Türkei 27.07.2016

Massenhafte Haftbefehle gegen Journalisten

Protest gegen die staatliche Übernahme der Zeitung Zaman Anfang März 2016. © picture alliance / AP Photo

Reporter ohne Grenzen ist schockiert über die Verhaftungswelle gegen Journalisten in der Türkei. In den vergangenen Tagen hat die Justiz gegen rund 90 Medienschaffende Haftbefehle erlassen und einige davon bereits vollzogen.

„Die massenhaften Haftbefehle der vergangenen Tage zielen unmissverständlich darauf, unbequeme Journalisten mundtot zu machen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Das Versprechen der Regierung in Ankara, trotz des Ausnahmezustands Grundrechte wie die Pressefreiheit zu achten, ist offensichtlich keinen Pfifferling wert. Die Hexenjagd auf kritische Journalisten in der Türkei muss sofort aufhören.“

Am Mittwoch gaben die türkischen Behörden bekannt, dass gegen 47 ehemalige Mitarbeiter der Zeitung Zaman Haftbefehle erlassen worden seien, darunter Manager und Kolumnisten. Die Polizei durchsuchte Wohnungen, der Kolumnist Sahin Alpay wurde in Handschellen abgeführt. Ein ungenannter Regierungsvertreter sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die Kolumnisten würden nicht aufgrund ihrer individuellen Veröffentlichungen oder Äußerungen gesucht, sondern weil die Staatsanwaltschaft davon ausgehe, dass sie als prominente Zaman-Mitarbeiter über Interna der Gülen-Bewegung Auskunft geben könnten.

Die ehemals regierungskritische Zeitung, die der Gülen-Bewegung zugerechnet wird, war im März unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt und von Antiterrorpolizisten gestürmt worden. Die Chefredaktion und führende Journalisten wurden entlassen.

Anfang dieser Woche hatte türkische Medien bereits über Haftbefehle gegen 42 Journalisten berichtet, darunter viele, die Korruption und Machtmissbrauch der Regierung aufgedeckt haben. Von diesen Gesuchten wurden Medienberichten zufolge mittlerweile 16 verhaftet, darunter die ehemalige Sabah-Journalistin und bekannte Regierungskritikerin Nazli Ilicak und der ehemalige Hürriyet-Onlinechef Bülent Mumay, der zuletzt auch für die Frankfurter Allgemeine Zeitung geschrieben hat.

Massive Repressionswelle seit dem Putschversuch

Seit der Niederschlagung des Putschversuchs vom 15. Juli erleben die türkischen Medien eine massive Repressionswelle. Der am 20. Juli verhängte Ausnahmezustand setzt unter anderem das Recht der Bürger aus, sich wegen Verletzungen ihrer Rechte an das türkische Verfassungsgericht zu wenden.

Die Aufsichtsbehörde für Telekommunikation (TIB) sperrte rund zwanzig Nachrichtenwebseiten, weil sie „die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung gefährdet“ hätten. Chefredakteur Levent Kenez und Nachrichtenchefin Gülizar Baki von der als Gülen-freundlich geltenden Zeitung Meydan wurden vorübergehend festgenommen. Die Zeitung kündigte an, ihre gedruckte Ausgabe einzustellen, weil sich Druckerei und Vertriebsfirmen weigerten, weiter mit ihr zusammenzuarbeiten.

Gegen die Journalistin Arzu Yildiz von der Nachrichtenwebsite Haberdar wurde ein Haftbefehl erlassen. Der bekannte Menschenrechtsanwalt und Kolumnist Orhan Kemal Cengiz wurde vier Tage lang von der Polizei festgehalten und nach seiner Freilassung mit einem Reiseverbot belegt. Auch seine Ehefrau Sibel Hurtas, die ebenfalls Journalistin ist, wurde kurzzeitig festgenommen. 34 Journalisten wurden ihre amtlichen Presseausweise entzogen.

Die Reporterin Zehra Dogan von der feministischen Nachrichtenagentur Jinha wurde vergangenen Donnerstag im kurdischen Nusaybin festgenommen und im Verhör der Mitgliedschaft in der verbotenen PKK beschuldigt. Am Samstag ordnete ein Staatsanwalt Untersuchungshaft für sie an. Vier am Dienstag ebenfalls in Nusaybin festgenommene Journalisten der Nachrichtenagenturen Jinha und DIHA wurden nach zweieinhalb Stunden wieder freigelassen. 

Gegen mehrere hundert Mitarbeiter des staatlichen Rundfunks TRT leitete die Staatsanwaltschaft Ankara Ermittlungen wegen mutmaßlicher Gülen-Verbindungen ein und suspendierte sie von der Arbeit. In einigen Fällen wurden die Suspendierungen nach der Klärung der Vorwürfe inzwischen aufgehoben.

Bei Reporter ohne Grenzen sind inzwischen erste Nothilfeanfragen von Journalisten wegen der aktuellen Verfolgung eingegangen.

Auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit von ROG steht die Türkei auf Platz 151 von 180 Staaten.


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