Stipendium 19.07.2018

Neues Digital-Stipendium für Journalisten

© picture alliance / Robert Schlesinger

Angesichts der zunehmenden digitalen Überwachung von Journalistinnen und Journalisten weltweit rufen Reporter ohne Grenzen (ROG) und die Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe ein neues Stipendienprogramm ins Leben. Es soll Medienschaffende aus Kriegs- und Krisengebieten eine Auszeit in Berlin ermöglichen und die Teilnehmenden in digitaler Sicherheit schulen. Die ersten vier Stipendienplätze werden jetzt ausgeschrieben. Bewerben können sich Journalistinnen und Journalisten aus der ganzen Welt.

„In zahlreichen Ländern werden Journalistinnen und Journalisten und Bloggerinnen und Blogger wegen ihrer Arbeit eingeschüchtert, bedroht und verfolgt“, sagt die Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe, Ramona Pop. „Berlin hat sich in den letzten Jahren als „netzpolitische Hauptstadt Europas“ etabliert, hier ist eine bedeutende Szene mit digitalen Aktivistinnen und Aktivisten gewachsen. Nun laden wir digitale Medienschaffende, die in ihren Heimatländern bedroht werden, nach Berlin ein und unterstützen sie mit einem Stipendienprogramm. Berlin als Stadt der Freiheit ist ein Anziehungspunkt, wir nehmen unsere Verantwortung zur Verteidigung der Meinungs- und Pressefreiheit wahr.“

„Weltweit werden Medienschaffende von Regierungen und Geheimdiensten immer stärker überwacht. Das gefährdet ihre eigene Sicherheit und die ihrer Quellen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Etwa die Hälfte der Journalistinnen und Journalisten, die sich an das Nothilfereferat von Reporter ohne Grenzen in Berlin wenden, sind Opfer digitaler Überwachung. Wir möchten diese mutigen Kolleginnen und Kollegen mit einem Sicherheitstraining unterstützen.“

Das Stipendienprogramm beginnt mit einer Auszeitphase, in der insbesondere Journalistinnen und Journalisten aus Krisenregionen die Möglichkeit bekommen, in Berlin durchzuatmen. In Anschluss werden die Teilnehmenden in einem mehrwöchigen Intensivtraining in digitaler Sicherheit geschult. Dazu zählt zum Beispiel, wie Journalistinnen und Journalisten sicher kommunizieren und sich vor Hackerangriffen schützen können. Ein Ziel des Stipendienprogramms ist es, dass die Journalistinnen und Journalisten ihr Wissen auch an Kolleginnen und Kollegen in ihren Heimatländern weitergeben und vor Ort zu Ansprechpersonen zum Thema digitale Bedrohungen werden. Daher beinhaltet das Programm auch eine Didaktik-Schulung.

Medienschaffende werden weltweit überwacht

Journalistinnen und Journalisten werden weltweit immer wieder Opfer digitaler Überwachung. In Bahrain setzen die Behörden das Internet gezielt zur Überwachung von Dissidentinnen und Dissidenten ein. Der bahrainischen Journalistin Nasiha Said zum Beispiel wurde wiederholt Schadsoftware auf das Handy gespielt. Auch auf die Computer in der Redaktion des marokkanischen regierungskritischen Blogs Mamfakinch wurde Überwachungssoftware gespielt. Weil davon auch Informantinnen und Informanten betroffen waren, verloren andere Quellen das Vertrauen in das Medium. In China hat die Regierung ein ausgefeiltes System der Überwachung und Online-Zensur geschaffen. In der Türkei wurde vor rund einem Jahr die Opposition und Aktivistinnen und Aktivisten Ziel einer professionellen Spähkampagne. Mithilfe einer Spionagesoftware hatten die Angreiferinnen und Angreifer Zugriff auf Adressbücher, Fotos und Videos auf dem Handy und konnten Telefonate abhören.

In das Stipendienprogramm werden auch Exiljournalistinnen und Exiljournalisten, die für in Berlin ansässige Exilmedien arbeiten, mit eingebunden und in digitaler Sicherheit geschult. Berlin ist ein wichtiger Standort für Exilmedien aus aller Welt geworden, darunter der aserbaidschanische Sender Meydan TV, das deutsch-türkische Web-Portal taz.gazete und das Online-Magazin Syria Untold. Die Medien erscheinen fast ausschließlich online, gleichzeitig arbeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anonym weiter in den jeweiligen Heimatländern. Diese Exilmedien sind daher besonders anfällig für digitale Bedrohungen. Nachdem viele Whistleblowerinnen und Whistleblower sowie Hackerinnen und Hacker in den vergangenen Jahren Zuflucht in Berlin gesucht haben, ist in der Hauptstadt zudem eine in Europa einmalige Szene von Netzaktivistinnen und Netzaktivisten entstanden.

Das Stipendienprogramm ist zunächst auf anderthalb Jahre ausgelegt. In dieser Zeit sollen in vier Durchgängen insgesamt 16 Medienschaffende aus der ganzen Welt und drei für Berliner Exilmedien arbeitende Journalistinnen und Journalisten geschult werden. Das Programm übernimmt die Reise- und Visakosten der Stipendiatinnen und Stipendiaten, ihre Miete in Berlin und die Kosten für die Krankenversicherung. Zusätzlich erhalten die Stipendiatinnen und Stipendiaten ein monatliches Taschengeld von rund 1000 Euro.

Parallel zum Stipendienprogramm richtet Reporter ohne Grenzen einen digitalen Helpdesk ein, an den sich Journalistinnen und Journalisten aus der ganzen Welt mit Fragen zum Thema digitale Sicherheit wenden können. Am Ende des jeweiligen Stipendiums sollen die Stipendiatinnen und Stipendiaten beim Helpdesk mitarbeiten und ihr erlerntes Wissen anwenden.

Mit dem Stipendienprogramm baut Reporter ohne Grenzen sein bisheriges Angebot an Schutzprogrammen für Journalistinnen und Journalisten aus. Gemeinsam mit der taz Panter Stiftung organisiert die Organisation bereits ein Auszeit-Stipendium. Es bietet Journalistinnen und Journalisten aus Kriegs- und Krisengebieten die Möglichkeit, für drei Monate in Berlin durchzuatmen. Bisher wurden unter anderem Stipendiatinnen und Stipendiaten aus Afghanistan, Äthiopien, Burundi, Simbabwe, der Türkei, Uganda und der Ukraine eingeladen. Gemeinsam mit der Organisation Tactical Technology Collective und gefördert aus Mitteln des Auswärtigen Amts hatte Reporter ohne Grenzen zudem zwischen 2013 und 2016 Medienschaffende unter anderem aus Aserbaidschan, Bahrain und Myanmar nach Berlin eingeladen, um sie in digitaler Sicherheit zu schulen.

Reporter ohne Grenzen beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema digitale Sicherweit weltweit. Die deutsche Sektion in Berlin hat dafür 2012 das Referat „Informationsfreiheit im Internet“ eingerichtet.

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