China 02.08.2019

Inhaftierte Journalisten in Lebensgefahr

Journalist Huang Qi © picture alliance / AP Photo

Nach der Verurteilung des Journalisten Huang Qi diese Woche erinnert Reporter ohne Grenzen (ROG) an das Schicksal der mehr als 100 in China inhaftierten Medienschaffenden. Einige sitzen unter lebensbedrohlichen Bedingungen für viele Jahre im Gefängnis, wo sie Opfer von Misshandlung werden und keine angemessene ärztliche Versorgung bekommen. Unter den Inhaftierten sind auch Dutzende uigurische Journalistinnen und Journalisten.

„Wir hören nicht auf, die Freilassung aller in China wegen ihrer Arbeit inhaftierten Medienschaffenden zu fordern. Sie berichten unter hohem Risiko über Menschenrechtsverletzungen oder soziale Unruhen – Themen, die die staatliche Propaganda ignoriert. Für ihren Mut, Missstände anzuprangern, werden sie mit langjähriger Haft unter gefährlichsten Bedingungen bestraft“, sagte ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske.

Unter Staats- und Parteichef Xi Jinping, der seit einer Verfassungsänderung von 2018 lebenslang regieren darf, hat die Kommunistische Partei mithilfe modernster Technologie ihre umfassende Kontrolle über Nachrichten und Informationen weiter ausgebaut. Als „neue Weltordnung der Medien“ propagiert sie dieses repressive Modell auch international. In keinem Land sitzen mehr Medienschaffende wegen ihrer Arbeit im Gefängnis als in China, derzeit sind es mindestens 114. Sie werden wegen schwammiger Vorwürfe wie „Untergrabung der Staatsgewalt“ oder „Weitergabe von Staatsgeheimnissen“ zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Inhaftierte Regimekritikerinnen und -kritiker laufen Gefahr, dass sich ihr Gesundheitszustand im Gefängnis immer weiter verschlechtert, bis sie schließlich sterben. Sowohl bei Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo als auch bei dem Blogger Yang Tongyan wurde 2017 während langjähriger Haftstrafen Krebs im Endstadium diagnostiziert. Beide wurden im Gefängnis nicht ausreichend ärztlich versorgt und starben, kurz nachdem sie ins Krankenhaus verlegt wurden. Mit großer Sorge beobachtet ROG aktuell zehn Fälle inhaftierter Journalistinnen und Journalisten, die infolge von Misshandlung und schlechter ärztlicher Versorgung im Gefängnis sterben könnten.

Zwölf Jahre Haft für prominenten Bürgerjournalisten

Besonders dringlich ist der Fall von Huang Qi, dem Gründer der Nachrichtenwebseite 64Tianwang. Am Montag (29.07.) verurteilte ein Gericht in der Provinz Sichuan im Südwesten Chinas den 56-jährigen Investigativjournalisten zu zwölf Jahren Haft. Wegen seiner journalistischen Arbeit saß Huang insgesamt bereits acht Jahre im Gefängnis. In dieser Zeit bekam der 54-Jährige Herzprobleme sowie eine Nieren- und Lebererkrankung. Huang saß seit November 2016 in Untersuchungshaft. Laut seinen Anwälten wurde er geschlagen und bekam keinen Zugang zu medizinischer Behandlung. Ende Dezember forderten vier UN-Menschenrechtsexperten seine Freilassung. Ohne die notwendige ärztliche Behandlung könne Huang in Haft sterben.

Die Justiz wirft ihm unter anderem die Weitergabe von Staatsgeheimnissen ins Ausland vor. Der wahre Grund für die Verurteilung ist jedoch seine Arbeit: Mit einem Netz von Bürgerjournalistinnen und -journalisten berichtete die Informationswebseite 64Tianwang über Menschenrechtsverletzungen im Land. Für ihre Verteidigung der Pressefreiheit würdigte ROG die Seite 2016 als Medium des Jahres. Huangs Mutter Pu Wenqing, die sich öffentlich für seine Freilassung einsetzt, steht unter polizeilicher Beobachtung. Sie darf weder ihr Haus verlassen noch Besuch empfangen, wie der Guardian berichtet. Die 85-Jährige ist an Krebs erkrankt und in schlechter gesundheitlicher Verfassung.

Am Samstag (03.08.) ist es genau zwei Jahre her, dass ein Gericht in der südlichen Provinz Yunnan den Bürgerjournalisten Lu Yuyu zu vier Jahren Haft verurteilte. Er soll einen „Streit angefangen und Ärger provoziert“ haben, ein häufig genutzter schwammiger Vorwurf der Regierung gegen Kritikerinnen und Kritiker. Der ursprünglich im Sommer 2016 festgenommene Blogger wurde im Gefängnis geschlagen und ging aus Protest zeitweise in den Hungerstreik. Zusammen mit seiner Partnerin Li Tingyu hatte Lu auf einem Blog systematisch Streiks und Demonstrationen im ganzen Land dokumentiert. Nichtregierungsorganisationen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzen ihre Daten für ein Barometer für soziale Unruhen. Für ihre Arbeit zeichnete ROG sie 2016 als Bürgerjournalisten des Jahres aus.

