Syrien 14.08.2019

Assad-treue Journalisten im Visier

Syriens Präsident Baschar al-Assad ©Picture alliance / AP Photo

In Syrien wendet die Regierung von Präsident Baschar al-Assad ihre Repression zunehmend sogar gegen regimetreue Journalistinnen und Journalisten. Eine ganze Reihe von Fällen zeigt, dass das Regime selbst auf vorsichtige Versuche der Kritik an Themen wie Korruption und Versorgungsengpässen mit brutaler Härte reagiert. Innerhalb der vergangenen zwölf Monate haben die Geheimdienste mindestens 13 als regimetreu geltende Medienschaffende wegen ihrer Berichterstattung festgenommen oder bedroht – meist mit der Begründung, sie hätten „die Moral der Nation untergraben“ oder „dem Ruf des Staats geschadet“

„Mit seinen Repressalien sogar gegen regierungstreue Journalistinnen und Journalisten zeigt das Assad-Regime sein wahres Gesicht“, sagte der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr. „Das willkürliche Vorgehen der syrischen Sicherheitsbehörden zeigt, dass dieses Regime jede und jeden brutal unterdrückt, der auch nur vorsichtigste öffentliche Kritik an den Zuständen im Land wagt.“

Zugleich erinnerte Mihr an das Schicksal des seit genau sieben Jahren in Syrien vermissten US-Reporters Austin Tice: „Austin Tice büßt seit sieben Jahren dafür, dass er die internationale Öffentlichkeit aus erster Hand über das Geschehen im beginnenden Bürgerkrieg informieren wollte. Syrien und die USA müssen alles in ihrer Macht stehende unternehmen und auch den direkten Kontakt suchen, damit dieser mutige Reporter endlich freikommt.“ Tice hatte als freier Journalist für internationale Medien aus Syrien berichtet und war am 14. August 2012 verschwunden, als er in den Libanon ausreisen wollte.

Gründer der beliebtesten Pro-Regime-Facebookseite monatelang festgehalten

Das prominenteste Beispiel für die Repressionswelle gegen Assad-Gefolgsleute dürfte Wissam al-Tair sein, der vor wenigen Tagen nach fast acht Monaten willkürlicher Haft freigelassen wurde. Al-Tair hat Damascus Now gegründet, die mit 2,7 Millionen Followern einflussreichste regimetreue Facebook-Seite Syriens. Am 15. Dezember wurde er festgenommen; Damascus Now postete danach mehrere Tage lang keine neuen Beiträge. Monatelang gab es keine Informationen darüber, wo Al-Tair festgehalten wurde; zwischenzeitlich kursierten sogar Gerüchte, er sei unter Folter gestorben.

Einen Monat nach seinem Verschwinden hatte sich Al-Tairs Familie in einem für Syrien ungewöhnlichen Schritt mit einem auf Facebook veröffentlichten Video an die Regierung gewandt und Auskunft über sein Schicksal verlangt. Vergangenes Wochenende teilten Angehörige Al-Tairs sowie Aktivistinnen und Aktivisten schließlich mit, der Journalist sei freigekommen.

Al-Tair hatte zunächst über das militärische Vorgehen der syrischen Armee in Gebieten berichtet, die von der Opposition gehalten wurden. Auf Damascus Now verbreitet er Nachrichten aus den von der Regierung kontrollierten Teilen Syriens. Über die Gründe für seine Festnahme gab es verschiedene Vermutungen: Er habe mit der Veröffentlichung einer Umfrage über den Treibstoffmangel in Syrien oder durch Berichte über Korruption Anstoß erregt oder aber Fotos an ausländische Medien verkauft.

Antwort des Regimes auf Bürgerjournalistinnen und Bürgerjournalisten

Journalistinnen und Journalisten wie Al-Tair und Online-Portale wie sein Damascus Now sind die Antwort des Regimes auf die Bürgerjournalistinnen und Bürgerjournalisten, die von 2011 an zeitgleich mit dem Aufstand gegen das Assad-Regime begannen, auf sozialen Medien unabhängig über Demonstrationen und deren Niederschlagung, aber auch über die Alltagssorgen der Menschen in Syrien zu berichten. Mit eigenen, regimetreuen „Influencern“ schuf die Regierung ein Gegengewicht, um diesen neuen Informationsquellen etwas anderes entgegenzusetzen als ihre traditionellen, selbst bei treuen Assad-Gefolgsleuten äußerst unbeliebten Staatsmedien.

Die syrischen Geheimdienste gewährten diesen handverlesenen Journalistinnen und Journalisten Privilegien wie Zugang zu umkämpften Gebieten und zu Regionen, in die Binnenvertriebene umgesiedelt wurden. Solche Exklusivinformationen sicherten ihnen ein großes Publikum, dem sie die offizielle Sicht auf die Ereignisse in zeitgemäßer Form nahebringen konnten. Gelegentlich haben solche Medienpersönlichkeiten ihre Bekanntheit und ihren Zugang zu Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern aber auch genutzt, um Themen wie Korruption und schlechte Wohnverhältnisse zur Sprache zu bringen.

