Erdoğan in Berlin 17.11.2023

Scholz darf Pressefreiheit nicht hintenanstellen

Der türkische Präsident hält eine Rede.
Der türkische Präsident hält eine Rede. ©picture alliance /AP

Anlässlich des Besuchs des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan am heutigen Freitag fordert Reporter ohne Grenzen (RSF) Bundeskanzler Olaf Scholz dazu auf, eine Verbesserung der desolaten Lage der Pressefreiheit in der Türkei zur Bedingung für weitere Abkommen machen. Erst Anfang November hat das türkische Verfassungsgericht ein umstrittenes Mediengesetz bestätigt: Die größte türkische Oppositionspartei CHP hatte erfolglos beantragt, das sogenannte Desinformationsgesetz zu annullieren. Dieses stellt bis zu drei Jahre Haft für Medienschaffende in Aussicht, die wegen der Verbreitung von „wahrheitswidrigen“ Inhalten verurteilt werden.

„Scholz muss in seinen Gesprächen mit Erdoğan die türkischen Einschüchterungsgesetze gegen die Pressefreiheit anprangern und seine Verhandlungen an Zugeständnisse auf dem Gebiet der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit koppeln“, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF). So sind aktuell zahlreiche Journalistinnen, Wissenschaftler und andere Oppositionelle aus politischen Gründen in Haft. „Zudem weisen wir auf die anhaltende Verfolgung von Medienschaffenden im Exil hin. Der deutsche Bundeskanzler muss den türkischen Präsidenten daran erinnern, die Pressefreiheit im eigenen Land, aber auch im demokratischen Ausland zu respektieren“, mahnte Mihr.

Einer der bekanntesten Exil-Journalisten ist der ehemalige Chefredakteur der Zeitung CumhuriyetCan Dündar. Er lebt und arbeitet seit 2016 in Deutschland, nachdem er 2015 der Spionage angeklagt und festgenommen worden war. Dass die türkische Republik in diesem Jahr 100 wird, ist für ihn kein Grund zum Feiern. In einem Video von RSF, in dem türkische Medienschaffende und RSF-Geschäftsführer Christian Mihr ihre Geburtstagswünsche an die Republik Türkei senden, sagt Dündar: „Liebe Republik Türkei, du feierst deinen 100. Geburtstag. Ich wünsche dir, dass du in deinem neuen Jahrhundert eine demokratische Republik wirst. Ich hoffe, dass wir uns bald wiedertreffen, und in Freiheit und Frieden leben können.“

Auch der türkische Reporter Metin Cihan und die türkische Journalistin Gamze Kafar haben ihre Wünsche aufgenommen, die sie mit dem Auspusten einer Kerze besiegeln. Denn seit der Niederschlagung des Putschversuchs im Jahr 2016 gehen Regierung und Justiz härter denn je gegen kritische Journalistinnen und Journalisten vor. Auch der RSF-Korrespondent Erol Önderoglu steht seit dem 3. Februar 2021 vor Gericht, ein Ende des Prozesses ist aktuell nicht absehbar. Die bislang letzte Verhandlung war am 12. Oktober 2023, nächster Termin ist der 20. Februar 2024.

Auch die Haltung der türkischen Justiz gegenüber schweren Straftaten, die an Journalistinnen und Journalisten verübt wird, muss immer kritischer hinterfragt werden. So wurde erst in dieser Woche bekannt, dass der Mörder des armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink vorzeitig aus der Haft entlassen worden war.

Freie Berichterstattung wird überdies immer wieder durch die Behörden blockiert: Ausländische Korrespondentinnen und Korrespondenten warten mitunter monatelang auf die Verlängerung ihrer Akkreditierungen. Die einst pluralistische Medienlandschaft steht inzwischen fast vollständig unter Kontrolle der Regierung oder regierungsnaher Geschäftsleute. Im Internet werden Tausende journalistische Beiträge blockiert.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 165 von 180 Staaten.



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