Iran 06.12.2019

Schikanen gegen Auslandsmedien

Menschen im Iran protestieren auf der Straße.
Protestierende im Iran @ picture alliance / abaca

Reporter ohne Grenzen ist beunruhigt über eine neue Repressionswelle gegen Medienschaffende im Iran. Seit dem Beginn der Proteste gegen eine Benzinpreiserhöhung Mitte November wurden mindestens elf Journalistinnen und Journalisten festgenommen. Zugleich hat die iranische Regierung ihre Schikanen gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter persischsprachiger Medien aus dem Ausland verschärft.

„Die Festnahmewelle zeigt, wie nervös die iranische Regierung auf unabhängige Berichte über die Ereignisse im Land reagiert“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die Behörden müssen die festgenommenen Journalistinnen und Journalisten sofort und bedingungslos freilassen.“ Zugleich forderte er die Regierungen europäischer Länder, in denen Medien mit Programmen für ein iranisches Publikum beheimatet sind, zum Handeln auf: „Länder wie Deutschland, Großbritannien und Frankreich müssen sich bei der iranischen Regierung dafür einsetzen, dass ihre persischsprachigen Medien ungehindert arbeiten können.“

Nach dem Beginn der Proteste Mitte November hatten die iranischen Behörden das Land tagelang fast vollständig vom weltweiten Internet getrennt. Nachdem der Datenverkehr in Teilen Irans wiederhergestellt wurde, gelangen erst allmählich Informationen über das Ausmaß der Repressalien gegen die Protestierenden an die Öffentlichkeit. Demnach wurden vor allem in den Städten Teheran, Isfahan, Abadan, Gatschsaran und Sarpol-e Sahab Medienschaffende festgenommen. Viele weitere wurden von Revolutionsgerichten oder Geheimdiensten einbestellt und unter Druck gesetzt, nicht über die Proteste zu berichten.

Viele Fotografinnen und Fotografen unter den Festgenommenen

Die Staatsanwaltschaft in Abadan erließ am 27. November nach ROG-Informationen Haftbefehle gegen fünf Journalistinnen und Journalisten: Mandana Sadeghi, Dariusch Memar, Hoda Karimi Sadar, Hossein Musawi und Koresch Karampur. Die Behörde wirft ihnen Anti-Regime-Propaganda, Beleidigung von Revolutionsführer Ali Chamenei und Störung der öffentlichen Ordnung vor. In Isfahan wurden am 17. November drei Fotoreporter festgenommen, als sie die dortigen Proteste dokumentieren wollten. Der Fotograf Arasch Sediki wurde am 27. November in Gatschsaran im Süden Irans festgenommen. In Sarpol-e Sahab im Osten Irans nahmen die Behörden am 28. und 29. November die Fotoreporter und Menschenrechtsaktivistin Raha Askarisadeh, die Journalistin Farda Mostafa Mhebikia vom Montagsmagazin Iran und die Fotografin Fereschteh Tscheraghi fest.

Das Geheimdienstministerium erklärte am 27. November außerdem, es seien sechs Menschen festgenommen worden, die im Ausland als Bürgerjournalistinnen und -journalisten im Filmen und Fotografieren geschult worden seien. In der Mitteilung nannte das Ministerium weder die Namen der Festgenommenen noch die Orte der Festnahmen.

Geheimdienst geht erstmals offen gegen Auslandsmedium vor

Zugleich gingen die iranischen Geheimdienste so offen wie nie zuvor gegen einen Auslandssender vor. Am 30. November erklärte das Geheimdienstministerium, es habe Besitz von journalistischen und anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des privaten Fernsehsenders Iran International beschlagnahmt. Diese beschrieb das Ministerium in der Erklärung als „Feinde der Islamischen Republik“ und „Terroristen“. Iran International ist ein persischsprachiger Satellitensender mit Sitz in London.

