2020 den Gesetzentwurf zur erweiterten Bestandsdatenauskunft und Meldepflicht ans Bundeskriminalamt (BKA) auf den Weg gebracht. Die Erweiterung des seit 2017 geltenden Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) sieht auch Änderungen beim Telemediengesetz (TMG), im Strafgesetzbuch (StGB) und der Strafprozessordnung (StPO) sowie beim BKA-Gesetz und beim Bundesmeldegesetz vor.

Besonders umstritten ist hierbei die Verpflichtung für Anbieter sozialer Medien und Plattformbetreiber, unter bestimmten Umständen auch Passwörter an Strafverfolgungsbehörden oder Nachrichtendienste herausgeben zu müssen. Im Vergleich zu früheren Fassungen fällt diese Vorschrift im vorliegenden Entwurf allerdings deutlich restriktiver aus. Danach müssen die Telemedienanbieter die Passwörter verschlüsselt speichern und herausgeben, außerdem ist die Pflicht zur Passwort-Herausgabe auf die Verfolgung besonders schwerer Straftaten sowie zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung begrenzt.

Nach dem Gesetzentwurf müssen Netzwerkbetreiber von Nutzerinnen und Nutzern angezeigte strafbare Gewaltdrohungen, Neonazi-Propaganda, Volksverhetzung und ähnliche Inhalte ans BKA melden. Aktuell müssen solche Inhalte nur für Nutzerinnen und Nutzer in Deutschland gesperrt werden. Zusammen mit den Inhalten sollen die Unternehmen auch die IP-Adressen sowie die Port-Nummern der Verfasserinnen und Verfasser ans BKA übermitteln.

Inwieweit dies bei den oben angeführten Fällen von Bedrohungen und Schmähungen hilft, wird sich in der Praxis zeigen müssen. Ein entscheidendes Problem liegt in der mangelnden Durchsetzung berechtigter Ansprüche, da es hier auch auf Seiten der Justiz an Staatsanwältinnen und Staatsanwälten bzw. Richterinnen und Richtern mangelt. Nicht von der Verschärfung erfasst sind weiterhin normale Beleidigungen, üble Nachrede oder Verleumdungen. Hier bleibt es weiter bei den Betroffenen, solche Fälle zur Anzeige zu bringen.

Der Bundesrat hat mittlerweile (Stand 13.04.2020)  bei einer Sondersitzung am 27. März 2020 Korrekturen beim Gesetzentwurf der Bundesregierung gefordert. Die Länder fürchten hohe Folgekosten im Justizbereich, äußerten aber auch datenschutzrechtliche Bedenken.

BND Verfassungsbeschwerde

Das Bundesverfassungsgericht hat Mitte Januar 2020 zwei Tage lang mündlich über eine von Reporter ohne Grenzen, der Gesellschaft für Freiheitsrechte sowie vier weiteren Medienorganisationen initiierte Verfassungsbeschwerde zu Überwachungsmaßnahmen des Bundesnachrichtendienstes (BND) im Netz verhandelt.

Konkret geht es um die Frage, ob das BND-Gesetz aus dem Jahr 2016 und die darin geregelte Überwachung des weltweiten Internetverkehrs durch den Bundesnachrichtendienst verfassungsmäßig ist. Dabei spielt auch eine Rolle, ob deutsche Behörden im Ausland beim Umgang mit nichtdeutschen Medienvertreterinnen und -vertretern die Grundrechte des Grundgesetzes beachten müssen. Dies wurde von BND und Bundesregierung in Karlsruhe verneint.

Im Rahmen der Fernmeldeaufklärung durchforstet der BND anlasslos, ohne konkreten Verdacht, nach Bedarf Datenströme in Netzen außerhalb Deutschlands. Sogenannte Selektoren überwachen das Netz nach Suchbegriffen ständig automatisch. Ergebnisse gibt der BND auf Anfrage auch an ausländische Partnerdienste weiter. Der Vertreter der Bundesregierung, Joachim Wieland, erklärte in der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG hierzu, wer von ausländischen Geheimdiensten Informationen erhalten wolle, müsse umgekehrt auch etwas bieten. Alles andere sei unrealistisch.

Das in einigen Monaten erwartete Urteil ist das erste Grundsatzurteil zur Überwachungspraxis der deutschen Geheimdienste seit 20 Jahren und könnte das Telekommunikationsgeheimnis und die Pressefreiheit deutlich stärken.

