Afghanistan / Pakistan 07.12.2023

Angst vor der Abschiebung

Taliban-Kämpfer in Kabul. © picture alliance / EPA | STRINGER

Bin ich hier noch sicher? Diese Frage müssen sich hunderte nach Pakistan geflüchtete afghanische Journalistinnen und Journalisten stellen. Eine verlässliche Antwort gibt es derzeit nicht. Auch wenn sie eine Aufnahmezusage aus Drittstaaten wie Deutschland haben, könnten afghanische Medienschaffende von den pakistanischen Behörden abgeschoben werden. Zurück in ihrer Heimat erwartet sie mit den Taliban an der Macht einer der größten Feinde der Pressefreiheit weltweit. Reporter ohne Grenzen (RSF) erinnert daran, dass viele der Betroffenen nicht freiwillig in Pakistan sind, sondern dort teils seit Monaten darauf warten, dass die Bundesregierung ihren Antrag im Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan (BAP) prüft. Um ein Visum für Deutschland zu erhalten, müssen sie nach Pakistan reisen und dort eine Sicherheitsüberprüfung durchlaufen.

Vor diesem Hintergrund fordert RSF eine Garantie dafür, dass Journalistinnen und Journalisten, die sich bereits in einem Aufnahmeverfahren befinden, nicht von Pakistan nach Afghanistan abgeschoben werden. Um den Prozess zu beschleunigen, fordert die Organisation von der Bundesregierung zudem sogenannte Visa-on-arrival für besonders gefährdete und exponierte Afghaninnen und Afghanen. Damit kann die Sicherheitsüberprüfung erst mal in Deutschland stattfinden. RSF fordert zudem erneut, das BAP auch für Personen zu öffnen, die sich in Drittstaaten aufhalten. Bisher können Anträge nur eingereicht werden, wenn die betroffene Person noch in Afghanistan ist.

„Die Situation ist absurd: Die Bundesregierung bestellt erst alle Personen nach Pakistan, die im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms eine neue, sehr zeitaufwendige Sicherheitsprüfung durchlaufen müssen. Dann ist sie aber offenbar nicht in der Lage, die Sicherheit dieser Personen vor Ort zu garantieren“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Unter den Betroffenen sind zahlreiche gefährdete Journalistinnen und Journalisten. Was können wir ihnen sagen, was sollen wir ihnen raten, wenn sie sich verzweifelt an uns wenden und um Hilfe bitten?“

Am 1. November ist eine Frist der pakistanischen Regierung abgelaufen. Bis dahin mussten alle Geflüchteten ohne Aufenthaltsrecht das Land verlassen. Ansonsten droht ihnen eine Festnahme oder Ausweisung. Das betrifft vor allem Personen aus Afghanistan: Mehr als vier Millionen afghanische Geflüchtete leben laut Medienberichten in Pakistan. Ein Grund für die Frist sei laut Behörden die Sicherheitslage. So hätten Anschläge durch die pakistanischen Taliban zugenommen und dafür sind laut der pakistanischen Regierung auch afghanische Flüchtlinge verantwortlich. Gleichzeitig stehen im Februar 2024 Parlamentswahlen in Pakistan an.

Vage Angaben, keine Schutzgarantien

Das Auswärtige Amt ist zwar im Gespräch mit den pakistanischen Behörden, kann den betroffenen Personen jedoch keinen Schutz vor Abschiebung garantieren. Das Ministerium hat lediglich mitgeteilt, dass laut pakistanischen Behörden keine Personen ausgewiesen werden, die in einem Aufnahmeprogramm eines Drittstaates – etwa das BAP – ausgewählt wurden.

Um dies in der Praxis durchzusetzen, hat die Bundesregierung den pakistanischen Behörden eine Liste mit Personen mit Aufnahmezusage übermittelt, die vor Abschiebungen geschützt sein sollen. Zudem haben diese Personen einen entsprechenden Brief erhalten. Diesen müssen sie immer bei sich tragen und können ihn vorzeigen, wenn sie etwa auf der Straße von der pakistanischen Polizei nach ihren Papieren gefragt werden. Das gilt jedoch nur für Afghaninnen und Afghanen, die bereits eine Aufnahmezusage haben. Personen, die wegen der akuten Gefahr auf eigene Faust nach Pakistan gereist sind, fallen durch das Raster.

Besonders gefährdet sind Afghaninnen und Afghanen, deren pakistanisches Visum abgelaufen ist. Denn ein Visum zu erneuern, bedeutet für manche Betroffene, dass sie den Ort verlassen müssen, an dem sie sich versteckt halten. RSF betreut mehrere Fälle afghanischer Medienschaffender und ihrer Familien in Pakistan. Sie stehen entweder noch auf der sogenannten Menschenrechtsliste von Personen, denen nach § 22 Satz 2 Aufenthaltsgesetz (humanitäre Visa) eine Aufnahmezusage in Aussicht gestellt wird, oder sie wurden von RSF im Bundesaufnahmeprogramm eingereicht. In zwei Fällen ist das pakistanische Visum bereits abgelaufen oder steht kurz davor.

