China 07.10.2014

Merkel muss Repressionswelle ansprechen

Der uigurische Blogger Ilham Tohti. © dpa

Reporter ohne Grenzen fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, bei den bevorstehenden deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen die jüngste Repressionswelle gegen Journalisten und Kritiker in der Volksrepublik in aller Deutlichkeit zu kritisieren

„Seit dem Amtsantritt von Xi Jinping als Staats- und Parteichef werden kritische Journalisten und Bürgerrechtler in China noch härter verfolgt als schon zuvor“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die Bundeskanzlerin sollte nicht schweigen zur grassierenden Zensur sowie zu den jüngsten Festnahmen von Journalisten und Bloggern in China. Gute Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und China dürfen nicht zu Lasten der Pressefreiheit gehen.“

Zu den Regierungskonsultationen wird am Freitag (10. Oktober) der chinesische Ministerpräsident Li Keqiang mit Vertretern von 14 Ministerien in Berlin erwartet. Dabei soll ein Aktionsrahmen zu einer bilateralen Innovationspartnerschaft unterzeichnet werden. Außerdem nehmen Merkel und Li an einem deutsch-chinesischen Forum für wirtschaftliche und technologische Zusammenarbeit teil.

Derweil sitzen in der Volksrepublik mindestens 30 Journalisten und 74 Blogger wegen ihrer Arbeit in Haft – so viele wie in keinem anderen Land der Welt. Unter ihnen ist etwa der uigurische Wirtschaftswissenschaftler und Blogger Ilham Tohti, der sich mit seiner Webseite Uighurbiz.net seit 2005 für den Dialog zwischen der muslimischen Minderheit und den Han-Chinesen eingesetzt hat. Seine Verurteilung zu lebenslanger Haft wegen „Separatismus“ Ende September stieß international auf Empörung, da Tohti weithin als gemäßigte Stimme anerkannt ist.

Erzwungene Geständnisse im Staatsfernsehen

Zu den Opfern der jüngsten Repressionswelle gehören auch der 81-jährige Schriftsteller Tie Liu und sein Assistent Huang Jing, die am 15. September in Strafarrest genommen wurden. Die Behörden werfen Tie vor, er habe „Streit vom Zahn gebrochen und Probleme provoziert“. Tie Liu kritisiert die chinesische Regierung seit Jahrzehnten und saß schon unter Mao Zedong 20 Jahre in einem Umerziehungslager. Anlass für seine aktuelle Festnahme war vermutlich ein jüngst veröffentlichter Essay über einen früheren Propagandachef der KP. 

Besonders gravierend sind die erzwungenen Geständnisse inhaftierter Journalisten und Blogger, die das chinesische Staatsfernsehen CCTV in den vergangenen Monaten in mehreren Fällen ausgestrahlt hat. Dabei mussten die Betroffenen vor laufender Kamera ihr eigenes bisheriges Verhalten kritisieren. Anfang Mai wurde auf diese Weise etwa Gao Yu vorgeführt, eine freie Mitarbeiterin der Deutschen Welle. Nur fünf Tage später musste sich der inhaftierte Blogger Xiang Nanfu im Fernsehsender CCTV13 selbst bezichtigen, er habe Chinas „Partei und Regierung beschmutzt“. Er hatte regelmäßig über Themen wie Landenteignung und Organhandel geschrieben. 

Unter anderem wegen der Ausstrahlung dieser erzwungenen Geständnisse hat Reporter ohne Grenzen den Intendanten der Deutschen Welle, Peter Limbourg, kürzlich zum Verzicht auf eine geplante Kooperation mit CCTV aufgefordert, das eine herausragende Rolle im staatlichen chinesischen Propagandaapparat einnimmt. 

Proteste in Hongkong massiv zensiert

Mit massiver Zensur hat die chinesische Regierung seit Ende September die Berichterstattung über die sogenannten Occupy-Central-Proteste in Hongkong unterdrückt. So gut wie keine chinesische Zeitung berichtete über die Demonstrationen für mehr Demokratie. Fotos, Links und Mitteilungen in den sozialen Netzwerken wurden noch in weit umfangreicherem Ausmaß zensiert als im vergangenen Juni zum 25. Jahrestag des Massakers am Platz des Himmlischen Friedens – dem bislang am schärfsten unterdrückten Thema. Beim Kurznachrichtendienst Weibo wurden Begriffe wie „Hongkong“, „Polizei“ und „Sonnenschirm“ unterdrückt. Das soziale Netzwerk Instagram, auf dem sich leicht Fotos und Videos teilen lassen, wurde blockiert – Facebook, Youtube und Twitter sind es längst.

Schon seit Mitte September wurde die Webseite 64 Tianwang, die eine wichtige chinesische Quelle für Menschenrechtsinformationen ist, mehrmals durch sogenannte DDoS-Angriffe lahmgelegt. Aufgrund der Intensität der Angriffe und der Tatsache, dass gleichzeitig die Konten von 64 Tianwang beim Messaging-Dienst Tencent geschlossen wurden, vermutet Reporter ohne Grenzen die chinesische Regierung hinter den Attacken. 

Verschärfte Gesetze für Journalisten und Weibo-Nutzer

Ende Juni hatte es die Regierung Redaktionen und einzelnen Journalisten verboten, über Themen und Regionen außerhalb ihrer festgelegten Zuständigen zu berichten. Journalisten dürfen zudem keine Nachrichten mehr auf persönlichen Blogs oder Webseiten posten – eine bislang gängige Praxis, um Informationen zu verbreiten, die in den staatlich gelenkten Medien unterdrückt werden mussten. Schon seit dem vergangenen Herbst Weibo-Nutzer mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden, wenn sie „Gerüchte“ verbreiten und diese mindestens 500 Mal weitergeleitet werden. Was unter einem Gerücht zu verstehen ist, haben die Behörden jedoch nicht klar definiert.

Im Rahmen seiner Nothilfearbeit hat Reporter ohne Grenzen im vergangenen Jahr für den Blogger Liu Dejun ein Stipendium beim deutschen PEN-Zentrum vermittelt. Der Aktivist war in China wegen seiner Menschenrechtsarbeit mehrmals inhaftiert und gefoltert worden.

Auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit steht China auf Platz 175 von 180 Ländern. 



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