Auskunftsbegehren gegen BND erfolgreich

Im November 2019 gab das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in Teilen einem Redakteur des Tagesspiegels Recht, der gegen die Praxis des BND bei Hintergrundgesprächen geklagt hatte. Danach darf der BND Hintergrundgespräche mit Journalistinnen und Journalisten führen, allerdings dürfe die Zusammensetzung der exklusiven Gästeliste nicht "auf eine Reglementierung oder Steuerung der Medien oder eines Teils von ihnen hinauslaufen“, so das Gericht. Außerdem hätten die Medien generell einen Anspruch, auf Nachfrage zu erfahren, wer an den Hintergrundgesprächen teilnehme. Für zulässig erachtet das Gericht aber, dass der BND mit Blick auf Themen und Inhalte dieser Hintergrundgespräche mit den teilnehmenden Medien Vertraulichkeit vereinbare.

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3. Journalisten und ihre Informanten

Auch wenn offiziell Quellen- und Informantenschutz zu den unstrittigen Grundlagen im Journalistenberuf gehört, wurden 2019 zahlreiche Gesetzesinitiativen gestartet, die zumindest im Netz für eine weitgehende Überwachbarkeit sorgen und viel genutzte Verschlüsselungs- und Anonymisierungstools kriminalisieren könnten. Diese Gesetzesvorhaben verfolgen zwar an sich keine Maßnahmen gegen die Presse oder den journalistischen Informantenschutz. Würden sie in der vorliegenden Form umgesetzt, wären aber massive Einschränkungen die Folge.

Im Mai 2019 warnte Reporter ohne Grenzen vor Plänen des Bundesinnenministeriums, wonach deutsche Geheimdienste Medien im In- und Ausland künftig digital ausspionieren könnten. Einem Referentenentwurf zufolge sollen im Rahmen eines „Gesetzes zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts“ deutsche Inlands- und Auslandsgeheimdienste Server, Computer und Smartphones von Verlagen, Rundfunksendern sowie die Accounts von freiberuflichen Journalistinnen und Journalisten hacken dürfen. Bei der dann auch ohne richterliche Anordnung möglichen Online-Durchsuchung könnte mit einem aufgespielten Staatstrojaner die laufende Kommunikation mitgelesen oder die gesamte Festplatte durchsucht werden. Zwar beteuerte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) angesichts massiver Kritik, das Gesetzesvorhaben richte sich nicht gegen die Medien. Journalistinnen und Journalisten blieben bei der Geheimdienstrecht-Novelle weiterhin „besonders“ geschützt. Konkrete Zusicherungen gibt es bis heute aber nicht. Nach dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle/Saale im Oktober 2019 wurde das Thema nochmal aufgegriffen. Weil auch die SPD massive Zweifel an den Maßnahmen hat, liegt der Entwurf aber bislang auf Eis.

Ebenfalls im Frühjahr 2019 wurden Pläne von Innenminister Seehofer bekannt, Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Telegram zu verpflichten, auf richterliche Anordnung die Kommunikation ihrer Kunden zu speichern und an Behörden zu schicken - in lesbarer Form, also unverschlüsselt.

Und den Forderungen der Nachrichtendienste, ein „going dark“ - also eine Verlagerung der Kommunikation und des Datenaustauschs in verschlüsselte Dienste bzw. das deep web - zu verhindern, wollen sowohl die Bundesländer als auch das Bundesinnenministerium nachkommen. Dazu sollen neue Vorschriften ins Strafrecht aufgenommen werden. Nach einer Gesetzesvorlage des Bundesrats vom Frühjahr 2019 soll nominell mit einem neuen Paragrafen 126a des Strafgesetzbuchs die Verfolgung von Straftaten im Darknet erleichtert werden. Tatsächlich läuft die geplante Verschärfung aber auf eine pauschale Kriminalisierung von Anonymisierungs- und Verschlüsselungsdiensten hinaus. Danach könnte schon das Betreiben eines Tor-Knotens unter möglicherweise strafbare Handlungen fallen, weil die Anonymisierungsverfahren auch von Straftätern genutzt werden könnten. Die Bundesrats-Initiative ging von Nordrhein-Westfalen aus und wurde von 13 der 16 Bundesländer unterstützt. Thüringen, Sachsen-Anhalt und Berlin enthielten sich bei der Stimmabgabe. Das Bundesinnenministerium legte wenig später einen nochmal verschärften eigenen Gesetzentwurf vor. Laut dem Entwurf fällt alles unter Strafverdacht, was für illegale Aktivitäten wie Waffen- oder Drogenhandel genutzt werden könnte und verschlüsselt oder besonders gesichert ist. Unions-Innenpolitikerinnen und -politiker betonen, dass es um eine Anpassung der Kompetenzen der Strafverfolgungsbehörden an die technische Entwicklung gehe.