Ausgewiesen oder ohne Erklärung festgehalten

Ein weiteres Beispiel ist Rida Albasha vom libanesischen Fernsehsender Al-Majadin, der im Allgemeinen Assad- und Iran-freundlich berichtet. Albasha begleitete syrische Regierungstruppen in ihre Schlachten, war als Kriegsreporter allgegenwärtig und in den sozialen Medien sehr einflussreich – bis er begann, in Livestreams auf Facebook offen über die Korruption in den von Assad kontrollierten Gebieten und besonders in Aleppo zu sprechen. Im April wies Syrien ihn aus.

Am 8. Juli wurde der Fernsehreporter Rabea Kalawandi vom iranischen Sender Al-Alam in Aleppo festgenommen. Er wurde wochenlang festgehalten, ohne dass seine Familie Informationen über seinen Verbleib gehabt hätte. Auch ein bekannter Moderator bei einem staatlichen Fernsehsender, der nicht namentlich genannt werden will, obwohl er inzwischen im Ausland lebt, gab als Grund für sein selbstgewähltes Exil an, er habe nicht mehr richtig über Korruption berichten können.

Zu den Tabuthemen in Syrien gehört auch der Treibstoffpreis. Mohammad Harscho von der Webseite Hashtag Syria wurde am 10. April verhaftet, nachdem die Seite einen Artikel über eine von der Regierung geplante Erhöhung des Benzinpreises veröffentlicht hatte. Nachdem der Geheimdienst die Seite zum Löschen des Artikels und zu einer förmlichen Entschuldigung gebracht hatte, wurde Harscho freigelassen.

Weniger glimpflich kam Raif Salame davon, ein Journalist der Medienabteilung von Präsident Assads Baath-Partei. Er saß von April bis Mai im Gefängnis, weil die Behörden ihm vorwarfen, eine Facebook-Seite mit Kritik am Gesundheitsministerium zu betreiben. Hashtag-Syria-Korrespondent Amer Drau wurde 2018 wegen der angeblichen Veröffentlichung von Falschmeldungen vier Monate lang festgehalten.

Verfassung und Wirklichkeit

Auf dem Papier garantiert die Verfassung, die 2012 nach dem Beginn der Massenproteste gegen das Assad-Regime verabschiedet wurde, die Presse- und Informationsfreiheit und verbietet Verhaftungen, Verhöre und Ermittlungen gegen Journalistinnen und Journalisten. Die Regierung wird nicht müde, diese Garantien zu betonen und zu behaupten, die Medien in Syrien genössen ein hohes Maß an Freiheit. Informationsministerin Imad Sara verstieg sich kürzlich sogar zu der Behauptung, den Medien würden keine „roten Linien“ mehr auferlegt.

Die Wirklichkeit sieht anders aus: Seit die Regierung im März 2018 ein Gesetz über die Schaffung spezieller Gerichte für „Informations- und Kommunikationsverbrechen“ beschloss, hat sie ihre ohnehin schon massive Kontrolle weiter verschärft. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Syrien auf Platz 174 von 180 Ländern.

Ein sichtbares Symptom für die immer enger werdenden Spielräume der Medien war etwa die Schließung der regimetreuen Wochenzeitung Al-Ajjam im Frühjahr 2019. Nachdem ihr Eigentümer kurzzeitig verhaftet wurde und ihr Chefredakteur kündigte, stellte die Zeitung ihr Erscheinen mit Verweis auf den zunehmenden Druck auf Journalistinnen und Journalisten ein. Ihre letzte Ausgabe widmete sie den Arbeitsbedingungen der Medien in Syrien.

Tödliche Gefahren für Medienschaffende in der Region Idlib

Unterdessen sind Journalistinnen und Journalisten in der noch immer umkämpften Region Idlib im Norden Syriens weiterhin tödlichen Gefahren ausgesetzt. Immer wieder werden Medienschaffende dort bei den schweren Luftangriffen syrischer und russischer Truppen verletzt; manche sind überzeugt, dass es sich teils um gezielte Angriffe handele. Am 21. Juli wurde bei einem offenbar russischen Luftangriff der freie Journalist Anas al-Diab getötet, dessen Fotos von internationalen Nachrichtenagenturen wie AFP und Anadolu verbreitet wurden.

Siebter Jahrestag der Entführung von Austin Tice

Bis heute ist das Schicksal vieler Journalistinnen und Journalisten ungeklärt, die im syrischen Bürgerkrieg von einer der Konfliktparteien festgenommen oder verschleppt wurden. Unter ihnen ist der freie US-Journalist Austin Tice, der bis zu seinem Verschwinden 2012 für internationale Medien wie die Washington Post, AFP und den Fernsehsender CBS aus Syrien berichtet hatte. Die US-Bundespolizei FBI hat mittlerweile eine Belohnung von einer Million Dollar für Hinweise ausgelobt, die zu Tices Befreiung und sicherer Heimkehr führen. Die US-Regierung geht ebenso wie die Eltern von Austin Tice davon aus, dass der Reporter noch lebt. Reporter ohne Grenzen unterstützt die Familie seit 2012.



nach oben