Unter lebensbedrohlichen Bedingungen inhaftiert ist auch der Bürgerjournalist Qin Yongmin. Vor einem Jahr verurteilte ein Gericht in der zentralchinesischen Stadt Wuhan den 65-Jährigen zu 13 Jahren Haft. Sein Gesundheitszustand hat sich infolge von Misshandlung verschlechtert. Qin wird zu Zwangsarbeit verpflichtet, regelmäßig von Mitgefangenen überwacht und erhält Todesdrohungen. Der Demokratieaktivist wurde im März 2015 wegen angeblicher „illegaler Versammlung“ und Umsturzvorwürfen festgenommen. Zuvor hatte er bereits 22 Jahre im Gefängnis und in Arbeitslagern verbracht.

Die Berichterstattung über die Haftbedingungen ist heikel, wie der Fall von Xie Qiang zeigt, der unter dem Pseudonym Ma Xiao bekannt ist. Der Bürgerjournalist hat auf Blogs und der Nachrichtenwebseite Boxun News seit 2013 eine Reihe von Interviews mit politischen Gefangenen veröffentlicht. Ende April 2019 wurde er festgenommen, weil er „Streit angefangen und Ärger provoziert“ haben soll.

Dutzende uigurische Journalisten inhaftiert

Auch das Schicksal des uigurischen Bürgerjournalisten Ilham Tohti darf nicht in Vergessenheit geraten. Der Gründer der Webseite Uighur Online (Uighurbiz) wurde 2014 wegen „Separatismus“ von einem Gericht in der Provinz Xinjiang zu lebenslanger Haft verurteilt. Wegen des gleichen Vorwurfs sitzt die Journalistin Gulmira Imin im Gefängnis. Die Redakteurin der Nachrichtenseite Salkin wurde 2010 zu lebenslanger Haft verurteilt. Im März enthüllte die NGO Uyghur Human Rights Project (UHRP), dass 58 Journalistinnen und Journalisten sowie Verlegerinnen und Verleger aus der Region Xinjiang in China inhaftiert sind.

Der NGO-Bericht zeigt das Ausmaß der Pressefreiheitsverletzungen in der Region Xinjiang. Ausländische Journalistinnen und Journalisten berichten, dass sie vor Ort verfolgt und zwischenzeitlich festgenommen sowie aufgefordert wurden, Aufnahmen zu löschen. Im August 2018 wurde die Journalistin Megha Rajagopalan wegen ihrer Berichterstattung über Xinjiang des Landes verwiesen, nachdem die Behörden ihr Visum nicht verlängerten. Rajagopalan leitete das Buzzfeed-Büro in Peking.

Isolationshaft und erzwungene Geständnisse

Mit einer speziellen Form des Gewahrsams hält das Regime Kritikerinnen und Kritiker für bis zu sechs Monate in Isolationshaft. Die „residential surveillance at a designated location“, kurz RSDL, wurde im Namen der Terrorismus- und Korruptionsbekämpfung eingeführt und betrifft Personen, die in den Augen der Behörden die nationale Sicherheit bedrohen. Seit der Einführung 2013 wurden so Tausende Personen, darunter Journalistinnen und Journalisten sowie Bloggerinnen und Blogger, ohne Zugang zu Anwälten oder ärztliche Versorgung festgehalten. Die Menschenrechts-NGO Safeguard Defenders hat 2017 in „The People’s Republic of the Disappeared“ Berichte ehemaliger Inhaftierter veröffentlicht.

Seit dem 20. April werden die Bürgerjournalisten Wei Zhili und Ke Chengbing laut ihrer Familien auf diese Art festgehalten. Beide arbeiten für die Nachrichtenseite iLabour.net, die über Arbeitsrechte informiert. Einen Monat zuvor wurden sie in der südlichen Provinz Guangzhou festgenommen, nachdem sie über die Arbeitsbedingungen in lokalen Fabriken recherchiert hatten.

Inhaftierte wurden bereits zu Geständnissen gezwungen, von denen einige auch medial übertragen werden. Beispiele sind der schwedische Verleger Gui Minhai, der wenige Monate nach seiner Entführung in Thailand 2015 im chinesischen Staatsfernsehen wieder aufgetaucht ist, sowie die ehemalige Deutsche-Welle-Journalistin Gao Yu. Laut Safeguard Defenders haben die chinesischen Staatsmedien seit 2013 mindestens 48 erzwungene Geständnisse übertragen

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht China auf Rang 177 von 180 Staaten.



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