Tatsächlich droht mit der Kriminalisierung von Tor-Servern Anonymisierungsdiensten das Aus, mit denen nicht nur Exilmedien brisante Informationen aus Krisen- und Kriegsgebieten erhalten können. Zudem könnte auch gegen Whistleblowing-Plattformen wie Wikileaks vorgegangen werden. Dies ist das Ergebnis einer interdisziplinären Analyse des sogenannten Darknet-Paragrafen durch Juristinnen, IT-Experten und Menschenrechtsaktivistinnen.

Gericht stoppt überzogene Gebühren bei IFG-Auskünften

Die Rechercheplattform Correctiv hat im November 2019 vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen eine Grundsatzentscheidung zum Verbot überzogener Gebühren im Zusammenhang mit Behördenauskünften nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) erstritten. Correctiv setzte sich in NRW gegen zwei Gebührenrechnungen des NRW-Gesundheitsministeriums und der Bezirksregierung Münster über jeweils 500 Euro für Auskünfte im Zusammenhang mit Recherchen über gepanschte Krebsmedikamente durch. Das Gericht stellte zur Begründung u.a. fest, dass die Gebühren so hoch bemessen waren, dass sie abschreckende Wirkung auf weitere Nachfragen von Bürgerinnen und Bürgern bzw. Journalistinnen und Journalisten haben könnten. Dies widerspricht einer ebenfalls von Correctiv 2017 erstrittenen Entscheidung.

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4. Präventive Anwaltsstrategien gegen unliebsame Recherchen

Der Trend, dass mittels vorgelagerter Anwaltsarbeit versucht wird, als unliebsam empfundene Recherchen und Berichterstattung zu verhindern oder zumindest zu erschweren, ist auch 2019 nicht abgerissen. Die Praxis ist mittlerweile bei Unternehmen, Einzelpersonen aber auch Behörden und anderen staatliche Stellen flächendeckend üblich. Problematisch ist hier zunächst, dass vor allem freie Journalistinnen und Journalisten ohne klare „Rückendeckung“ durch einen Auftraggeber vor zum Teil erheblichen Risiken stehen. Das betrifft vor allem Anfangsstadien von Recherchen, bei denen oft noch gar kein konkretes Medium als Abnehmer/Auftraggeber feststeht. Wie viele Geschichten hier unterbleiben oder nicht weitergeführt werden, ist nicht verlässlich feststellbar.

Angesichts schwieriger werdender wirtschaftlicher Bedingungen vor allem im Bereich der Lokal- und Regionalzeitungen wird gerade in diesem Bereich von einer nachlassenden Bereitschaft berichtet, potenziell kontroverse Recherchen mit möglicherweise hohen Streitwerten zu unterstützen.

Im weiteren Sinne gehört zu dieser Abwehrstrategie auch die Politik des Energiekonzerns RWE, der im Februar 2019 erstmals einen Journalisten sowie Aktivistinnen und Aktivisten auf Schadensersatz in Millionenhöhe verklagte, weil sie 2017 an der Besetzung des Braunkohlekraftwerks Weisweiler beteiligt waren. Mittlerweile sind nach Angaben der DJU in verdi noch andere Fälle dieser Art anhängig, Kläger ist wiederum RWE.

In welchem Umfang Unternehmen und Behörden wie Ministerien externe Rechtsanwaltskanzleien im Rahmen ihrer PR- und Öffentlichkeitsarbeit und beim Umgang mit Presseanfragen beauftragen, ist so gut wie nie transparent. Zwei Entscheidungen im vergangenen Jahr machen hier immerhin für den Bereich staatlicher Stellen Hoffnung. So urteilte das Verwaltungsgericht Köln im Juli 2019, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Rechtsanwaltskosten, die im Rahmen von presserechtlichen Anfragen in den Jahren 2014 bis 2018 entstanden sind, offenlegen muss.