Vor dem Hintergrund fordert RSF von der Bundesregierung eine belastbare Garantie dafür, dass Journalistinnen und Journalisten, die sich in einem Aufnahmeverfahren befinden, in Pakistan nicht auf der Straße aufgegriffen und abgeschoben werden können. Es reicht aus Sicht der Organisation nicht aus, den Betroffenen einen englischen Brief in die Hand zu drücken, den sie im Notfall einem pakistanischen Polizisten vorzeigen können, oder sie auf eine Liste zu setzen. Stattdessen fordert RSF die Bundesregierung auf, mit den pakistanischen Behörden eine verlässliche Regelung zu finden, die alle Personen vor Abschiebungen zurück nach Afghanistan schützt, die sich bereits in einem Aufnahmeverfahren befinden, aber aufgrund der Verzögerungen bei der Bearbeitung ihres Falles noch keine Aufnahmezusage erhalten haben.

Die Organisation wertet die Zusammenarbeit mit den pakistanischen Behörden grundsätzlich kritisch. Die jüngsten Entwicklungen untermauern diese Einschätzung. So hat Islamabad laut einem Bericht des Guardian eine „Ausreisegebühr“ in Höhe von rund 830 US-Dollar für Afghaninnen und Afghanen eingeführt, die darauf warten, Pakistan im Rahmen eines Aufnahmeprogramms von Drittstaaten zu verlassen.

Visa-on-arrival

Um den Prozess zu beschleunigen, fordert RSF zudem sogenannte Visa-on-arrival für besonders gefährdete und exponierte Afghaninnen und Afghanen. Die im Sommer zusätzlich eingeführte komplizierte Sicherheitsüberprüfung könnte somit in Deutschland stattfinden.  

Obwohl zivilgesellschaftliche Organisationen ein Visa-on-arrival-Verfahren immer wieder gefordert haben, hat die Bundesregierung diese Möglichkeit seit den chaotischen Evakuierungen im August 2021 nicht mehr genutzt. Gerade bei vulnerablen Personen wie alleinreisenden Frauen, aber auch exponierten und medial bekannten Menschenrechtsverteidigerinnen und Journalisten hält RSF den Verdacht, es könne sich um sogenannte Gefährder handeln, für abwegig. NGOs wie RSF haben alle Hauptantragstellenden im Bundesaufnahmeprogramm zudem bereits gründlich geprüft.

BAP für Journalisten aus Drittstaaten öffnen

RSF kritisiert auch, dass das Bundesaufnahmeprogramm nach wie vor Medienschaffende in Drittstaaten ausschließt. Meldeberechtigte Stellen können nur Fälle von Personen einreichen, die sich zu dem Zeitpunkt in Afghanistan aufhalten. Doch nach dem Fall Kabuls im August 2021 sind zahlreiche gefährdete Journalistinnen und Journalisten auf eigene Faust in Nachbarländer geflüchtet. Wenige Tage nach dem Fall Kabuls hatten Mitarbeitende der Bundesregierung afghanischen Medienschaffenden geraten, schnellstmöglich in die Nachbarländer auszureisen.

Die Bedingungen in Pakistan waren schon vor dem 1. November 2023 gefährlich. Das Land steht auf der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 150 von 180 Staaten. Weil es ihr rechtlicher Status meist nicht gestattet, können die Medienschaffenden dort nicht journalistisch arbeiten. Nun kommen die drohenden Abschiebungen hinzu. Wäre das BAP auch für Afghaninnen und Afghanen offen gewesen, die sich schon in Pakistan befinden, hätten nun möglicherweise schon mehr Journalistinnen und Journalisten eine Aufnahmezusage, wären in Sicherheit in Deutschland, und hätten damit ein geringeres Risiko, abgeschoben zu werden.

Der pakistanische Investigativjournalist Gohar Mehsud beschreibt die Situation afghanischer Journalistinnen und Journalisten in Pakistan als alarmierend. „Sie haben wenig bis gar kein Geld zum Überleben und können in Pakistan nicht einmal eine Arbeit finden, da sie als Flüchtlinge gelten und eine Arbeitserlaubnis benötigen. Fast alle dieser Journalisten sind mit einem gültigen Visum nach Pakistan gekommen, aber jetzt sind ihre Visa abgelaufen, und die Erneuerung des Visums kostet Geld und viel Zeit“, sagt Mehsud, der auch Vorsitzender einer Journalistenvereinigung ist. Die Mehrheit der afghanischen Medienschaffenden vor Ort hätten keine Vorkehrungen getroffen, ins Ausland zu gehen. „Ihre Zukunft ist ungewiss, und ihre Familien leiden mit ihnen.“

Zwei Aufnahmezusagen

Derweil haben erst zwei von RSF im Bundesaufnahmeprogramm eingereichte Personen eine Aufnahmezusage erhalten – rund ein Jahr nach dem offiziellen Start. Beide Medienschaffende müssen nun das Sicherheitsverfahren in der deutschen Botschaft in Islamabad durchlaufen. Laut RSF-Informationen sind unter dem Programm bisher insgesamt nur 30 Personen nach Deutschland gekommen.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Afghanistan auf Platz 152 von 180 Staaten.



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