Bulgarien 24.03.2021

Empfehlungen zur Rettung der Pressefreiheit

Ein Mann im Anzug steht an einem Rednerpult.
Bulgariens Ministerpräsident Bojko Borissow © picture alliance / GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com / GEORG HOCHMUTH

Kurz vor der Parlamentswahl in Bulgarien hat Reporter ohne Grenzen konkrete Empfehlungen zur Rettung der Pressefreiheit in dem Balkanland veröffentlicht. Damit reagiert RSF auf die Verweigerungshaltung der bulgarischen Regierung bei diesem Thema.

Die Empfehlungen betreffen Themen wie die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten, Vorkehrungen gegen Justizschikanen, eine transparente und faire Medienfinanzierung sowie die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien. Erarbeitet wurden sie mit Hilfe bulgarischer Medienexpertinnen und -experten. RSF hat diesen Forderungskatalog bewusst in der heißen Phase des Wahlkampfs veröffentlicht, um vor der Wahl am 4. April eine öffentliche Debatte anzustoßen und Fragen der Pressefreiheit in das Zentrum der politischen Auseinandersetzung zu rücken.

„Die Pressefreiheit steckt in Bulgarien in einer tiefen Krise. Für unabhängige Medien geht es dort inzwischen ums Überleben“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Alle in Bulgarien, denen an der Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit der Medien gelegen ist, sollten diese Wahl zu einer Abstimmung über die Pressefreiheit machen.“

Bulgarien ist auf der Rangliste der Pressefreiheit der mit Abstand am schlechtesten platzierte Staat der Europäischen Union: Mit Platz 111 von 180 Ländern rangiert es in der Nachbarschaft von Staaten wie Guinea und Nepal. Ministerpräsident Bojko Borissow hatte RSF bei einem Treffen im Dezember 2019 zugesagt, Reformvorschläge zu prüfen. Auf die daraufhin vorgelegte Empfehlung, eine unabhängige nationale Kommission einzusetzen und mit der Erarbeitung von Vorschlägen zur Stärkung der Pressefreiheit zu beauftragen, hat RSF aber auch nach einem Jahr noch keine Reaktion von der bulgarischen Regierung erhalten.

Behörden reagieren schleppend auf Übergriffe

Ein vordringliches Thema in Bulgarien ist aus Sicht von RSF der Schutz von Journalistinnen und Journalisten vor tätlichen Angriffen. Im vergangenen Jahr kam es zu einer ganzen Reihe von Übergriffen. Die Behörden haben darauf nur sehr schleppend reagiert.

Zum Beispiel wurden die Männer nicht vor Gericht gebracht, die den Investigativjournalisten Slawi Angelow von der Zeitung 168 Chasa im März 2020 vor seinem Haus krankenhausreif prügelten. Nachdem der freie Journalist Dimiter Kenarow im September bei einer Demonstration, über die er berichtete, auf brutale Weise festgenommen und fünf Stunden lang festgehalten wurde, lehnte es die Generalstaatsanwaltschaft ab, eigene Ermittlungen einzuleiten.

Der Journalist Nikolai Stajkow erhielt im Juni 2020 Todesdrohungen, als er für die Nichtregierungsorganisation Anti-Corruption Fund an einem Dokumentarfilm über mutmaßliche Korruption in Behörden arbeitete. Trotzdem verweigerte man ihm Polizeischutz, bis sich RSF einschaltete. Von wem die Todesdrohungen ausgingen, ist immer noch ungeklärt. Diesen Monat wurde das Auto der Journalistin Desislawa Panajotowa vom Nachrichtenportal DenNews mutwillig beschädigt – zum zweiten Mal innerhalb von vier Monaten.

Immer wieder erleben Medienschaffende in Bulgarien auch Justizschikanen und wirtschaftlichen Druck. Zugleich erhalten regierungskritische Medien weder Werbung von staatlichen Stellen noch Zugang zu Informationen. Die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Sender wird durch politische Einmischung in Frage gestellt. Manche privaten Medien wiederum lassen sich unter völliger Missachtung journalistischer Standards für Schmutzkampagnen instrumentalisieren.

Empfehlungen zu Sicherheit, Medienfinanzierung und Justiz

Um Journalistinnen und Journalisten besser vor Übergriffen zu schützen, schlägt RSF unter anderem vor,

  • Unabhängigkeit und Rechenschaftspflichten der Polizei zu stärken,
  • eine Sondereinheit für Ermittlungen zu Übergriffen gegen Medienschaffende zu schaffen und
  • eine Polizei-Hotline für Übergriffe gegen Medienschaffende einzurichten;

Mit Blick auf andere Problembereiche der Pressefreiheit in Bulgarien empfiehlt RSF unter anderem,

  • mehr Transparenz über Strafverfahren, Medienbesitz und Spenden von Privatpersonen an Medien zu schaffen, um Justizschikanen gegen Medienschaffende entgegenzuwirken;
  • finanzielle Beziehungen zwischen öffentlichen Stellen und Medien eindeutig zu regeln, Werbegelder öffentlicher Stellen an Medien nach transparenten Kriterien zu vergeben und ihren Umfang regelmäßig öffentlich zu machen;
  • der intransparenten Verteilung von EU-Mitteln durch zwischengeschaltete Firmen ein Ende zu setzen;
  • die öffentliche Förderung für Medien kritisch zu überprüfen, die regelmäßig medienethische Standards verletzen oder die vorsätzlich und wiederholt Falschmeldungen, Hassäußerungen und diskriminierende Inhalte verbreiten;
  • die Gleichbehandlung von Medienanfragen an staatliche Institutionen zu gewährleisten und sicherzustellen, dass der Zugang regierungskritischer Journalistinnen und Journalisten zu Informationen nicht eingeschränkt wird; und
  • die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien zu stärken – unter anderem, indem ihr öffentlicher Auftrag gesetzlich klar geregelt und ihre Finanzierung von einem unabhängigen, nach transparenten Methoden arbeitenden Gremium überwacht wird.

Diese Vorschläge sind als Ergänzung zu der früheren Empfehlung zu verstehen, eine unabhängige Kommission für Pressefreiheit einzusetzen.



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