Im Oktober 2019 wurde bekannt, dass Bundesministerien Großkanzleien Honorare von 250 Euro und 380 Euro pro Stunde zur Abwehr von Presseanfragen zahlen. Laut einer Kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE lag das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mit entsprechenden Anwaltskosten in Höhe von 74.147,91 Euro für die Jahre 2013 bis 2018 an erster Stelle, gefolgt von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben mit 48.990,34 Euro. An dritter Stelle folgt das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, dort wurden 34.931 Euro ausgegeben.

Nach einer Studie der Gesellschaft für Freiheitsrechte und der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung vom Sommer 2019 zu „Präventiven Anwaltsstrategien gegenüber Medien“ ist die Erfolgsquote der Ministerien zumindest bei regelmäßig investigativ recherchierenden Medien bislang gering. Problematisch sei allerdings, dass auch im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks längst nicht alle Anstalten die Haftungsrisiken externer Autoren und Produzentinnen bei Dokumentationen und Reportagen übernehmen. Außerdem seien Medien heute eher gewillt als früher, Unterlassungserklärungen abzugeben. „Wenn Medien klein beigeben“ sei dies allerdings eine „für die Pressefreiheit bedenkliche Entwicklung“, so die Studie.

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5. Schleichende Abnahme der Vielfalt bei Zeitungen und Angriffe auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Presse

Wie in den Vorjahren schwindet die Medienvielfalt vor allem im regionalen und lokalen Umfeld. Dass auch neue digitale Anbieter keine nachhaltige Verbesserung garantieren können, zeigt die Einstellung der 2013 in Zusammenarbeit mit dem Burda-Konzern gestarteten deutschen Ausgabe der Huffington Post zum April 2019.

Das Kölner Traditionsmedienhaus DuMont kündigte 2019 den Ausstieg aus dem Zeitungsgeschäft an und warf alle seine Titel (u.a. Kölner Stadt-Anzeiger, Berliner Zeitung) auf den Markt. Bis auf die Titel am Stammsitz Köln ist dieser Verkauf mittlerweile (Stand: April 2020) erfolgt. Immerhin wurde bislang keines der Blätter eingestellt.

Insgesamt hat sich die Zahl der Übernahmen oder Einstellungen im deutschen Pressemarkt im Vergleich zu den Vorjahren verlangsamt, auch wenn einzelne Häuser wie die Funke-Gruppe  allerdings neue Sparrunden durchzogen

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steckte auch 2019 weiter in einer Legitimationsdebatte über seinen Auftrag in der digitalen Welt, seine künftige Struktur und seine Finanzierung. Mit der Einigung der Ministerpräsidentenkonferenz vom März 2020, der Erhöhung des Rundfunkbeitrags ab 2021 auf dann 18,36 Euro im Monat zuzustimmen, gibt es mittlerweile zum letzten Punkt eine gewisse Sicherheit. Allerdings muss die nominelle Erhöhung noch von allen 16 Landtagen beschlossen werden.

Da sich die zuständigen Bundesländer aber bislang nicht auf die eigentlich 2017 angeschobene Strukturreform des öffentlich-rechtlichen Systems einigen konnten, besteht hier weiter Unsicherheit. Dazu kommt, dass ARD, ZDF und Deutschlandradio bisher nur bedingt in der öffentlich eher schleppend geführten Debatte um ihre Bedeutung in der digitalen Welt punkten konnten. Eigene Reformanstrengungen der Sender werden von der Medienpolitik weiterhin als unzureichend bewertet.

Zudem ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk Hauptziel der AfD im Rahmen ihrer Destabilisierungskampagnen gegen die von ihr so betitelten „Systemmedien“. Die meisten öffentlich-rechtlichen Anstalten haben dabei weder im Umgang mit der AfD und ihren Repräsentantinnen und Repräsentanten im Programm noch in ihren internen Anstaltsstrukturen überzeugende Antworten gefunden. Mittlerweile sitzen in den Aufsichtsgremien von zwei Dritteln der Anstalten Vertreter der AfD. Da die Verringerung staatsnaher Vertreterinnen und Vertreter in den Gremien nur sehr schleppend verläuft und Anpassungen in der Besetzung gemäß der letzten Landtagswahlen immer erst mit Verzögerung wirken, wird diese Zahl 2020 und in den Folgejahren noch ansteigen.

