Deutschland 23.10.2020

Chance für mehr Whistleblowerschutz nutzen

Tastatur mit roter Whistleblwoer-Taste
© picture alliance / Bildagentur-online / Ohde

Ein Jahr nach der Verabschiedung der EU-Whistleblowing-Richtlinie tritt die Umsetzung in nationales Recht in Deutschland auf der Stelle. Statt endlich umfassende Rechtssicherheit für Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber zu schaffen und damit auch den investigativen Journalismus zu stärken, streiten die zuständigen Ministerien darüber, ob sie die Richtlinie überhaupt auf Fragen des nationalen Rechts anwenden oder aber auf EU-Recht beschränken sollen. Damit droht die Bundesregierung die Chance zu verpassen, einen kohärenten Whistleblowerschutz zu schaffen. Reporter ohne Grenzen (RSF) und Whistleblower-Netzwerk (WBN) fordern in einem gemeinsamen Positionspapier, die längst überfällige Debatte über Regeln zum öffentlichen Whistleblowing, zum Umgang mit amtlichen Verschlusssachen sowie über einen zeitgemäßen digitalen Quellenschutz zu führen.

„Eine halbherzige Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie würde mehr Rechtsunsicherheit als Nutzen für die Betroffenen bringen“, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF). „Es ist Zeit für einen entschlossenen Schritt zum umfassenden rechtlichen Schutz für Menschen, die oft unter großen persönlichen Risiken die entscheidenden Informationen liefern, um Missstände in Wirtschaft und Behörden aufzudecken:“

Am 23. Oktober 2019 hatte die Europäische Union eine Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Whistleblowing-Richtlinie) verabschiedet. Die Mitgliedsstaaten müssen diese nun bis Ende 2021 in nationales Recht umsetzen. Formal gilt die Richtlinie zwar nur für EU-rechtliche Fragen. Doch der europäische Gesetzgeber hat die Mitgliedstaaten ausdrücklich ermutigt, den Anwendungsbereich bei der Umsetzung auch auf Bereiche ausweiten, die ausschließlich im nationalen Recht geregelt sind.

Wesentlich für die Kontrollfunktion der Medien

Die Liste der aktuellen Beispiele für die Bedeutung des Whistleblowings ist lang:  Ob Cum-Ex- oder Wirecard-Skandal, Panama Papers, Rechtsextreme bei der Bundeswehr oder missbräuchliche Personenabfragen aus Polizeicomputern – in allen diesen Fällen konnten nur durch Hinweise von Menschen mit Insiderwissen zunächst Medien auf Missstände aufmerksam machen und erst dadurch die Verantwortlichen belangt oder politische Konsequenzen gezogen werden. Damit haben solche Whistleblowerinnen und Whistleblower als journalistische Quellen eine wesentliche Bedeutung für die Kontrollfunktion der Medien.

Ministerien streiten um Anwendungsbereich

Ein erster Gesetzesentwurf für die Umsetzung der EU-Richtlinie in Deutschland wird bis Ende dieses Jahres erwartet. Doch aus einem ersten Eckpunktepapier des federführenden Justizministeriums strich das Bundeswirtschaftsministerium grundsätzliche Überlegungen kommentarlos heraus oder verkehrte sie in ihr Gegenteil.

So plädiert das Wirtschaftsressort dafür, den Whistleblowerschutz auf Hinweise zu Verstößen gegen bestimmte Bereiche des EU-Rechts zu beschränken. Das würde bedeuten, dass Whistleblowerinnen und Whistleblower ohne juristische Kenntnisse schwer beurteilen könnten, ob ihr Fall unter die geschützten Bereiche fällt oder nicht. Das Risiko einer Fehleinschätzung mit womöglich schwerwiegenden rechtlichen Folgen wäre groß. Dies würde potenzielle Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber verunsichern und abschrecken.

Kein geringerer Schutz für Whistleblowing gegenüber Medien

Decken Whistleblowerinnen und Whistleblower  Rechtsverstöße direkt gegenüber Medien oder der Öffentlichkeit auf und nicht zunächst intern oder gegenüber einer Behörde, so sieht die EU-Richtlinie für sie sie nur einen deutlich eingeschränkteren Schutz vor. Würde dies so in nationales Recht umgesetzt, dann wären Whistleblowerinnen und Whistleblower als journalistische Quellen in vielen Fällen nicht rechtlich geschützt. RSF fordert deshalb Vorrang für die Meinungs- und Pressefreiheit vor anderen geschützten Interessen, solange Informationen nicht leichtfertig und nicht wider besseres Wissen offengelegt werden und sofern es um Fragen von wesentlichem öffentlichem Interesse geht.

Besonderen Schutz benötigen auch Beamtinnen, Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes, deren Hinweise oft einen Bezug zu amtlichen Verschlusssachen haben. Der Vorrang der Meinungsfreiheit vor anderen schützenswerten Interessen darf für sie nicht durch pauschale Ausnahmen ausgehebelt werden. Vielmehr sind klare Regeln nötig, um das Verhältnis von nationaler Sicherheit und öffentlichem Interesse auszubalancieren.

Ebenso sollte die Umsetzung der Whistleblowing-Richtlinie genutzt werden, um rechtliche Schutzlücken zu schließen, die durch die Ausweitung digitaler Ermittlungsmethoden entstanden sind. Konkret sollten mutmaßliche Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber in der Strafprozessordnung den gleichen Schutz wie die Berufsgeheimnisträger – also zum Beispiel Journalistinnen oder Anwälte – erhalten, denen sie Informationen zuspielen.

Die ausführlichen Forderungen von Reporter ohne Grenzen für die Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie finden sich in einem Positionspapier, das RSF an diesem Freitag (23.10.) zusammen mit dem Whistleblower-Netzwerk veröffentlich hat.



nach oben