Bulgarien 18.01.2022

SLAPP-Klagen gefährden die Medienfreiheit

Das Justizgebäude in der bulgarischen Hauptstadt Sofia.©picture alliance / NurPhoto / Artur Widak
Das Justizgebäude in der bulgarischen Hauptstadt Sofia. © picture alliance / NurPhoto / Artur Widak

Reporter ohne Grenzen (RSF) verurteilt die juristischen Schikanen gegen zwei bulgarische Medienschaffende und fordert die neue Regierung auf, die Medien per Gesetz vor missbräuchlichen Knebelklagen zu schützen. Vergangenen Dezember verurteilte ein Sofioter Gericht Sofia Stojana Georgiewa, Redakteurin der unabhängigen Nachrichten-Website Mediapool, und Boris Mitow, einen ehemaligen Reporter der Website, 67.000 Lewa (etwa 34.000 Euro) Schadensersatz zu zahlen. In vier Artikeln vom Februar 2018 hätten die beiden den damaligen Präsidenten des Gerichts, Swetlin Michailow, verleumdet, so der Vorwurf. Michailow kandidierte zum Zeitpunkt der Veröffentlichungen für eine weitere Amtszeit. Mit solchen SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation) sollen Medien oder Einzelpersonen in kostspielige Gerichtsverfahren hineingezwungen werden, die sich die Angeklagten kaum leisten können.

„Es ist ein Knebelurteil, das einen gefährlichen Präzedenzfall für die Pressefreiheit in Bulgarien schafft“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die unverhältnismäßig hohe Schadensersatzsumme soll Medien davon abschrecken, über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu berichten. Wir fordern das Berufungsgericht in Sofia dringend auf, diese Entscheidung aufzuheben. Gleichzeitig appellieren wir an die Regierung, missbräuchlichen Klagen einen Riegel vorzuschieben.“

Die Anwälte der Angeklagten wiesen darauf hin, dass die Mediapool-Artikel lediglich über Michailows Privatvermögen und einige umstrittene Urteile informiert hätten, die er verantwortet hatte. Mehrere Investigativmedien hatten bereits über diese Thematik berichtet, sie stand schon lange vor den fraglichen Artikeln im Fokus der Öffentlichkeit. Michailow selbst hat die Urteile nie bestritten. Die Verteidigung plant, in Berufung zu gehen.

Zweifelhafte Unbefangenheit der Justiz

Es gibt gute Gründe, die Unbefangenheit der mit dem Fall betrauten Richterin Daniela Popowa zu hinterfragen. Popowa übernahm den Fall erst zwei Monate vor der Urteilsverkündung. Sie löste den zuvor zuständigen Richter ab, der seit fast einem Jahr mit dem Fall betraut war. Ihr Urteil erweckt den Eindruck, es sei wenig sorgfältig und in Eile verfasst worden. Unter anderem erwähnt die Richterin nicht, dass es sich beim Kläger um eine Person des öffentlichen Lebens handelt. Auch die ehemalige Stellung Michailows als Präsident des Gerichts kommt im Urteil nicht vor. Popowa führte zudem nicht aus, welche Teile der Artikel sie als „unanständig, vulgär und zynisch“ wertete und wies die Einwände der Verteidigung während der Anhörungen systematisch zurück.

Seit Juli 2021 ist Popowa außerdem Präsidentin der Bulgarischen Richtervereinigung (BAS), einer regierungsnahen Organisation, in der auch Swetlin Michailow Mitglied ist. Der Verdacht liegt nahe, dass die Richterin die persönlichen Interessen des Klägers höher eingestuft haben könnte als die Meinungsfreiheit der Mediapool-Mitarbeitenden.

Weitere Nachrichtenseiten angeklagt

Anfang Dezember 2021 reichte die Investmentgesellschaft Eurohold eine Verleumdungsklage gegen die investigative Nachrichtenseite Bivol ein. Diese hatte zuvor mehrere Berichte über die umstrittenen Methoden veröffentlicht, mit denen Eurohold an Geld gekommen war, wie etwa deren Vereinbarung mit einem großen bulgarischen Stromversorgungsunternehmen. Schon in der Anfangsphase des Falls steht ein geforderter Schadensersatz von rund 500.000 Euro im Raum – eine existenzielle Bedrohung für Bivol. Der für Bivol tätige Anwalt Alexander Kaschumow bezeichnete die Summe als beispiellos. Sie schaffe „Bedingungen der Zensur“, die einen Verstoß gegen die „europäischen Standards der Meinungsfreiheit“ darstellten.

Reporter ohne Grenzen fordert Bulgariens neue Regierung dazu auf, dem häufigen Einsatz von SLAPPs entgegenzuwirken. Zudem sollte sie die im März 2021 vorgelegten Empfehlungen zum Schutz der Pressefreiheit in Bulgarien umsetzen. Dazu gehört unter anderem, Bürgerinnen und Bürger, Geschäftsleute sowie Behörden dazu zu ermutigen, Beschwerden bei der bulgarischen Medien- und Ethikkommission einzureichen, anstatt SLAPPs anzustrengen. RSF appelliert zudem an die Regierung, sich für ergänzende strenge Rechtsvorschriften auf nationaler und europäischer Ebene einzusetzen.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2021 liegt Bulgarien auf Platz 112 von 180 Ländern – dem letzten Platz aller Mitgliedsstaaten der EU.



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