Damit bieten sich der AfD unter Umständen deutlich wirkungsvollere Möglichkeiten, das System von innen heraus auszuhöhlen oder zumindest mit aufwändigen Anfragen und Blockadehaltungen in seiner Selbstverwaltung einzuschränken und langfristig zu beschädigen. Bereits 2019 protestierte beispielsweise der AfD-Vertreter im Rundfunkrat des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) gegen die Unterzeichnung der „Charta der Vielfalt“ durch den MDR. Generell fordert die Partei in ihrem Wahlprogramm die Abschaffung des Rundfunkbeitrags und einen Ersatz durch ein Abo-Modell.

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6. Corona-Krise und bereits sichtbare Auswirkungen

Seit der Corona-Krise befinden sich viele Medien auch in Deutschland in einer paradoxen Situation. Nutzungswerte schnellen nach oben, hier profitieren vor allem vertrauenswürdige, etablierte Medienmarken. Gleichzeitig steht der Journalismus auf allen Ebenen vor so noch nie da gewesen Herausforderungen. Bislang (Stand: Ende März 2020) sind behördlicherseits Arbeitsmöglichkeiten für Medienvertreterinnen und Medienvertreter offiziell nicht eingeschränkt. Allerdings wirken sich die massiven Grundrechtseinschränkungen in Deutschland auch auf die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten aus. Kontaktverbote und faktische Ausgangssperren erschweren Interviews, Recherchen und Drehs vor Ort. Viele Pressekonferenzen finden nur noch virtuell statt. Forderungen nach der Nutzung von Handy-Ortungsdaten wecken Sorgen vor neuen Formen der Datensammlung und Überwachung, die den journalistischen Quellenschutz gefährden könnten. Insbesondere die oft voneinander abweichenden Regelungen der sowohl für die Seuchenbekämpfung als auch für die Mediengesetzgebung zuständigen 16 Bundesländer bereiten Probleme. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Zeitungen und Zeitschriften, Radio- und Fernsehveranstaltern usw. genießen als Vertreter systemrelevanter Unternehmen entsprechende Sonderrechte wie Ausnahmen von Ausgangssperren oder Reisebeschränkungen. Gleichzeitig setzen alle Medienbetriebe Sicherheitsmaßnahmen für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um. Eine Vielzahl von medialen Angeboten entsteht virtuell im Homeoffice. Unvermeidbare Präsenzarbeit in Redaktionen, Technik oder Druckereien wird in voneinander getrennten Teams geleistet, um Ansteckungsgefahren zu minimieren.

Zeitgleich brechen bei den kommerziellen Medien die Werbeeinnahmen massiv ein. Private TV-Sender verzeichnen Rekordreichweiten beim jungen Publikum, warnen aber über ihren Verband VANET vor „teilweise existenzbedrohend eingebrochenen Einnahmen“.

Auch die Zeitungshäuser klagen über Anzeigenstornierungen und Einnahmeausfälle im Print- und Onlinebereich. Einige Betriebe haben bereits Kurzarbeit angemeldet. Leidtragende sind aktuell vor allem freie Journalistinnen und Journalisten, von denen einige buchstäblich vor dem Nichts stehen.

Im Bereich des Daten- und Persönlichkeitsschutzes bereitet mangelnde Transparenz bei den durch das verordnete „Social Distancing“ populär gewordenen Video-Konferenz-Apps wie “Zoom” und die geplanten, smartphone-basierten Corona-Tracking-Apps Sorgen. Bei “Zoom” besteht der Verdacht, dass die App keinen ausreichenden Schutz gegen Hacker-Angriffe vorsieht. Im März 2020 leitete die Generalstaatsanwältin des US-Bundesstaats New York, Letitia James, daher Ermittlungen ein.

Bei den geplanten Corona-Tracking-Apps stellt sich aus der Perspektive der Pressefreiheit die Frage, inwieweit entsprechende Apps Anonymität und journalistischen Quellenschutz gewährleisten. Reporter ohne Grenzen hat dazu Mindestanforderungen formuliert.


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