Irans Justiz und Geheimdienste setzen seit Jahren Journalistinnen und Journalisten persischsprachiger Auslandsmedien sowie ihre im Iran lebenden Angehörigen unter Druck. Die Schikanen richten sich gegen die persischen Dienste von Sendern wie der Deutschen Welle, der BBC, Voice of America (VOA) und Radio Farda, einem Ableger des US-Auslandssenders Radio Free Europe, außerdem gegen private Exilmedien wie die Fernsehsender Iran International und Manoto TV oder das Nachrichtenportal Kayhan London

Als Druckmittel dienen unter anderem Beschimpfungen und Schmutzkampagnen in den sozialen Medien sowie Verhöre ihrer im Iran lebenden Angehörigen. In einigen Fällen wurden in der Vergangenheit die Inlandsvermögen von Journalistinnen und Journalisten eingefroren, die im Ausland arbeiten. Im Land selbst werden immer wieder Journalistinnen oder Journalisten unter Anschuldigungen wie „Zusammenarbeit mit feindlichen Medien“ oder Spionage zu langen Haftstrafen verurteilt. 

Als besonderer Scharfmacher fiel in jüngster Zeit der Botschafter Irans in Großbritannien auf, Hamid Baeidinedschad. Unter dem Schutz seiner diplomatischen Immunität hat er auf Twitter wiederholt die Anschuldigungen iranischer Geheimdienste gegen Auslandsmedien, Journalistinnen und Journalisten wiederholt und sie – stets auf Persisch – als „Spione und Söldner ausländischer Dienste“ verunglimpft, die von den Feinden Irans bezahlt würden und gegen die Interessen des Landes agierten. Kurz nach dem Beginn der jüngsten Proteste drohte er den Auslandssendern in einem Tweet indirekt: „Das iranische Volk wird diese Tage niemals vergessen, in denen feindliche Fernsehsender wie BBC Farsi, VOA, Manoto TV und Iran International, unterstützt vom Geld ausländischer Regierungen und der Pahlawi-Gruppe [d.h. der Anhänger des 1979 gestürzten Schahs], den Iran in Gefahr gebracht haben, indem sie die Unruhestifter, die Mörder und Brandstifter sind, als politische Dissidenten dargestellt haben.“

Am selben Tag wurden die Eltern mehrerer im Ausland arbeitender Journalistinnen und Journalisten vom Geheimdienst vorgeladen und bedroht. Sinngemäß bedeutete man ihnen, es wäre besser für sie, wenn sie ihren Kindern sagten, sie sollten aufhören für „feindliche“ Sender zu arbeiten. ROG hat Kenntnis von mindestens 25 solcher Fälle seit Beginn dieses Jahres. Aus Furcht vor weiteren Schikanen möchten die meisten Betroffenen nicht namentlich genannt werden. Die BBC-Journalistin Farnaz Ghazizadeh machte das Vorgehen der Behörden gegen ihre Familie jedoch am 23. November publik und schilderte auf Twitter, dass ihr 73-jähriger Vater einbestellt und verhört worden sei.

Nachdem RSF die Tweets des Botschafters in London kritisiert hatte, wies Irans Botschaft in Großbritannien die Darstellung „kategorisch“ zurück und betonte, Baeidinedschad habe niemals irgendwen bedroht, geschweige denn eine Journalistin oder einen Journalisten.

Schon Ende September nahm der Geheimdienst der Revolutionswächter einen Bruder der in den USA lebenden Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Masih Alinedschad sowie die Schwester ihres Ex-Mannes fest. Ihr Bruder hatte zuvor in einem online veröffentlichten Video berichtet, er selbst und seine Eltern würden unter Druck gesetzt, damit sie Alinedschads Arbeit öffentlich verurteilten. Alinedschad lebt seit 2009 in den USA und arbeitet für den US-Auslandssender Voice of America. Der Präsident der Teheraner Revolutionsgerichte hatte Ende Juli erklärt, die Journalistin werde der Zusammenarbeit mit feindlichen Regierungen verdächtigt; darauf stehen im Iran zwischen einem Jahr und zehn Jahre Haft.

Der Iran steht auf Platz 170 von 180 Ländern auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen.



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